Entwicklung Mit agilen Methoden schneller zum Optimum
Agilität führt zu Chaos – mit diesem Vorurteil will Dr. Karsten Strehl, Zentrale Entwicklungsmethodik bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart aufräumen. Qualitätsstandards, wie sie heute gelten, verlieren auch mit agilen Methoden nichts an ihrer Relevanz. Im Gegenteil: Die Qualität der Zusammenarbeit in agilen Teams sei entscheidend für die Qualität des späteren Produkts.
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In vielen Branchen gleicht sich das Bild: Vermeintlich auf lange Sicht verteilte Märkte werden plötzlich neu gemischt, Technologiesprünge verändern die Situation, teils treten neue Wettbewerber in die Märkte ein. Das Resultat: Die Welt dreht sich schneller, der Marktdruck, vor allem hinsichtlich eines kürzeren time-to-market, wächst. „Agile Methoden sind in diesem Zusammenhang ideal geeignet, um eher schwerfällige Entwicklungsprozesse neu auf den Nutzer auszurichten und zu beschleunigen“, unterstreicht Dr. Karsten Strehl, Zentrale Entwicklungsmethodik, Robert Bosch GmbH, Stuttgart.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Festo, ein weltweit renommierter Zulieferer von Komponenten im Bereich pneumatischer und elektrischer Antriebe. Hardware und Software bilden heute eine feste Einheit, um die zukünftigen Anforderungen gerade im Sinne der Industrie 4.0 zu erfüllen. „Deshalb benötigen wir eine integrierte Entwicklung für Software, Mechanik und Elektronik – nicht nur der Software-Entwicklungsprozess allein darf agil ablaufen“, sagt Dipl.-Ing. (FH) Frank-Michael Hoyer, Team- und Projektleiter, House of Software, Festo AG & Co. KG, Esslingen.
Mit dem Wasserfallprozess die Entwicklung beschleunigen
Den Neuheitenentstehungsprozess hat das Unternehmen daher als Wasserfallprozess gestaltet – mit einem klar definierten Ziel: Der bisherige Zeitraum der Produktentwicklung soll von durchschnittlich drei Jahren auf nur noch ein Jahr reduziert werden. Zugleich kommen verstärkt neue Entwicklungsmethoden wie etwa das Rapid Prototyping zum Einsatz, ebenso wie der 3D-Druck gleichermaßen für Metall als auch Kunststoff, um teure Kostenblöcke in der Produktentwicklung wie den Werkzeugbau effizienter und kostengünstiger zu gestalten. „So gelangen wir schneller und erfolgreich zu Prototypen. Gleichzeitig setzen wir verstärkt auf Simulationen, bevor wir in die Mechanik gehen“, sagt Hoyer weiter. Mit diesen Tools ist es heute möglich, auch Hardware agil zu entwickeln.
Das große Ganze im Blick
Ähnliche Erfahrungen hat auch die schwäbische Heermann Maschinenbau GmbH gemacht. „Dabei reicht es allerdings nicht, nur die eine oder andere Methode einzusetzen“, unterstreicht Marco Niebling, verantwortlich für das Agile Projektmanagement bei dem Unternehmen: „Entscheidend ist das große Ganze: Was will man verändern? Welche Ziele will man erreichen? Wie schafft man einen zum Unternehmen passenden Rahmen, in dem sich die Mitarbeiter verlässlich weiterentwickeln können? Erst wenn diese und weitere Fragen geklärt sind, kann sich ein Unternehmen den individuell passenden, agilen Baukasten zusammenstellen.“
Herausforderung Individualisierung
Eine Herausforderung des Maschinenbauunternehmens lautet etwa, Produkte noch stärker kundenseitig zu individualisieren, flexibler und schneller Anforderungen erfüllen zu können. Zugleich folgt das agile Unternehmen dem Weg der Spezialisierung und der Konzentration auf weniger, dafür besonders vielversprechende Produktbereiche. Erfolge sind schon heute für den Mittelständer klar erkennbar: In Form einer ungleich größeren Nachfrage von Bewerbern, einem verbesserten Betriebsklima und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit. Die Verbesserungen sind aber ebenso ablesbar an konkreten Kennziffern: Die gesteigerte Rentabilität zählt ebenso dazu wie die deutlich verbesserte Liefertreue bei gleichzeitig geringerem Mitteleinsatz.
Schnellere Entwicklung – ohne Abstriche bei der Qualität
Mit einem Vorurteil will Dr. Strehl aufräumen. Agilität werde oft mit „Chaos“ gleichgesetzt – ein gravierender Denkfehler. Qualitätsstandards, wie sie heute gelten, verlieren auch mit agilen Methoden nichts an ihrer Relevanz. Im Gegenteil: Die Qualität der Zusammenarbeit in agilen Teams sei wiederum entscheidend für die Qualität des späteren Produkts.
Auch mit der aktuellen, mittlerweile dritten internationalen Studie zum Thema, die Prof. Dr. Ayelt Komus, Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik, Hochschule Koblenz, zu diesem Thema verantwortet, bestätigt sich: Resultate in Unternehmen, die sich agile Methoden zunutze machen, sind besser – in der Produktentwicklung gleichermaßen wie in anderen Bereichen. Dabei geht es nicht alleine um ein schnelles time-to-market. So erwarten 61 % der befragten Unternehmen eine Optimierung der Produkteinführungszeit durch agile Methoden – aber auch in anderen Bereichen sind die Erwartungen hoch: So nutzen viele Unternehmen agile Methoden auch zur Optimierung der Qualität (47 % - Mehrfachantworten waren möglich) oder, um Risiken im Projekt zu reduzieren (42 %).
Die Chancen nutzen
„Alles in der Industrie digitalisiert sich. Auch deswegen wird Agilität immer mehr zum prägenden Faktor, egal ob in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau etc.“, so Prof. Komus. Dabei steht für ihn zugleich fest: Agile Methoden sind gekommen, um zu bleiben, die Uhr lasse sich nicht mehr zurückdrehen. Wichtig sei es für Unternehmen, diesen Veränderungsprozess in Angriff zu nehmen.
Viele Techniken lassen sich dabei durchaus isoliert betrachten und nutzen, vom Daily Scrum über das relative Schätzen bis zur regelmäßigen Retrospektive gibt es viele Techniken, die – wenn gewünscht – auch das klassische „Wasserfall“-Projektmanagement unterstützen. Das Fazit des Professors ist eindeutig: „Uns stehen heute zahlreiche Elemente zur Verfügung, die sich in der Produktentwicklung und im Projektmanagement hervorragend mit einer klassischen Vorgehensweise verknüpfen lassen. Es ist für Unternehmen dringend empfehlenswert, die Chance zu nutzen und vorwärts zu gehen.“ (mz)
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* Oliver Schönfeld ist freier Journalist in Nottuln.
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