Kleben Zeitreise: Vom Alleskleber zum Multitalent
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"Kleben ist die Fügetechnik des 21. Jahrhunderts", erklärte Professor Dr. Andreas Groß, Abteilungsleiter für Weiterbildung und Technologietransfer am Fraunhofer IFAM. Doch wie brachte das Fügeverfahren es zu diesem Ruf? konstruktionspraxis hat das Kleben genauer unter die Lupe genommen.

Klebstoffe haben im Verlauf ihrer Entwicklungsgeschichte in immer mehr Produktionsabläufen Einzug gehalten. Fast keine moderne Fertigung kommt ohne Klebstoffe aus. "In einem heutigen Automobil werden etwa 20 kg Klebstoff eingesetzt. Das ist Stand der Technik – und zwar nicht nur als "Hilfsmittel" zur Klebung dekorativer Fahrzeugelemente, sondern auch zur Versteifung der Karosserie und zur Verbesserung der Crashperformance", unterstreicht Ansgar van Halteren, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Industrieverbands für Klebstoffe e.V. die Bedeutung der Klebstoffe. Bei Schienenfahrzeugen ist der Klebstoffeinsatz mit bis zu einer halben Tonne pro Fahrzeug sogar noch höher. Bei Rotorblättern für die Windenergie mit einer Blattlänge von etwa 70 m werden die Halbschalen mit bis zu 770 kg Klebstoff strukturell geklebt. Auch das Display eines Smartphones funktioniert nur mit Hilfe von Klebstoffen. "So, wie heute gefertigt wird, geht es nicht mehr ohne – oder positiv formuliert – nur mit Klebstoff", betont van Halteren.
Birkenpech – der erste von Menschen hergestellte Klebstoff
Ein Blick in die Geschichte des Klebstoffs beweist, heute wie damals ist er als Fügeverfahren nicht mehr wegzudenken. Bereits vor 220.000 Jahren lieferten Birken den wohl ersten von Menschen hergestellten Klebstoff: das aus Birkenrinde durch Trockendestillation gewonnene Birkenpech. Birkenpech diente sowohl den Neandertalern als auch den modernen Menschen (Homo sapiens der Cro-Magnon-Epoche) bei der Herstellung von Werkzeugen. Die Neandertaler verwendeten schon vor mindestens 45.000 Jahren, vielleicht aber auch wesentlich früher, das Birkenpech, um Stein und Holz ihrer Waffen und Werkzeuge miteinander zu verbinden. Auch „Ötzi“, der steinzeitliche Mann, der 3340 v. Chr. in der Nähe des Similauns starb und in der Neuzeit als Gletschermumie aufgefunden wurde, befestigte die Schäfte seiner Pfeile aus dem Holz des Wolligen Schneeballs mit den Spitzen aus Feuerstein mittels Pflanzenfasern und Birkenpech. Vor 6500 Jahren verwendeten die Mesopotamier Asphalt zu Bauzwecken. 3000 v. Chr. kannten die Sumerer das Herstellen von Warmleim aus tierischen Häuten, und etwa 1500 v. Chr. verwendeten die Ägypter tierische Leime für Furnierarbeiten. Weitere frühe Klebstoffe nutzen Albumine, die unter anderem aus tierischem Blut oder Eiern gewonnen wurden, als Bindemittel. Somit ist das Kleben sowohl eine der ältesten Techniken als auch eines der modernsten Fügeverfahren.
Anforderungen an Verbindungen deutlich verändert
Seinen industriellen Durchbruch erlebt das Fügeverfahren allerdings erst jetzt im 21. Jahrhundert. Gudrun Weigel, Leiterin Engineering bei Delo bringt es auf den Punkt: "Im 19. Jahrhundert stand beim Thema Fügen das Nieten und das Schrauben im Mittelpunkt, im 20. Jahrhundert war es das Schweißen, insbesondere für die Herstellung von höher festen Metallverbunden. Im Laufe der Zeit haben sich die Anforderungen an Verbindungen allerdings weiter und deutlich erhöht. Die Materialkombinationen wurden vielfältiger, die Eigenschaften ausgefeilter, die Anzahl der synthetischen Werkstoffe wuchs und das Design wurde anspruchsvoller. Zudem wurde die rasch fortschreitende Miniaturisierung und der Leichtbau herausfordernder, die Prozessabläufe in der Fertigung kürzer bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an Präzision und Prozesssicherheit. Daher rückte das Kleben immer mehr in den Fokus."
Doch was ist mit den beiden anderen stoffschlüssigen Verfahren, Schrauben und Schweißen? "Schrauben ist vornehmlich im Maschinenbau beheimatet und dort auch nach wie vor ein wichtiges Fügeverfahren. Allerdings gerät das Schrauben bei den Punkten Miniaturisierung, Leichtbau und Design zunehmend an seine Grenzen. Schweißen – ein auch künftig bedeutendes Fügesystem – muss sich mit gewachsenen Designansprüchen und der Zunahme nicht schweißbarer, neuer Hochtemperaturkunststoffsorten und der wachsenden zu fügenden Werkstoffvielfalt auseinandersetzen. Deshalb gewinnt Kleben auch in den traditionellen Fügetechnikdomänen immer mehr an Bedeutung", fasst es Gudrun Weigel vom Delo zusammen.
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