CO2-Fußabdruck in Lieferketten Wie digitale Produktbeschreibungen bei der Berechnung des CO2-Fußabdrucks unterstützen

Aktualisiert am 01.02.2023 Von Dipl.-Ing. (FH) Monika Zwettler

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Eine aktuelle Studie von IW Consult zeigt: Digitale Produktbeschreibungen und Standards reduzieren den Aufwand und die Kosten, die auf Unternehmen aufgrund steigender gesetzlicher Anforderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsmessung und -berichterstattung zukommen. Zudem ergeben sich weitere Vorteile durch die Nutzung von Stanards.

Einfach, grün, digital: Wie Unternehmen für ihre Produkte den CO2-Fußabdruck berechnen können.
Einfach, grün, digital: Wie Unternehmen für ihre Produkte den CO2-Fußabdruck berechnen können.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene wachsen die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen und ihrer Lieferkette. Insbesondere die CO2-Emissionen, die mit der Herstellung eines Produktes verbunden sind, spielen für die Erreichung der Klimaziele eine zentrale Rolle. Gerade für die Produzenten von Konsum-, Investitionsgütern und Dienstleistungen gilt: Ein Großteil der Kohlenstoffwerte wird oft von Lieferanten emittiert, die weit vor dem eigentlichen Herstellungsprozess der Produkte agieren.

Die deutsche Industrie ist verstärkt auf komplexe, wissensintensive Produkte konzentriert: Der Economic Complexity (ECI) Index der Harvard University (2022) listet Deutschland als Land mit dem drittkomplexesten Produktportfolio weltweit.

Herausforderungen für die Industrie

Komplexe Produkte bestehen regelmäßig aus einer Vielzahl verschiedener Materialien und Vorprodukte. Da die deutsche Industrie vielfach komplexe Produkte mit verschiedenen Zulieferer-Komponenten erstellt, kann die Summe aller beteiligten Unternehmen der Tier-Ebenen im vier- oder sogar fünfstelligen Bereich liegen. Liegen die Informationen zu den eingekauften Vorleistungen und den damit verbundenen Wertschöpfungsketten nicht in standardisierter Form vor, können diese nur mit hohem Aufwand von den Unternehmen erfasst werden.

Mit dem Lieferkettengesetz kommen also große Herausforderungen auf die Industrie zu, sagt Markus Reigl, Vorstandsvorsitzender des Eclass e. V., Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und Direktor technische Regulierung bei Siemens, und warnt: "Das wird euch alle treffen!"

Auch Diplom-Volkswirt Hanno Kempermann, Geschäftsführer der IW Consult, ist alarmiert, da die Anforderungen seiner Meinung nach völlig unterschätzt werden. Vielen Unternehmen sei gar nicht klar, ob sie betroffen sind oder nicht.

Was kompliziert erscheint, ist einfach und günstig umsetzbar, wie die Studie "CO2-Fußabdruck in Lieferketten", die IW Consult für den Verein Eclass durchgeführt hat, zeigt. Der Schlüssel: Digitale Produktbeschreibungen und Standards, mit denen die verschiedensten Informationen in beliebigen digitalen Zwillingen ausgetauscht werden können.

Das wird euch alle treffen!

Markus Reigl, Vorstandsvorsitzender des Eclass e. V.

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Gesetzliche Rahmenbedingungen: Welche Berichtsanforderungen auf Unternehmen zukommen

Im Jahr 2020 wurden nach Angaben der Europäischen Kommission (Crippa et al., 2022) weltweit CO2-Emissionen in Höhe von rund 36.000 Megatonnen emittiert. Nach Angaben der IEA (2022) entfielen davon rund 31.700 Megatonnen auf energetische Nutzung fossiler Energieträger. Die weltweiten CO2-Emissionen haben sich dabei im Vergleich zum Jahr 2018 zwar um rund 5 Prozent reduziert, sind aber weiterhin weit von den Mengen entfernt, die zur Erreichung des Ziels des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad nötig wären. Um die Ziele noch zu erreichen, müssten nach den Angaben eines Sonderberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2018) die Anstrengungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen weltweit deutlich erhöht werden. Die Europäische Kommission hat mit der Definition des Green Deals und der Strategie „Fit for 55“ auf diese Herausforderungen reagiert: Bis zum Jahr 2030 sollen die EU-Mitgliedsstaaten ihre Emissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senken.

So ist auch auch die Betrachtung von Nachhaltigkeitskennziffern der wirtschaftlichen Aktivität von Unternehmen immer stärker in den Fokus der politischen Akteure auf nationaler und europäischer Ebene gerückt:

  • Ein zentrales Nachhaltigkeitskonzept ist dabei die im Jahr 2020 von der Europäischen Kommission verabschiedete EU-Taxonomie-Verordnung, mit deren Hilfe Kapitalflüsse in ökologisch nachhaltige, wirtschaftliche Aktivitäten gelenkt werden sollen (EU-Kommission, 2020). Die Verordnung betrifft alle Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, die Anbieter von Finanzmarktprodukten sind. Ab dem Jahr 2024 ist die Berichterstattung dann auch für Unternehmen ab 250 Beschäftigten Pflicht.
  • Noch komplexer wird es, wenn nicht nur die Gesamtheit der produzierten Güter eines Unternehmens hinsichtlich der Nachhaltigkeit untersucht werden soll, sondern zusätzlich auch die gesamte Wertschöpfungskette dieser Produkte. Nach der von der EU-Kommission vorgelegten Nachhaltigkeitsstrategie sollen große Unternehmen „bestärkt werden, eine risikobasierte Sorgfaltsprüfung, auch auf der Ebene der Lieferketten, vorzunehmen“. Dazu wurde ein solches Konzept im „Nationalen Aktionsplan Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (Auswärtiges Amt, 2017) verankert. Insbesondere große Unternehmen sind dazu aufgefordert, auch die Qualität ihrer Vorleistungskette nachzuweisen.
  • In Deutschland wurde hierzu im Sommer 2021 das Lieferkettengesetz verabschiedet, das ab dem Jahr 2023 in Kraft tritt. Die im Gesetz verankerten Pflichten der Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten nachzukommen, beziehen sich dabei sowohl auf die eigene Geschäftstätigkeit als auch auf ihre direkten Zulieferer. Ab dem Jahr 2024 wird die Verpflichtung auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern ausgeweitet. Zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmen zählen unter anderem die Einrichtung eines Risikomanagements, die Durchführung von Risikoanalysen, die Ergreifung von Präventionsmaßnahmen, die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens auch für mittelbare Zulieferer und eine Dokumentations- und Berichtspflicht. In einem jährlichen Bericht sind dabei die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen zu benennen, die das Unternehmen identifiziert hat. Die Pflichten der Unternehmen beziehen sich dabei sowohl auf die eigene Geschäftstätigkeit als auch auf die ihrer direkten Zulieferer.
  • Die geplante EU-Richtlinie ist in ihren Forderungen noch umfangreicher, da sie die Sorgfaltspflicht der Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette einfordert. Bezüglich der Erfassung des CO2-Fußabdrucks eines Unternehmens definierte die EU-Kommission 2021 die Empfehlung, die CO2-Emissionen eines Produkts „Cradle to Cradle“, also entlang der gesamten Wertschöpfungskette inklusive des Lebenszyklus eines Produkts zu erfassen.
Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ, 2021) sind in Deutschland ab 2023 direkt rund 600 Unternehmen betroffen. Ab dem Jahr 2024 erhöht sich die Zahl der direkt vom Gesetz betroffenen Unternehmen auf rund 2.900.

Potenziale digitaler Produktbeschreibungen

Die Unternehmen in Deutschland erwarten, dass durch die Implementierung des Lieferkettengesetzes zusätzliche finanzielle Belastungen auf sie zukommen. Mehr als 40 Prozent der Unternehmen in Deutschland erwarten, dass durch die Umsetzung des Lieferkettengesetzes zusätzliche Kosten anfallen werden (Kolev und Neligan, 2022). Im Verarbeitenden Gewerbe liegt der Anteil bei 56 Prozent. Große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern gehen sogar zu rund zwei Dritteln davon aus, mit zusätzlichen Kosten durch das deutsche Lieferkettengesetz belastet zu werden.

Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Frühjahr 2022 (Kolev und Neligan, 2022) erwarten rund 41 Prozent der deutschen Unternehmen, direkt oder indirekt vom deutschen Lieferkettengesetz betroffen zu sein.

Drei Fragen an Markus Reigl, Vorstandsvorsitzender des Eclass e. V.

Inwiefern sind Konstrukteure und Entwickler von den Herausforderungen des Lieferkettengesetzes betroffen?

Indirekt sind auch Konstrukteure und Entwickler betroffen, denn die Anforderungen des Sorgfaltspflichtengesetztes bestimmen die Verwendbarkeit von Rohstoffen und zugelieferten Vorprodukten. Kann ein Lieferant z.B. die Anforderung der umweltgerechten Produktion oder des Unterbleibens von Kinderarbeit nicht nachweisen, so muss der Konstrukteur auf eine andere Bezugsquelle ausweichen.

Ändert sich mit der Nutzung von digitalen Produktbeschreibungen die Arbeit des Konstrukteurs in seinen Systemen?

Ja. Heutige „schlanke“ digitale Zwillinge, die aktuell z.B. nur die Geometrien und wenige mechanische und elektrische Eigenschaften bereitstellen, sind bereits im Gebrauch. Künftige digitale Zwillinge werden deutlich „fülliger“, indem sie umfassende Merkmalsbestände bereitstellen, die noch über die in Datenblättern genannten Eigenschaften hinausgehen. Konstruktion und Simulation werden dadurch erhebliche Effizienzgewinne erfahren.

Wie wird sich das auf die CAx-Systeme auswirken?

Anbieter von CAx-Systemen bieten zunehmend die Möglichkeit an, digitale Zwillinge über standardisierte API-Schnittstellen einzulesen, so dass diese digitalen Repräsentationen von Komponenten für den Konstruktionsprozess verfügbar werden. Einer der dabei genutzten Standards ist Eclass zur Klassifikation und Merkmalsbeschreibung.

Einen gängigen Weg zur Reduzierung solcher Kostenfaktoren stellt die Nutzung von Standards dar. Ein insbesondere in industriellen Wertschöpfungsketten verbreiteter Referenz-Datenstandard für die Klassifizierung und eindeutige Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen ist der ISO- und IEC-konforme Eclass-Standard für die Klassifizierung und eindeutige Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen. Der aktuell in der Version 13.0 vorliegende Standard ermöglicht es Unternehmen, global zusammenzuarbeiten, indem sie die standardisierten Stammdaten ihrer Produkte austauschen.

Die Nutzung digitaler Produktstandards zur Beschreibung der Nachhaltigkeitskennzahlen bietet der Studie zufolge verschiedene mikro- und makroökonomische Vorteile:

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  • Der Aufwand und die Kosten für die Erfassung der Nachhaltigkeitskennziffern reduzieren sich gegenüber analogen Lösungen erheblich. Die Unternehmen und der Standort Deutschland gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit.
  • Informationen über angepasste Nachhaltigkeitswerte bei Zulieferern und Vorleistungsprodukten können direkt über bestehende Systeme in die eigene Nachhaltigkeitsberichterstattung übernommen werden. Informationsverluste bei der Überführung aus nicht standardisierten Informationsquellen werden vermieden. Die Anpassung der Nachhaltigkeitsziffern erfolgt zeitnah und effizient.
  • Verletzungen von Berichtspflichten und damit verbundene mögliche Strafen werden vermieden. Damit werden die finanziellen Risiken der Unternehmen reduziert.
  • Durch die einfache Erfassung der Nachhaltigkeitskennziffern werden kostenbasierte Anreize der Unternehmen zur Konzentration auf möglichst wenige Zulieferer aus möglichst entwickelten Ländern beschränkt. Eine Schwächung der Resilienz der Lieferketten wird vermieden. Die entwicklungsfördernde Einbindung der Unternehmen aus ärmeren Ländern in die internationalen Wertschöpfungsnetzwerke bleibt erhalten.
  • Unternehmen hätten durch die erhöhte Transparenz der Nachhaltigkeit vergleichbarer Produkte zudem die Möglichkeit, die Nachhaltigkeit ihres Einkaufsportfolios gezielt zu steuern. Im Wettbewerb mit anderen Unternehmen könnten sie verstärkt dazu motiviert werden, die Nachhaltigkeit ihrer eigenen Prozesse zu verbessern.
  • Eine standardisierte digitale Nachhaltigkeitsbeschreibung von Produkten brächte die Chance mit sich, abweichende Erfassungsmethoden einzelner Unternehmen durch die Erkennung von stark abweichenden Kennzahlen zu identifizieren und diese im Nachgang anzugleichen. Dies könnte zu einer schnelleren Normierung und Vereinheitlichung der Methodik zur Erfassung der CO2-Kennzahlen von Produkten und Unternehmen führen.
  • Der Austausch von spezifischen, standardisierten Informationselementen über digitale Schnittstellen ist zudem eine der zentralen Voraussetzungen für die effektive Nutzung digitaler Zwillinge und anderer Anwendungen aus dem Bereich Industrie 4.0. Die Plattform Industrie 4.0 (2021) empfiehlt hier den Eclass-Standard explizit als das bevorzugte Wörterbuch für die standardisierte semantische Asset Administration und die Definition digitaler Zwillinge.
  • Die digitale Erfassung der Warenströme ermöglicht zudem die Umwandlung der unternehmerischen Prozesse hin zu einem zirkulären Geschäftsmodell, beispielsweise durch die vereinfachte Wiederverwertung von Roh-/Betriebs-/Hilfsstoffen, Produkten und Produktteilen (Fluchs, 2022). Die Erfassung der Nachhaltigkeitsbilanz eines Unternehmens mittels in den Eclass-Standard integrierter Nachhaltigkeitskennzahlen reduziert im Vergleich zur analogen Beschaffung der Informationen Aufwand und Kosten für die Unternehmen.
  • Zusätzlich werden auch in den Bereichen Engineering und Vertrieb hohe Nutzungspotenziale durch die Eclass-Nutzer verortet. Rund 75 Prozent der Unternehmen führen bessere Ergebnisse im Entwicklungsprozess des Engineerings auf die Nutzung des Standards zurück.
  • Für rund 40 Prozent der befragten Unternehmen ist die Nutzung des Standards im Vertrieb mitentscheidend für die Gewinnung von Neukunden (Klink et al., 2020).

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