Hydraulik „Unser Ziel ist es, Applikationsprozesse zu vereinfachen“
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Hydraulik in mobilen Maschinen ist seit Jahrzehnten ein Erfolgsrezept. Dank Digitalisierung und Elektrifizierung ergeben sich viele neue Möglichkeiten, Hydraulik noch effizienter und leistungsstärker zu machen. Dr. Matthias Schreiber, CEO bei Linde Hydraulics, blickt mit uns auf die Trends der Branche.

konstruktionspraxis: Herr Dr. Schreiber, inwieweit haben sich die Anforderungen der Baumaschinen-Branche an Ihre Produkte in den letzten Jahren geändert?
Dr. Matthias Schreiber: Vor allem der Systemgedanke spielt in Fahrzeugen eine zunehmend wichtige Rolle. Es wird nicht mehr nach einzelnen Komponenten entschieden, sondern in Systemen gedacht. Das Zusammenspiel aller Komponenten ist wichtig. In unserem Fall geht es um Pumpen, Ventilblöcke, Motoren und die gesamte Fahrzeugperipherie – all diese Komponenten müssen als System funktionieren. Daher sehen wir einen ganz klaren Trend zu mehr elektronisch gesteuerten und geregelten Komponenten. Früher gab es auch mechanische und hydraulische Verstellungen – heute geht alles in Richtung Elektronik. Wichtig dabei ist eine optimale Abstimmung der Hard- und Software. Im Steuergerät muss es also eine Intelligenz geben, die die Optimierung des Gesamtsystems ermöglicht.
Wie reagieren Sie auf diese Veränderungen?
Schreiber: Wir bieten elektronisch geregelte Pumpen, Motoren und Ventile an. Außerdem haben wir derzeit eine neue Steuergerätebaureihe sowie die passende modulare Software in der Entwicklung. Wichtig ist, dass wir die Applikation in die Maschine schnell und unkompliziert für verschiedene Anwendungen anbieten können. D. h. im Idealfall werden auf Simulationsbasis Parameter vorgegeben und so die Komponenten auf dem Fahrzeug appliziert, ohne zu viel Feldversuche und zu viel Programmierung.
Applikationsprozesse vereinfachen – das ist unser Ziel. Man sollte also weder Schieber und Umsteuerung mechanisch verändern müssen, noch Komponenten aufwändig anpassen oder Softwarecodes schreiben müssen, um eine Funktion darstellen zu können. Im Idealfall bringt man die passenden Komponenten aus einem Baukasten in das Fahrzeug, kombiniert das Steuergerät, stellt die Parameter ein und erhält so eine funktionsfähige Lösung – quasi ein Plug-and-play-System für den OEM.
Welche Ziele möchten Sie damit erreichen?
Schreiber: Hier kann man im Prinzip drei Punkte nennen: Effizienzverbesserung, Komfortgewinn und Automatisierung. Sobald Elektronik ins Spiel kommt, kann man gut ins Fahrzeug eingreifen und diese Ziele realisieren. Das sind jetzt Trends, mit denen wir uns heute schon beschäftigen – die also eher einen kurzfristigen Bereich abdecken.
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Baumaschinen-Branche
Bilder und Highlights von der Bauma 2022
Welche Trends zeichnen sich eher auf lange Sicht ab?
Schreiber: Im längerfristigen Bereich sehen wir den Trend zu neuen Energiequellen. Batterien im Stapler sind heute schon Standard und das wird auch für etwas größere Fahrzeuge kommen. Der Trend wird sich fortsetzen: Batterien werden günstiger, besser, langlebiger, leistungsdichter – auch wenn der Weg bis zum Feldhäcksler oder Forstvollernter noch ein sehr weiter Weg sein wird.
Wie gehen Sie mit der zunehmenden Elektrifizierung von Baumaschinen um?
Schreiber: Die Elektrifizierung für rotatorische Antriebe – also z. B. den Fahrantrieb eines Gabelstaplers – schreitet zunehmend voran und nimmt auch langsam den Weg in Richtung größere Fahrzeuge.
Bei linearen Antriebsaufgaben wird allerdings auch langfristig die Hydraulik ihre Berechtigung behalten. Insbesondere Hydraulikzylinder, die über eine Hydraulikpumpe und einen Ventilblock das Öl im Fahrzeug für verschiedene Funktionen verteilen, sind in Sachen Leistungsdichte, Kosten und Robustheit kaum zu schlagen. Natürlich kann es sein, dass diese zunehmend auch elektrisch angetrieben werden können. Die wichtige und anderweitig kaum besser umsetzbare Aufgabe der Hydraulik ist es, die Bewegung und Energie flexibel im Fahrzeug zu verteilen.
2022 haben Sie einen neuen Doppelmotor mit Dry-Case vorgestellt – was steckt dahinter?
Schreiber: Dahinter verbirgt sich ein neues Motorgehäuse, dank dem wir unsere Motoren noch effizienter gestalten können. Die Gehäuse sind normalerweise mit Öl gefüllt. Das bedingt gewisse Schleppverluste. Wir saugen das Öl nun aus dem Gehäuse ab – stellen dabei natürlich sicher, dass genügend Öl für Kühlung und Schmierung vorhanden ist. Somit schaffen wir es die Schleppverluste zu minimieren und so etliche kW an Verlustleistung zu verhindern – insbesondere bei Anwendungen mit hohen Drehzahlen. Die Technik dahinter ist ein USP für uns. Kein Wettbewerber beherrscht diese Technologie.
Für welche Anwendungen eignet sich diese Dry-Case-Technologie besonders?
Schreiber: Anwendungen, bei denen hohe Drehzahlen zu großen Zeitanteilen stattfinden, sind besonders geeignet für unsere Dry-Case-Technologie. Aktuell ist sie z. B. in einem Claas-Telehandler verbaut, der im Einsatz beim Materialumschlag gewisse Geschwindigkeiten (bis zu 40 km/h) erreicht.
Denn bei hohen Drehzahlen und Geschwindigkeiten hat man bei hydraulischen Systemen eigentlich immer höhere Verluste als bei mechanischen Antriebssystemen. Ein Vorteil der Hydraulik ist allerdings, dass man mit ihr aus dem Stand heraus stufenlos mit sehr hohem Drehmoment bis zur vollen Geschwindigkeit losfahren kann. Dank der Dry-Case-Technologie gleichen wir oben genannte Nachteile aus, indem wir die Verluste bei hohen Drehzahlen drastisch reduzieren, während die Vorteile der Hydraulik voll ausgenutzt werden können.
Gibt es Dry-Case derzeit ausschließlich in Kombination mit dem Doppelmotor?
Schreiber: Ja – wir bieten es in Serie in Verbindung mit dem Doppelmotor an. Allerdings denken wir bereits darüber nach, es für andere Komponenten weiter auszubauen, da das Marktinteresse sehr groß ist.
Wie funktioniert der Doppelmotor und welche Vorteile bringt er mit sich?
Schreiber: Der Doppelmotor ist im Prinzip ein Motor, der die Verstellung in der Mitte hat. Doppelmotor heißt, es gibt zwei Axialkolbenmaschinen mit einer mittigen Verstellung, sodass über die Schrägscheibe beide Einheiten identische verstellt werden können. Beide Seiten haben einen Abtrieb, sodass Vorder- und Hinterachse gleichzeitig angetrieben werden können.
So wird kein zusätzliches Dropbox-Getriebe benötigt, um eine gewisse Untersetzung zu erreichen und um den Abtrieb nach vorne und hinten realisieren zu können. Die Technik ist direkt im Antriebsstrang verbaut und man erhält beide Abtriebsrichtungen zu den Kardanwellen zu Vorder- und Hinterachse.
Vielen Dank Herr Dr. Schreiber.
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