Cobots Mehr Sicherheit in der Mensch-Cobot-Interaktion
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Cobots finden zunehmend industrielle Anwendung. Ohne Schutzzaun interagieren sie direkt mit den Menschen. Das stellt besondere Anforderungen an die Arbeitssicherheit. TÜV SÜD informiert über Normen, Regelungen und neue, flexible Schutzkonzepte.

Viele Unternehmen benötigen mehr Flexibilität, um schneller auf Kundenwünsche oder die Anforderungen des Marktes zu reagieren. Hier spielen leichte, vielseitig einsetzbare kollaborative Roboter (Cobots) ihre spezifischen Vorteile aus, die fest installierte Industrieroboter nicht bieten. Cobots lassen sich in den Produktionshallen von Standort zu Standort bewegen und relativ einfach in neue Arbeitsprozesse integrieren. Während Industrieroboter sogenannte Einhausungen benötigen, sind Cobots zu einer echten Kollaboration mit den Mitarbeitern fähig.
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Vollstanznieten
Kollaborativer Roboter hilft in der Flugzeug-Endmontage
Die Voraussetzung für eine sichere Zusammenarbeit ist eine umfassende, anwendungsspezifische Risikobeurteilung. Diese ist bei der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) ohne Schutzzaun komplex und verlangt von den Verantwortlichen genaue Kenntnisse der geltenden Gesetze und Normen. Fehlen diese im Unternehmen, unterstützen unabhängige Prüforganisationen mit langjähriger Erfahrung in der Beurteilung von Robotersystemen bei der Planung und Implementierung von Cobot-Applikationen.
Vier Schutzziele für die Zusammenarbeit
Basis für eine sichere Verwendung ist die entsprechende Konstruktion der Cobots. Die technische Spezifikation ISO/TS 15066 – Robots and robotic devices – Collaborative Robots legt Sicherheitsanforderungen an die Cobots und deren Arbeitsumgebung fest. Außerdem ergänzt sie die in der ISO 10218-1 und der ISO 10218-2 genannten Anforderungen und Anleitungen zum Betrieb von kollaborierenden Industrierobotern.
Die EN ISO 12018 Industrieroboter-Sicherheitsanforderungen“ definiert vier grundsätzliche Schutzziele für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Cobot:
- 1. Sicherheitsgerichteter, überwachter Stillstand: Kameras oder optische Sensoren überwachen den Arbeitsbereich und berechnen Schutzzonen. Der Roboter stoppt, wenn sich ein Mensch in der Schutzzone aufhält. Kollisionen werden vermieden, doch bei dieser Art der Koexistenz von Mensch und Roboter gibt es keinen gemeinsamen, gleichzeitig genutzten Arbeitsraum.
- 2. Handführung: Der Roboter wird manuell durch den Menschen aktiv gesteuert. Die maximale Geschwindigkeit des Roboters wird im Rahmen einer Risikobeurteilung festgelegt.
- 3. Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung: Messsysteme überwachen die Umgebung des Cobots automatisch und reduzieren die Geschwindigkeit abhängig vom Annäherungsgrad bis hin zum Sicherheitshalt. Es gibt keinen Kontakt zwischen Cobot und Mitarbeiter.
- 4. Leistungs- und Kraftbeschränkung: Ein Kontakt zwischen Cobot und Mensch ist möglich. Die Kontaktkräfte werden bei Annäherung begrenzt, Verletzungen werden so vermieden.
Die Roboter-Applikation erhält ein CE-Kennzeichen, wenn die abschließende Risikobeurteilung bestätigt, dass sie sicher und rechtskonform ist.
Jährliche Prüfung vorgeschrieben
Einige Schutzziele, wie der überwachte Stillstand, werden mit berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen (BWS) realisiert. Zu diesen zählen neben Lichtvorhängen und Laserscannern auch drucksensitive Systeme. BWS reagieren, sobald der geforderte Mindestabstand unterschritten wird. Laut DIN EN IEC 62046 Sicherheit von Maschinen – Anwendung von Schutzeinrichtungen zur Anwesenheitserkennung von Personen müssen BWS bei der Inbetriebnahme und jährlich wiederkehrend durch eine befähigte Person geprüft werden. Hersteller fordern zusätzlich, die Systeme regelmäßig auf Beschädigungen oder Verschmutzungen zu untersuchen.
In die Sicherheitsbetrachtung muss immer die gesamte Einbausituation, der Auslösevorgang und der Nachlauf einbezogen werden. Denn der Cobot und seine Extremitäten bewegen sich in der Zeitspanne zwischen Ausschalten und Stillstand weiter. Die Betriebs- und Prüfbedingungen sind somit nicht konstant. Die Positionen der Sensoren und Messsysteme werden daher vorausschauend geplant und abgestimmt.
Grenzwerte zum Schutz der Mitarbeiter
Ist ein Kontakt zwischen Cobot und Mitarbeiter notwendig, bestehen potenziell Verletzungsrisiken. Diese sind am Kopf, am Oberkörper und an den Armen am höchsten. Hersteller und Betreiber sollten messen, wie hoch die auftretenden Kräfte sind und darauf basierend sinnvolle Gegenmaßnahmen treffen bzw. diese kombinieren. Möglich sind eine Begrenzung der Kräfte, eine Minderung der Geschwindigkeit, eine Vergrößerung der Kontaktfläche oder eine Teilumhausung.
Treffer am Kopf sind besonders risikobehaftet. Hier beträgt die maximal zulässige Stoßkraft 90 Newton (N). Der Wert für die Flächenpressung darf 20 N/cm2 nicht überschreiten. Diese Grenzwerte nennen die BG/BGIA-Empfehlungen für die Gefährdungsbeurteilung nach Maschinenrichtlinie – Gestaltung von Arbeitsplätzen mit kollaborierenden Robotern. Ein Beispiel: Bei einem Stoß mit einer Kraft von 231 N und einer Kontaktfläche von 7 cm2 ergibt sich für die Flächenpressung ein Wert von 33 N/cm2. Dies sind 65 % mehr als erlaubt –zusätzliche Schutzmaßnahmen sind demnach zwingend erforderlich.
Dynamische Sicherheitszonen
BWS sind unverzichtbar, jedoch wenig flexibel. Klassisch ausgeführt reagieren sie immer gleich. Ist der Abstand zwischen Mitarbeiter und Cobot geringer als der programmierte Mindestabstand, hält eine BWS die Maschine an und unterbricht den Arbeitsvorgang. Dies geschieht auch, wenn Mensch und Maschine sich bereits voneinander entfernen. Das beeinträchtigt wiederum die Produktivität. Diese unlogischen Muster lassen sich reduzieren, wenn das Verhaltensrepertoire des Roboters erweitert wird.
Vielversprechend ist der Ansatz der dynamischen Sicherheitszonen. Hier analysieren und bewerten Sicherheitssysteme das Verhalten von Mensch und Cobot sowie die daraus resultierenden Gefahren. Es ist allerdings äußerst schwierig, bereits während der Planung die exakten Wechselwirkungen während des laufenden Betriebs vorherzusehen, insbesondere bei variablen Umwelt- und Prozessbedingungen. Softwarebasierte Ansätze tragen künftig dazu bei, diese Herausforderungen zu meistern.
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Schutzumzäunung für Roboter richtig auswählen
Vorausschauende Sicherheitssysteme
Ein im Kontext von Industrie 4.0 entwickeltes Konzept ist die adaptive Sicherheit von kognitiven Produktionssystemen. Der Grundgedanke ist, Sicherheit bedarfsgerecht zu gewährleisten und dabei die Produktion möglichst nicht einzuschränken. Das Konzept wurde nicht speziell für die MRK entwickelt, findet aber hier besondere Anwendung. Lernende Systeme mit Algorithmen zur Steuerung der Sensoren und Aktoren sollen die Entwicklung dynamischer Prozesse prognostizieren und die Extremitäten des Cobots so steuern, dass die Sicherheit der Mitarbeiter auch bei enger räumlicher Zusammenarbeit jederzeit gewährleistet ist.
Neben der Sicherheit spielt vor allem die Verfügbarkeit bei Smart Factories eine zentrale Rolle. Deren modulare Produktionsanlagen werden schnell und flexibel nach Bedarfslage zusammengestellt. Anschließend muss die geänderte Anlagenkonfiguration neu bewertet werden. Dies kostet Zeit und ist in der Regel mit Produktionsstillständen verbunden. Automatisierte Zertifizierungsprozesse minimieren diese Effekte, indem sie möglichst zur Laufzeit feststellen, ob die verkettete Maschinenanlage normenkonform ist. Realisiert werden soll dieses Szenario mit Systemen, die automatisch nach klar definierten Regeln Freigaben für das Gesamtsystem erteilen.
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7. Anwendertreff Maschinensicherheit
Safety von der Gebrauchtmaschine bis zur KI
Sicherheit frühzeitig berücksichtigen
Erfolgreiche Cobot-Projekte zeichnet aus, dass die vermeintlichen Antagonisten Sicherheit und Verfügbarkeit bereits in der Planungsphase mitberücksichtigt werden. Betriebsleiter sollten die geltenden Normen und Regelungen kennen und unternehmensspezifische Anforderungsprofile mit den Spezifikationen verfügbarer Cobot-Systeme abgleichen. Unerlässlich sind außerdem eine umfassende Risikobeurteilung und die passenden Prüfansätze.
TÜV SÜD Industrie Service unterstützt Hersteller und Betreiber dabei, anwendungsspezifische Sicherheitskonzepte zu entwickeln, um die Mitarbeiter zu schützen – ohne die Produktion zu beeinträchtigen.
* Pascal Staub-Lang ist Leiter des Kompetenzzentrum Maschinensicherheit, TÜV SÜD Industrie Service.
* Matthias Herold ist Gruppenleiter Risiko und Zuverlässigkeit, TÜV SÜD Industrie Service.
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