Servomotor In dieser Antriebslösung steckt Musik

Redakteur: Karin Pfeiffer

Was hat eine Drehorgel mit Smart Motor-Servos gemeinsam? Stanzarbeit für die Musikstücke von der Rolle. Drehorgelspieler Winfried Klein und Ingenieure von Moog Animatics haben in jahrelanger Tüftelarbeit eine automatisierte Lösung für das Stanzen von Musik auf Papierbänder entwickelt.

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Die Pfeifen von Drehorgeln werden über ein Lochband angesteuert, das über die Tonabnehmer-Lochleiste geführt wird. Ein Loch im Band leitet den Wind zum Ventil, die Pfeife erzeugt einen Ton. Bleibt das Papierband geschlossen, bleibt auch die Pfeife bleibt stumm.
Die Pfeifen von Drehorgeln werden über ein Lochband angesteuert, das über die Tonabnehmer-Lochleiste geführt wird. Ein Loch im Band leitet den Wind zum Ventil, die Pfeife erzeugt einen Ton. Bleibt das Papierband geschlossen, bleibt auch die Pfeife bleibt stumm.
(Bild: ©Otmar Smit - stock.adobe.com)

Im ersten Moment ist man vielleicht geneigt zu denken, dass in der Drehorgel von Winfried Klein die eingebauten Smart Motor-Servos von Moog das Instrument antreiben. Das ist zwar nicht der Fall, aber essenziell sind sie für den Drehorgelspieler trotzdem. Eine Antriebslösung, in der eine Menge Musik steckt also.

Aber der Reihe nach. Drehorgeln sind in der Welt von Antriebstechnik und Automatisierungslösungen eine Applikation für sich. Dieses Instrument erzeugt ganz ähnlich der Kirchenorgel über Pfeifen unterschiedliche Tonhöhen und Klangfarben: zwischen 16 bis 54 Pfeifen bei nur einem Klangregister, bei mehreren Registern auch entsprechend mehr. Luft oder genauer der „Wind“ strömt in die Pfeifen und Steuerungsventile über ein Balgsystem, das per Kurbel angetrieben wird.

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Im Gegensatz zur großen Kirchenorgel besitzt eine Drehorgel jedoch keine Tastatur. Findige Instrumentenbauer kamen schon vor Jahrhunderten auf die Idee, das Spielen der Pfeifen zunächst über Stiftwalzen, später auch über ein Lochband aus dickerem Papier oder Karton anzusteuern, welches über die Tonabnehmer-Lochleiste geführt wird. „0“, also ein Loch im Band, ermöglicht die Leitung des Windes zum Ventil und den Ton der jeweiligen Pfeife. Bei „1“ bleibt das Papierband geschlossen. Das verhindert die Strömung, die Pfeife bleibt stumm. Auf diese Weise bildet jedes Lied ein bestimmtes Muster aus Löchern im Papierstreifen.

Für ein Klangregister mit 16 bis 54 Pfeifen hat eine Papierbahn entsprechend 16 bis 54 Spuren. In Querbahnrichtung liegt die Information, welche Pfeife pro Zeiteinheit angesprochen wird: in Längsrichtung, wie oft im Stück die jeweilige Pfeife adressiert wird oder durch direktes Anreihen von Löchern, wie lange der Ton gehalten wird. Bei 28 m Bahnlänge lassen sich von der aufgerollten Papierbahn circa 8 min Musik abspielen.

Automatisiertes Löcher-Muster

Die Herausforderung für Drehorgelspieler: Ihr Instrumenten verfügt nicht über die gesamte stufenlose Tonskala. Musikstücke waren für die Drehorgel-Applikation erstmal zu adaptieren und neu zu arrangieren. Dann wurden mit Hammer und kleinen Stanzbolzen die Löcher in die Papierbahn geschlagen – ein mühsames und aufwendiges Unterfangen, vom Anspruch an die Genauigkeit bei handwerklichen Arbeit ganz zu schweigen. Der Drehorgelspieler Winfried Klein fand für sich da beispielsweise Schablonen, Nadeldruckervorlagen und umgebaute Nähmaschinen mit Rastereinstellungen als „Halbautomaten“ schon sehr hilfreich.

Im Zuge der Computerisierung ergaben sich für ihn neue Möglichkeiten, Musikstücke für Drehorgeln umzusetzen. Als Arbeitserleichterung ließ sich zumindest das Lochmuster als Vorlage ausdrucken. Elektromechanische Hilfsmittel erleichterten den Kraft-Aspekt der Stanze. Aber die genaue Positionierung der Papierbahn blieb viele Jahre Handarbeit. Doch der Erfindergeist war bei Winfried Klein geweckt: „Es muss doch Möglichkeiten geben, die Stanzinformation digital auszulesen, einen Vorschub der Papierbahn, eine Positionierung quer zur Bahn und das Stanzen automatisiert zu realisieren“, so Anspruch des Experten, der dafür eine automatisierte Lösung entwickelte.

Eine Kernkomponente der Entwicklung von Klein sind voll integrierte Smart Motor-Servos von Moog Animatics aus der Moog Industrial Group. Jedes Motorgehäuse beinhaltet einen BLDC Motor mit hoher Leistungsdichte, Antriebsregler, Leistungsverstärker, einen hochauflösenden Drehgeber und frei definierbare Ein- und Ausgänge. Damit sind Feedback- und Steuerungskabel, I/O-Blöcke und Schaltschränke nicht erforderlich. Die Kommunikation der eingesetzten Smart Motor-Servos untereinander regelt den Ablauf eigenständig: „Setze das erste Stück Vortrieb – bin an Position – jetzt quer zur Bahn fahren – an den relevanten Stellen genau anhalten – hier stanzen – Stanze ist wieder aus dem Papier gezogen – fahre an nächste relevante Stelle – usw.“, skizziert Klein die Befehlskette fürs Stanzen.

Die Eckdaten:

Update Antriebstechnik – Praxisforum für Konstrukteure

Datum: 14. September 2021
Uhrzeit: 8:45 bis 18:00 Uhr
Ort: Vogel Convention Center, Würzburg

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Befehlskette, Statusmeldungen plus genaueste Positionierung bei gleichzeitig möglichst geringem elektrischen Ver-brauch: Das Anspruchsniveau dieser musikalischen Applikation ist ähnlich hoch wie in der Industrie.

Drei Servomotoren sitzen in der Stanzmaschine

Die Stanzmaschine erhält ihre Befehlssequenz über die Midi-Schnittstelle des PCs. Midi heißt die Norm, in der digitale Musikinstrumente oder Musiksoftware miteinander kommunizieren. Auf dem Trägergerüst aus Normbauteilen arbeitet ein XYZ-Portal (Vorschub, Querschub, Stanzen) im Prinzip wie eine CNC-Maschine mit hoher Genauigkeit. Drei voll integrierte Smart Motor-Servos generieren die Bewegungen der Papierrolle, den Verfahrweg des Stanzwerkzeugs und das Stanzen selbst. Verschiedene Breiten an Papierbändern sind einstellbar. Je nach Musikstück werden oft 50.000 und mehr Löcher in die Papierbahn gestanzt – eine enorme Arbeitserleichterung gegenüber der manuellen Stanzarbeit von einst.

Aber ist die spezifische Genauigkeit wie in der CNC-Bearbeitung überhaupt erforderlich? Genaugenommen setzt das Verhalten der Papierbahn neue Rahmenbedingungen. Zum einen drückt die Stanze die Papierbahn bei Eintritt ins Papier etwas nach unten, beim Herausziehen der Stanze andererseits haftet das Papier noch am Werkzeug und lässt sich ein Stück weit nach oben mitziehen. Kurz: Das Band flattert. Man könnte nun die Maschine langsam laufen lassen, damit die Effekte nicht zum Tragen kommen und die Papierbahn nicht reißt. Doch lautet das Ziel, eine hohe Produktivität zu erreichen, also mit einer Geschwindigkeit zu arbeiten, die nah den Belastungsgrenzen der Papierbahn liegt. Dieses Ziel peilen Drehorgel-Experte Klein und Ingenieure von Moog Animatics bei ihrer sukzessiven Weiterentwicklung des Stanzautomaten an, in der schon viele Jahre Entwicklungsarbeit stecken.

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Geschwindigkeit der Kurbeldrehung dynamisch ändern

Da sich der Rollendurchmesser beim Kurbeln des Papierbandes kontinuierlich verändert, die „transportierte Musik“ so beim Aufwickeln auf die Kurbelspule immer dicker aufträgt und dadurch schneller wird, gleicht der erfahrene Drehorgelspieler diesen Effekt, Spiralverzug genannt, durch dynamische Änderung seiner Kurbeldrehung aus.

Es besteht aber auch die Möglichkeit, diese Dynamik bereits in der Papierbahn bzw. der Stanzfolge zu berücksichtigen, einerseits über die Software, andererseits in den Elektroniken der integrierten Smart Motor-Servos. Mit dieser Funktionalität lassen sich auch Bänder herstellen, die in (gleichmäßig) motorisch angetriebenen Drehorgeln Verwendung finden.

Während andere Hersteller die Papierbänder und -rollen mit den einmal zusammengestellten Stücken unter großem Platzverbrauch auf Vorrat lagern, nutzt Drehorgelspieler Winfried Klein die digitalen Vorteile. Aus seinen weit über 5.000 gespeicherten Musikstücken kann er einen individuellen Mix zusammenstellen und mit der automatisierten Stanze je nach Kundenwunsch ein neues Papierband abrufen und herstellen, ganz ohne Rollen-Lager.

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