Auf freie Fahrt gestellt
Die Deutsche Bahn AG betreibt in Deutschland mehr als 1.900 Stellwerke. Eine der Anlagen, das elektronische Stellwerk Mannheim Rheinau, liegt an der Bahnstrecke Mannheim-Karlsruhe. Die aus Polen, der Schweiz und dem Saarland kommenden Güterzüge, die vorwiegend Kohle geladen haben, nutzen die Schienenverbindung zur Versorgung des Kohlegroßkraftwerks Mannheim. Die Gleise werden außerdem von S-Bahnen befahren sowie als ICE-Ausweichstrecke genutzt. Das ESTW Mannheim-Rheinau stellt Weichen und Signale elektronisch
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Seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Weichen und Signale in Rheinau über Drahtzüge gestellt. Da auf diese Weise nur kurze Entfernungen überbrückt werden können, wurden im über 10 km langen Gleisabschnitt mehrere mechanische Stellwerke betrieben. Im Zuge der Rationalisierung der Stellwerksbedienung wird dieser Bereich nun von einem elektronischen Stellwerk überwacht und zukünftig von der Betriebszentrale Karlsruhe aus fernbedient. Dass unter der Federführung von Bombardier Transportation gebaute elektronische Stellwerk Mannheim-Rheinau (ESTW) wurde im März 2006 in Betrieb genommen. Bombardier Transportation gehört zum internationalen Konzern Bombardier Inc. mit Hauptsitz in Kanada und zählt zu den weltweit führenden Anbietern innovativer Verkehrslösungen.
Konzernweiter Einsatz neuer Technologien
Das neue elektronische Stellwerk ist das erste im deutschen Markt ausgelieferte Stellwerks-System vom Typ ESTW B950, das auf der bereits weltweit eingesetzten Plattform EBILock 950 basiert, die nun zukünftig auch von der Deutsche Bahn konzernweit eingesetzt werden wird.
Das Stellwerk-System, welches basierend auf verschiedenen Rechnerplattformen eine sichere Steuerung des Zugverkehrs gewährleistet, steuert in dieser Anlage unter anderem 60 Signale, 36 Weichen und Gleissperren sowie einen Bahnübergang und ist über Blockschnittstellen an die Nachbarbahnhöfe Mannheim Hauptbahnhof, Mannheim Rangierbahnhof sowie Schwetzingen angebunden. Ausgestattet mit einer Zugnummern-Meldean-lage und einer automatischen Zug- lenkung ist das ESTW für die Fernbedienung aus der Betriebszentrale in Karlsruhe gerüstet (Bild 1).
Das Automatisierungssystem Automationworx von Phoenix Contact übernimmt die Überwachung und Steuerung der Schaltschrank-Funktionen in den ESTW-Gebäuden in Neckarau und Rheinau. Es stellt die Zustandsdaten der gesamten Anlage dem Diagnose-Rechner des Stellwerk-Systems über die standardisierte OPC-Schnittstelle zur Verfügung. Mit dieser Technologie wird ein von der Stellwerks-Technik unabhängiges Infrastruktur Diagnose-System mit eigener redundanter Spannungsversorgung aufgebaut, mit dem die Peripherie der Sicherungstechnik in den Stellwerken kontrolliert wird.
Signalerfassung erfolgt dezentral
Da das modular aufgebaute Stellwerk-System ESTW B950 schnelle Auf- und Umbauten ermöglicht und die Kosten für Verkabelung und Ersatzteilhaltung durch Standardkomponenten minimiert, bot sich das hochmodulare I/O-System Inline aus dem Automationworx-Systembaukasten für die Aufnahme und Ausgabe der dezentralen Signale in den Schaltschränken an.
Das Inline-System stellt alle Standardfunktionen wie digitale und analoge Ein- und Ausgänge, Prüf- und Temperaturregelungsfunktionen zur Verfügung und dient dabei dem Instand- haltungspersonal als Hilfestellung bei der Fehlersuche im Stellwerk. Die Inline-Station werden bereits im Werk in den Schränken verbaut (einfaches Zusammenstecken aufrasten auf eine Tragschiene).
Die Schaltschränke sind über das Feldbussystem Interbus vernetzt, das eine universelle Netzwerkstruktur sowie die Verwendung verschiedener Übertragungsmedien wie Kupfer oder Lichtwellenleiter ermöglicht. Die Anschlüsse dieser Stationen – je Schrank ausgerüstet mit einem Buskopf – werden über ein vom Stellwerkshersteller festgelegten Standardstecker am Schrank-ausgang standardisiert zur Verfügung gestellt.
Vor Ort werden die Schränke dann nur durch Verbindungskabel verbunden. Alle weiteren Tätigkeiten, die mit der Schaltschrankverdrahtung verbunden sind, entfallen: der Busanschluss, die Potenzialgruppenbildung, die Spannungsversorgung sowie die Absicherung der Stromkreise.
Über das Inline-System werden in jedem ESTW-Schaltschrank beispielsweise die Schaltschranktemperaturen gemessen sowie davon abhängig die stromüberwachten Lüfter geschaltet. Die unterbrechungsfreie Stromversorgung, die komplette Netzersatzanlage aber auch die Energieverteilung im Gebäude sowie ins Gleisfeld sind ebenfalls über dieses System angebunden und werden darüber vom Stellwerk überwacht.
Durchgängige Programmierung
Die Intelligenz in diesem Überwachungs-System sowie die Kopplung zum Diagnoserechner übernimmt der Inline-Controller ILC 200 Uni, der gemäß der Norm IEC 61131-3 programmiert wird. Mit der ILC-Familie bietet Phoenix Contact modulare Kompaktsteuerungen für alle Leistungsanforderungen. Die Besonderheit des ILC 200 Uni liegt dabei in der offenen Schnittstelle zu überlagerten Systemen.
Aus den Busköpfen im Inline-System wählt der Anwender einfach die Komponente aus, die die Anbindung an das Leitsystem regelt. Neben dem Ethernet-Buskopf, der im ESTW verwendet wird, sind Busköpfe für Profibus DP, Interbus, Canopen, Modbus und DeviceNet verfügbar (Bild 2).
Die Steuerungen der ILC-Familie von Phoenix Contact werden durchgängig mit der Automatisierungssoftware PC Worx programmiert. Dabei kann der Programmierer auf alle in der IEC 61131-3 definierten Sprachen wie Anweisungsliste (AWL), Funktionsbausteinsprache (FBS), Kontaktplan (KOP), Ablaufsprache (AS) oder Strukturierter Text (ST) zurückgreifen. Neben der Programmierumgebung wurde ein Buskonfigurator in PC Worx integriert, um die Netzwerkstrukturen im Interbus- oder Profinet-System zu projektieren. Im Stellwerksumfeld wird daher nur eine Software benötigt, um das gesamte Überwachung des Stellwerk-Systems durchgängig zu programmieren, zu konfigurieren und zu diagnostizieren.
Eine weitere Herausforderung war die Vernetzung der Schaltschrank-Überwachung der beiden Stellwerke in Rheinau und Neckarau. Alle Diagnosedaten sollen zentral auf dem überlagerten Diagnoserechner in Rheinau auflaufen. Für die Übertragung standen lediglich herkömmliche Fernmeldeleitungen mit wenigen Adern zur Verfügung
Hier bietet sich der Einsatz der Lösung „Automationworx-for-Remote-Systems“ an, die die IEC 61131 um fernwirktechnische Funktionen erweitert. In Kombination mit den entsprechenden Standleitungs-Modems von Phoenix Contact lässt sich der Inline-Controller auf Basis einer Standleitung bis zu einer Distanz von 20 km vernetzen. Funktionsbausteine in der PC Worx-Programmieroberfläche ermöglichen die einfache und komfortable Konfiguration der Fernwirkstrecke. Die Daten aus den verteilten Controllern sind damit auch als Variablen in anderen Steuerungen nutzbar (Bild 3).
Neben Standleitungsverbindungen über Fernmeldeleitungen sowie Lichtwellenleiter oder Funk können auch Wählverbindungen im Fest- oder Mobilfunknetz sowie Internetverbindungen über VPN oder GPRS genutzt werden.
Phoenix Contact, Tel. +49(0)5335 300
Dipl.-Ing. Joachim Pucker, Mitarbeiter in der Business Automation Systems; Fridtjof Battermann, Systemverkäufer im Bereich Automation Systems, Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg
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