Additive Fertigung 3D-Drucktechnologie hängt 3D-Modellierung ab
Der 3D-Druck bietet eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, Bauteile zu gestalten und zu fertigen. Dazu ist zum einen Wissen notwendig, wie die neue Freiheit der Gestaltung effizient genutzt werden kann, zum anderen aber sind neue Werkzeuge notwendig, die mit den Fähigkeiten der Drucker mithalten können. An dieser Stelle ist noch manches im Argen.
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Schon seit der Mensch Material bearbeitet, arbeitet er subtraktiv: Er nimmt ein Stück Holz, Stein oder Metall und entfernt so lange Material, bis die gewünschte Form erreicht ist. Das gilt für den Steinzeitmenschen mit seinem Faustkeil ebenso wie für den CNC-Fräser an seinem Bearbeitungszentrum. Zwei Punkte sind dabei sehr wichtig: Am Anfang steht nahezu immer ein massiver, homogener Materialblock, und dieser wird von außen nach innen bearbeitet – was wiederum bedeutet, dass weite Bereiche des Bauteils nicht erreichbar oder bearbeitbar sind.
Bauteile nahezu völlig frei gestalten
Die Welt der Gestaltung änderte sich mit dem Aufkommen der additiven Technologien völlig: Da Objekte im 3D-Druck schichtweise aufgebaut werden, kann jeder Punkt des Bauteils erreicht werden. Das Innere lässt sich damit nahezu völlig frei gestalten. Damit ergeben sich interessante Gestaltungsmöglichkeiten. So drucken viele Geräte – vor allem im unteren Preissegment – 3D-Druckmodelle mehr oder weniger hohl. Innenstrukturen stabilisieren die relativ dünne Deckschicht, so dass bei geringem Festigkeitsverlust viel Material und damit Gewicht, aber auch Druckzeit gespart werden kann.
Innenstruktur beeinflusst Bauteileigenschaften
Diese Innenstrukturierung ist bei den Hobbygeräten relativ primitiv umgesetzt – es kann zwischen zwei oder drei Innenstrukturmustern gewählt und die prozentuale Füllung definiert werden. Dabei ist das Muster in allen Schichten dasselbe, bei einem Gittermuster laufen also die Gittersprossen als Wände von unten bis oben durch das Modell. Inzwischen gibt es auch Lösungen, die dreidimensionale Muster erstellen, sodass etwa die Wände im Innern Würfelchen bilden.
Noch interessanter wird diese Technik, wenn man die Geometrie, mit der Hohlräume zum Teil gefüllt werden, so modelliert, dass sich bestimmte Eigenschaften ergeben. So werden oft Gitterstrukturen eingesetzt, die aus pyramidenförmigen Streben bestehen. Diese Strukturen ergeben einen guten Kompromiss zwischen geringem Materialverbrauch und in allen Richtungen ordentlichen Festigkeitswerten.
Unterschiedliche Materialeigenschaften durch verschieden dicke Streben
Autodesk hat schon vor Jahren mit solchen Strukturen experimentiert bei denen die Dicke der Streben gezielt angepasst wurde. Das Beispielwerkstück war eine Sandwichmatte aus zwei Außenschichten mit einer Gitterstruktur zwischen den Schichten. Beim Druck in weichem Kunststoffmaterial ließen sich so unterschiedliche Materialeigenschaften in einem Werkstück erzeugen: Dickere Streben machten die gedruckte Matte härter, dünnere Streben gaben eher nach, so dass die Matte dort weicher war.
Anwendung in der Medizintechnik
Das Einsatzszenario für eine solche Matte lieferte Autodesk gleich mit: In der Orthopädie ist die Auspolsterung des Stumps einer Beinprothese eine sehr aufwändige Arbeit, da je nach Ausformung des verbleibenden Beinstumpfs des Patienten bestimmte Bereiche weicher und andere Härter ausgepolstert werden müssen. Diese Polsterung wird heute mit viel Erfahrung durch den Orthopädietechniker mit unterschiedlichen Polsterwerkstoffen hergestellt – eine 3D-gedruckte, in ihrer Steifigkeit angepasste Matte könnte sich schneller, preiswerter und vor allem jederzeit genau reproduzierbar anfertigen lassen.
Herausforderung für CAD-Systeme
Das Beispiel zeigt, wie sich Materialeigenschaften durch Beeinflussung der Innenstruktur des Werkstücks gezielt beeinflussen lassen – und zwar an jedem Punkt des Modells unterschiedlich. Doch bis vor kurzem stellten solche Gitterstrukturen CAD-Systeme vor schier unlösbare Probleme, da die Berechnung und Darstellung solch komplexer Strukturen sehr hohe Rechenleistungen erforderten. Deshalb werden solche Innenstrukturen – üblicherweise Lattice genannt – meist als sehr schnell darstellbares STL-Modell in das 3D-Modell integriert. STL wiederum ist ein Datenformat, das nur sehr schwer nachträglich verändert werden kann, da in einer STL-Datei die Dreiecke, die die Oberfläche des 3D-Bauteils definieren, völlig ungeordnet abgelegt sind.
Das Problem: Setzt man einen STL-„Block“ eines Gitters in die Höhlung eines CAD-Modells, muss die STL-Geometrie an die Form der Höhlung angepasst, also geschnitten werden. Diese STL-Modellbearbeitung beherrschen nur wenige CAD-Systeme und diese auch erst seit zwei oder drei Jahren. Noch wesentlich jünger sind Funktionen, die es ermöglichen, 3D-Modelle mit solchen getrimmten STL-Lattices in einer Simulationssoftware auf ihre Festigkeit zu testen. Nur sehr wenige Simulationssysteme beherrschen dies.
3D-Drucker variieren beim eingesetzten Material
Doch die Technologie der 3D-Drucker bleibt nicht stehen, und so werden seit einiger Zeit schon Geräte angeboten, die unterschiedliche Materialeigenschaften nicht über den Umweg der Geometrie erzeugen, sondern tatsächlich beim Drucken das Material variieren. Diese Drucker arbeiten mit Druckwerken, wie sie in gleicher oder ähnlicher Form in Tintenstrahldruckern eingesetzt werden. So lassen sich beispielsweise Bauteile aus unterschiedlich gefärbtem und klarem Harz aufbauen, so dass man in das Objekt hineinsehen kann. Ebenso ist es möglich, beispielsweise die Shorehärte eines Materials zu variieren, indem winzige Tropfen eines härteren und eines weicheren Materials in unterschiedlicher Mischung ausgebracht werden.
Anwendung: Dämpferblöcke von Boge
Ein einfaches Beispiel zeigt, wie gewinnbringend sich diese Technologie einsetzen lässt: An vielen Stellen in Maschinen und Fahrzeugen kommen Schwingungsdämpfer zum Einsatz, die aus einem Gummiteil und daran anvulkanisierten Metallplatten mit Gewinde oder Stehbolzen bestehen. Die von der Firma Boge hergestellten und vertriebenen Silentblock-Dämpfer haben der gesamten Produktsparte den Namen gegeben. Ein typisches Einsatzgebiet ist die Lagerung von Motoren, um deren Vibrationen von der Umgebung abzukoppeln. Diese Dämpferblöcke versagen nahezu immer an derselben Stelle: Die Metallscheiben lösen sich vom Gummi, weil die Vibrationen am Übergang zwischen weichem Gummi und hartem Metall zerstörerisch wirken – es ist Grundwissens des Maschinenbaus, dass an Stellen, an denen sich die Materialeigenschaften massiv ändern, Probleme auftreten können.
Mit Hilfe eines geeigneten 3D-Druckers, beispielsweise aus der Polyjet-Familie von Stratasys oder der Multijet-Familie von 3D Systems, lassen sich Teile drucken, bei denen sich die Materialeigenschaften nicht an einer Stelle radikal ändern, sondern es wird ein gradueller Übergang eingeplant – die Stehbolzen sind hart, in der Zone dazwischen wird das Material zur Mitte hin immer weicher. So bilden sich keine Spannungsspitzen und die Teile halten länger.
Auch zur Funktionsintegration sind solche gezielt eingesetzten Materialeigenschaften von großem Vorteil. Motorradsättel ließen sich direkt nahtlos in die Verkleidung integrieren, die heute oft in Spritzgussteilen eingesetzten Filmscharniere könnten robuster gestaltet werden.
Im CAD-System nicht definierbar
Doch wie definiert man solche Bauteile im CAD-System? Die Antwort lautet aktuell: Gar nicht. Denn die zugrundeliegenden CAD-Kernel, in denen die Mathematik steckt, mit deren Hilfe die 3D-Geometrie gespeichert und zur Darstellung auf dem Bildschirm gespeichert wird, definiert nur die Außenflächen des Modells. Jedes CAD-Modell ist in seiner mathematischen Grundform eine Ansammlung von Flächen, die ein Volumen umschließen. Dieses Volumen an sich ist nicht im CAD-Modell definiert.
Die CAD-Systeme nutzen verschiedene Tricks, um diese Tatsache zu verschleiern, so wird, wenn man einen Schnitt durch ein Bauteil legt, für die Visualisierung die offene Schnittfläche optisch verschlossen. Das Material, aus dem das Teil bestehen soll, wird in den Metadaten gespeichert, ist also nicht auf die Geometrie bezogen. Aktuelle CAD-Systeme haben also gar keine Chance, Materialeigenschaften auf einzelne Bereiche der Geometrie bezogen zu definieren.
Umweg über Multibody-Funktion
Aktuell wird als Workaround oft die Multibody-Funktionalität moderner CAD-Systeme genutzt, indem die Bereiche unterschiedlicher Materialeigenschaften jeweils als eine Geometrie definiert aber in einer Bauteildatei gemeinsam abgespeichert werden. Diese Vorgehensweise hat mehrere Nachteile. Der wichtigste ist sicher, dass so graduelle Veränderungen der Eigenschaften nicht abbildbar sind. Zudem ist und bleibt dieses Vorgehen eine Krücke, die in Zeiten, in denen CAD-Daten in die unterschiedlichsten Folgeprozesse weiterfließen, zu unerwünschten Folgen an ganz anderer Stelle führen kann. Die Definition eines Teils muss vollständig und umfassend sein, sonst macht der digitale Zwilling keinen Sinn!
Jeder Punkt eines Objekts benötigt eigene Metadaten
Abhilfe schaffen Geometrierepräsentationstechniken, die es ermöglichen, jedem Punkt des Objekts eigene Metadaten mitzugeben. Im Prinzip ist dies nichts anderes als die Einführung der dritten Dimension bei Bitmap-Bildern. In den meisten Bildformaten wie JPG oder BMP wird jeder Punkt beziehungsweise Pixel des Bildes mit XY-Koordinaten und Farbinformationen gespeichert. Zur Erweiterung dieses Prinzips in die dritte Dimension fehlt eigentlich nur ein Z-Wert sowie mehr Felder für die Metadaten, beispielsweise für Werkstoffkennwerte. Man spricht dann von Voxeln.
Lösung in Sicht
Nachteile dieser Voxel-Technologie sind – analog zu Pixelbildern – die festgelegte Auflösung und Treppeneffekte: Zoomt man in das Teil hinein, wird irgendwann die Voxelstruktur sichtbar, an schrägen Kanten entstehen dann Treppen statt einer glatten Fläche. Und nicht zuletzt ist dieses Verfahren bei hoher Auflösung sehr Speicherplatz- und rechenintensiv.
Am Fraunhofer Institut IGD wird an einem Subdivision-Ansatz (1) geforscht, der eine flexiblere Aufteilung und weniger Einfluss auf die Geometriequalität verspricht. Hierbei wird die Technologie des Subdivisional Modelling genutzt und die Metainformation nicht an Geometriepunkte, sondern an die Steuerpunkte der Flächen gehängt. Diese Steuerpunkte sind zwar mit einem Punkt des Modells verbunden, die Menge der Steuerpunkte verändert aber nicht die Geometrie, denn sie steuern Flächen und definieren nicht Eckpunkte.
Aufgabe für CAD-Anbieter und 3D-Drucker-Hersteller
Der kurze Ausflug in die Welt der Forschung zeigt: Das Problem der Adressierbarkeit jedes Punkts im Modell ist noch weit von seiner Lösung entfernt, vor allem erfordert es tiefgreifende Änderungen am CAD-Kern. Ist dies gelöst, müssen die Daten auch entsprechend detailliert zum Drucker gelangen, das bedeutet, dass eine Schnittstelle und ein entsprechendes Datenformat geschaffen werden muss, das diese Daten auch direkt an verschiedene Drucker liefern kann.
Und nicht zuletzt muss eine Methode entwickelt werden, mit deren Hilfe der Anwender Materialeigenschaften einfach und intuitiv am CAD-Modell editieren kann. Das wird sicher auf eine Art der Farbkodierung hinauslaufen – was aber auch wieder eine Verfälschung der Realität bedeutet. In jedem Fall bleibt viel zu tun für die CAD-System- und die 3D-Drucker-Hersteller.
Was Sie beim Prototyping mit 3D-Druck beachten müssen, erfahren Sie auf unserer Partnerplattform Mission Additive.
Quelle:
(1) Altenhofen, C., Luu, T. H., Grasser, T., Dennstädt, M., Mueller-Roemer, J. S., Weber, D., & Stork, A.: “Continuous Property Gradation for Multi-Material 3D-Printed Objects”, Proceedings of the Solid Freeform Fabrication Symposium (Vol. 29, pp. 1675-1685), 2018. http://publica.fraunhofer.de/dokumente/N-512629.html
* Ralf Steck, freier Autor, Friedrichshafen
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