Toleranzausgleich Ziehharmonikaprinzip optimiert riesige Sandwich-Verbundbauteile
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Im Februar wird eine Erfindung mit dem Thinking ausgezeichnet, die die Fertigung großer Compositeteile deutlich vereinfacht.

Jeden Monat wird eine Erfindung mit dem von der Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg (Leichtbau-BW) ins Leben gerufenen Thinking ausgezeichnet. Im Februar konnte sich das Unternehmen Gaugler & Lutz nun diese Ehre sichern. Und zwar für die Idee, Ausgleichsstücken aus Kernmaterial für den Bau von großen Sandwichteilen zu kreieren, die einen Ziehharmonikaeffekt ins Feld führen. Es handelt sich dabei um Teile eines kompletten Bausatzes, nur dass diese jetzt auch federn können, um so Toleranzen auszugleichen. Per spanender oder spanloser Nachbearbeitung können deren Oberflächen individualisiert werden, um sich zum Beispiel Rundungen konturnah anschmiegen zu können. Diese Baugruppen werden in der Branche mit dem Begriff „Kits“-Bausätze beschrieben, wie Gaugler & Lutz wissen lässt.
Die Eigenschaft, den Werkstoff und das Werkstück mittels des oben genannten Ziehharmonikaeffekts in einer Dimension und in einem Prozessschritt zu vergrößern respektive zu verkleinern, sein nun für den Ausgleich der zwangsläufig entstehenden Toleranzen (etwa Ausdehnung von Balsaholz bei Feuchtigkeit) bewiesen. Und genau jetzt könnte diese Technologie im Zuge des Ausbaus der Windenergie ihre Wirkung voll entfalten.
Bei der üblichen Sandwich-Herstellung stören breite Spalten
Und wer schon einmal einen Boden verlegt hat, der kennt folgendes Problem: Zu Anfang lassen sich die Fliesen oder das Parkett wunderbar verlegen, doch sobald man sich dem Ende der Fläche nähert, passt einfach nichts mehr. Dann beginnt bekanntlich das zeitraubende Messen, Sägen, Schneiden und Einpassen.
Nicht anders geht es jenen, die große Bauteile – beispielsweise eben Rotorblätter für Windenergieanlagen – mit Kernschichtmaterial auslegen, um die Faserdeckschichten zu versteifen und die gewünschten mechanischen Eigenschaften zu erreichen. Und die Rotorblätter sind gigantisch! Sie messen oft über 75 Meter in der Länge, manchmal sogar 100 Meter. Die gesamte Sandwichstruktur kann aber in diesen Dimensionen nicht auf einmal gefertigt werden, merkt Gaugler & Lutz an. Das gilt auch für die Kernschicht. Deshalb wird das Kernschichtmaterial aus Einzelteilen in einem gekennzeichneten und vorselektierten Bauplan puzzleartig in die Form eingelegt.
Am Ende liegt durch die zwangsläufig auftretenden Fertigungstoleranzen bei den Einzelteilen und deren Addition entlang des Bauteils ein oft zentimetergroßer Spalt bestehen, der nur schwer zu überbrücken ist. Dann wird das Kernmaterial, quasi wie bei der Bodengeschichte, zeitaufwendig geschnitten oder der Spalt mit Harz aufgefüllt und verklebt. Beide Abhilfemaßnahmen führen aber zu Qualitätsschwankungen im Sandwich.
So klappt der Spaltausgleich an großen Compositeteilen automatisch
Eine Alternative, um diesen Spalt mit weniger Aufwand und Problemen zu beseitigen, sei der Griff zum Werkstoff-Kit mit Ziehharmonikaeffekt. Der Kernschicht-Werkstoff ist dabei mit Nuten versehen, damit sich die Einzelteile in einer Raumrichtung in der Länge strecken können. Zum Einlegen drückt man das Kit leicht zusammen und legt es in den Spalt. Sobald man es los lässt, dehnt es sich wieder aus, und passt sich mit der durch die Nutengeometrie eingestellten Federkraft an den zur Verfügung stehenden Raum an – er wird dabei ausgefüllt. Durch den längenausgleichenden Effekt können die Fertigungstoleranzen an den Rändern des Bauteils und des puzzleartigen Bauplans schnell und einfach überbrückt und passgenau geschlossen werden.
Als Material für die Kits kommen unterschiedliche Werkstoffe in Betracht. Die Auswahl richtet sich nach dem eingesetzten Kernmaterial. Möglich sind Kunststoffschäume aus PVC (Polyvinylchlorid) oder PET U(Polyethylenterephthalat). Das Ganze klappe auch mit Kunststoffrezyklat oder nachwachsenden Rohstoffen, wie Balsaholz. Die wichtigen Einkerbungen im Material können übrigens anwendungsspezifisch gestaltet werden. So weisen zum Beispiel bei einer Kernschichtdicke von 15 bis 50 Millimeter die Nuten der Rillung an der Oberfläche etwa 2 bis 5 Millimeter auf und die Nuten selbst folgen in Abständen von 5 bis 20 Millimeter aufeinander, wie Gaugler & Lutz sagt.
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Intuitiv und methodisch zu kreativen Ideen
Die Vorteile spannen sich vom Harzfluss bis zur Gestaltungsfreiheit
Die Erfindung reduziert also die Durchlaufzeiten bei der Bauteilherstellung, weil aufwendige Nacharbeit obsolet wird. Die Idee steigert die Prozesssicherheit und sorgt aufgrund ihrer Einheitlichkeit auch bei unterschiedlichen Toleranzen für eine gleichbleibend hohe Qualität des damit gefertigten Verbundwerkstoff-Bauteils. Doch das ist noch nicht alles: Denkt man an eine sinnvolle Ausgestaltung der Harzkanäle oder der Oberflächenstrukturen, kann der Harzfluss (Matrixsystem) beim nachfolgenden Fluten der in der Form befindlichen Bauteile gesteuert werden. Der Flutungsprozess wird also optimierbar.
Diese Art des Toleranzausgleichs bringt auch mehr handwerklichen Gestaltungsspielraum bei der Entwicklung und Fertigung eines Sandwichverbundbauteils ins Leichtbauspiel. Denn die Verformbarkeit des Ausgleichsstücks ließe sich nicht nur in Randbereichen nutzen. Vielmehr sorgten die Nuten dafür, dass sich das starre Kernschichtmaterial im Bedarfsfall auch auf Radius biegen lasse, um auch gerundeten Formen konturnah zu folgen. So können auch komplexere Geometrien bei Sandwich-Verbundbauteilen entstehen.
Nicht nur die Windkraft wird vom Thinking Februar profitieren
Die Erfindung ist, wie bereits betont, vor allem für wirklich große Sandwich-Bauteile sinnvoll. Sie kann aber nicht nur der Windkraftbranche nützen, sondern auch dem Schiff- und Bootsbau, der Luft- und Raumfahrt, dem Schienen- und Straßenfahrzeugbau oder allgemein die Fertigung industrieller Bauteile. Hier nochmals die Vorteile im Überblick:
- Zeitsparend: Die Durchlaufzeiten bei der Fertigung großer Leichtbauteile aus Sandwichverbund werden verkürzt;
- Prozesssicher: Produktions- und Bauteilsicherheit werden durch die Werkstoff-Kits und die resultierende gleichbleibende Qualität erhöht;
- Kostensenkend: Eine höhere Produktivität und mögliche Prozessoptimierungen tragen zur Kostensenkung in der Produktion bei;
- Individuell: Werkstoff und Geometrie sind flexibel und können anwendungsspezifisch angepasst werden.
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