Elektrische Antriebe Wie festdrehzahl- und drehzahlvariable Antriebe ausgewählt werden
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Die Auswahl und Bemessung elektrischer Antriebe erfordert große Erfahrung. Tipps dazu liefert das Fachbuch Antriebspraxis. Hier folgen die wichtigsten Punkte zusammengefasst.

Antriebe mit fester oder variabler Drehzahl arbeiten heute in modernen Industrieanlagen entsprechend Industrie 4.0 hoch energieeffizient und stark vernetzt. Wie sich das erreichen lässt, zeigt das Fachbuch Antriebspraxis auf. Hier folgen bereits einige Tipps, wie man bei Auswahl und Bemessung elektrischer Antriebe strukturiert vorgeht. Bild 1 listet ein Schema mit Fragen auf, die zuerst zu klären sind. So sind die Daten des Projekts zu sammeln und unter Umständen durch geeignete Annahmen zu ergänzen.
Die Grundfrage bei der Auswahl und Bemessung ist, ob es sich um einen Bewegungsantrieb oder um einen Positionsvorgang handelt. Antriebe für Bewegungs- oder Bearbeitungsvorgänge sind z.B. solche an
- Pumpen und Lüftern,
- Tranportanlagen,
- Kalandern und Rührwerken sowie
- Werkzeugmaschinen (Hauptspindel).
Diese Antriebe werden nach der (Dauer-)Leistung P bemessen. Sie laufen oft mit hohen Betriebsstundenzahlen und dann ist Effizienz besonders wichtig. (Hochdynamische) Antriebe für Stellvorgänge (Positionieren) finden sich z.B. bei
- Positioniereinrichtungen,
- Handhabungsautomaten,
- Robotern, Hebezeugen sowie
- Werkzeugmaschinen (Vorschubeinheiten und Werkzeugwechsler),
- Ventilen und Schiebern. Diese Antriebe arbeiten oft nur sehr kurze Zeit.
Dynamische Antriebe werden nach dem für die Beschleunigung notwendigen (Spitzen-)Drehmoment M bemessen oder für die geforderten Bewegungsprofile der Maschine ausgelegt. Kurzzeitige hohe Überlastbarkeit ist dabei wichtiger als ein guter Wirkungsgrad (Bild 2).
Danach entscheidet sich erst die Frage, welche Motorarten eingesetzt werden sollen (Bild 1): Bei Industrieantrieben sind es Asynchronmotoren oder in zunehmendem Maße PM-Synchronmotoren. Im Bereich kleiner Drehmomente auch noch immer DC-Motoren oder Schrittmotoren sowie Piezo-Aktoren.
Die Wertung der einzelnen Punkte ist sicher nur am konkreten Einzelfall möglich. Kostenfragen sowie die Überlegungen zur Mensch-Maschine-Schnittstelle müssen neben den technischen Zwängen beachtet werden. Bei einem Vortrag wurde einmal gesagt: „… die wichtigste 'physikalische Größe' jedes Antriebs, die absolut stimmen muss, ist der Preis.“
Welche Aufgaben Antriebe haben
Elektrische Antriebe haben die Aufgabe,
- den Antrieb zu starten und definiert hochzufahren,
- Drehzahl und/oder Drehmoment – Bewegungsprofil – veränderbar zu betreiben,
- 'sicher' zu betreiben und zu überwachen,
- zu positionieren und an der Position zu halten oder
- definiert still zu setzen.
Jeder Antrieb – zentral oder dezentral – hat drei Schnittstellen zum Umfeld (Bild 3 – Beispiel dezentraler Antrieb):
- die mechanische an der Welle,
- die elektrische zum Netz und
- die bidirektionale Datenschnittstelle zur Steuerung.
Warum es auf die Antriebsauslegung ankommt
Die Aufgabe der Antriebsauslegung ist die Anpassung der drei Schnittstellen an die Umgebungssituation:
Anpassung der Kennlinien von Motor und Arbeitsmaschine (Prozess)
- Dynamische Anpassung: gegebene Weg-Zeit-Bedingungen – Bewegungsprofil – einhalten,
- Thermische Anpassung: zulässige Erwärmung des Motors und Stromrichters nicht überschreiten
Die Anpassung erfolgt durch 'Manipulation' der Motorkennlinie durch elektronische Stellglieder, (z.B. Umrichter im Feldstellbereich beim Asynchronmotor ...)
Anpassung Antrieb–Netz
- Anlaufströme reduzieren, (Y-Δ-Anlauf, Sanftanlaufgeräte, Drehzahlstarter, Frequenzumrichter, Anlaufkupplungen...)
- EMV-Problematik (Filter, Drosseln ...)
Anpassung Antrieb–Datenschnittstelle
- Handbetrieb
- Bussystem, Steuerung über Smartphone (NF-Technik)
Wann Frequenzumrichter eingesetzt werden
Kennzeichnend für den Einsatz von Frequenzumrichtern sind Anwendungen zum Bewegen und Bearbeiten mit folgenden Anforderungen:
- relativ geringes Überlastverhältnis während der Beschleunigungsphasen bis zum 2-fachen Bemessungsmoment, Drehmomentbedarf während der Konstantfahrt bei ca. dem Bemessungsmoment des Motors,
- begrenzte Dynamik: Beschleunigungszeiten auf Bemessungsdrehzahl meistens deutlich oberhalb 0,5 s,
- eingegrenzter Drehzahlstellbereich: keine wesentliche Überschreitung von Drehzahlen über 6000 min–1; Sonderfälle sind Spindeln mit Drehzahlen von bis zu mehreren 100 000 min–1
- typischer vorhandener Betriebspunkt: Bei Konstantfahrt wird der Motor bei ca. Bemessungsdrehzahl und Bemessungsmoment betrieben
In der Praxis werden bevorzugt 4-polige (Asynchron-)Normmotoren aber neuerdings aus Wirkungsgradgründen PM-Synchron- oder Synchronreluktanzmotoren eingesetzt, die überwiegend in der Nähe um den Bemessungspunkt aber auch ökonomisch im Teillastbereich betrieben werden.
Servo-Anwendungen zum Positionieren
Kennzeichnend für den Einsatz von Servoantrieben sind Anwendungen zum Positionieren mit folgenden Anforderungen:
- mit Anpassung der Kennlinien von Motor, Getriebe
- und Arbeitsmaschine (Prozess) mit dynamischer
- Anpassung:
- gegebene Weg-Zeit-Bedingungen (Dreieck, Trapez) einhalten,
- großes Überlastverhältnis: hoher kurzzeitiger Drehmoment- und Kraftbedarf während der Beschleunigungsphasen, relativ niedriger Drehmoment- und Kraftbedarf während der Konstantfahrt,
- hohe (geregelte) Dynamik: sehr hohe Beschleunigungen und Verzögerungen (bei linearen Bewegungen 10 g und mehr),
- großer Drehzahl- und Geschwindigkeitsstellbereich: hohe Geschwindigkeiten im Eilgang, niedrige Geschwindigkeiten während der Bearbeitung, guter Rundlauf besonders bei kleinen Drehzahlen,
- kein typischer Betriebspunkt vorhanden: ständig wechselnde und kurz aufeinander folgende Bewegungsphasen: beschleunigen, Konstantfahrt, verzögern.
In der Praxis werden bei Servos drehende und lineare PM-Synchronmotoren für die Vielzahl der schnellen Bewegungen eingesetzt, bei denen die Maximaldrehmomente und -Kräfte das Kennzeichnende dieser hochdynamischen Anwendungen sind.
Checkliste zur Auswahl und Bemessung elektrischer Antriebe
Der Reihe nach kann die folgende 'Checkliste' abgearbeitet werden:
1. Geschwindigkeit- und Drehzahl-Zeit-Verlauf
- einzelne Geschwindigkeiten/Drehzahlen und mittlere Drehzahl berechnen,
- häufig nicht exakt bekannt (Teilevielfalt ...), Bewegungsgesetze höherer Ordnung ...
2. Mechanische Gegebenheiten
- Ermittlung der Kräfte, Massen, Trägheiten usw.,
- viele unbekannte ('weiche') Faktoren dabei: Kabelschlepp, Reibung ...
3. Drehmoment-Zeit-Verlauf
- einzelne Drehmomente und Effektivmoment berechnen,
- ergibt sich 'automatisch' aus 1. und 2.
4. Drehmoment-Drehzahl-Wertepaare
- einzelne Drehmomente (Dynamische Belastung, Spitzenleistung),
- Effektivmoment bei mittlerer Drehzahl (Wärmebelastung, Dauerleistung)
5. Motor auswählen
- Motor entsprechend Drehmomentbedarf auswählen; bestimmt die Baugröße,
- Nachrechnung mit Motor-Trägheitsmoment (mit nachgeschaltetem Getriebe),
- evtl. nächst größeren Motor oder Getriebe auswählen.
6. Stromrichter auswählen
- Stromrichter entsprechend Strombedarf des Motors auswählen (zentral oder dezentral).
7. Versorgung auslegen
- Ein- und Rückspeise-Dauerleistung/Spitzenleistung, Rückspeiseenergie,
- Gleichzeitigkeitsfaktor bestimmen, Speicherkondensator im Zwischenkreis
- exakte zeitliche Abfolge der einzelnen Antriebe häufig nicht bekannt
8. Zusatzkomponenten
- Ein- und Rückspeise-Dauerleistung/Spitzenleistung, Rückspeiseenergie,
- Glättungsdrosseln, Kondensatoren
9. Netzanschluss- und EMV-Komponenten
- Netzstrom, Anzahl der Antriebe, Motorkabellängen
10. Motorfilter
- Motorkabellängen
Antriebe nach Energieeffizienz klassifiziert
Motoren, Frequenzumrichter und Antriebssysteme werden nach ihrer Energieeffizienz klassifiziert. Ab Juli 2021 sind die wichtigsten Aktualisierungen für 2- bis 8-polige Netz- und Umrichter-gespeiste Asynchronmotoren im Leistungsbereich von 0,12 kW bis 0,75 kW die Effizienzklasse IE2, für 0,75 kW bis 1000 kW die Effizienzklasse IE3 und dann ab Juli 2023 für Leistungen von 75 kW bis 200 kW für 2- bis 6-polige Asynchronmotoren die Effizienzklasse IE4.
Für Frequenzumrichter beträgt die Mindestanforderung ab Juli 2021 IE2. Die Norm IEC 61800-9-2 definiert die IE-Klassen für Frequenzumrichter sowie die IES-Klassen für Antriebssysteme (Power Drive System – Motor und Frequenzumrichter kombiniert).
Intelligente Zustandsüberwachung
Ein kleines an den Motor angebautes Kästchen mit entsprechenden Sensoren macht aus „einfachen“ Motoren „intelligente“ Geräte. Die Sensoren liefern wichtige Daten zur Motorleistung und tragen damit zu einer Verbesserung der Verfügbarkeit, Verlängerung der Motorlebensdauer sowie einer Steigerung der Leistung und Produktivität der Maschine bei (Bild 4).
Mit dem Sensorkästchen können Motoren bereits bei der Produktion ausgerüstet werden, sind aber auch nachrüstbar. Zustandsüberwachung bedeutet, dass die Wartung vorab geplant werden kann, um so Stillstandszeiten zu reduzieren und Kosten zu sparen. Durch die Erhebung von Zustandsdaten für eine große Anzahl von Motoren ebnet diese Lösung den Weg zu einer anlagenweiten Optimierung des Betriebs und des Energieverbrauchs.
Der externe Sensor überwacht die vom Motor kommenden Signale und sendet die Daten per Bluetooth über das Smartphone des Anwenders oder einen Gateway von ABB über das Internet an einen sicheren Cloud-basierten Server. Im Server werden die Daten analysiert und zu Informationen verarbeitet, die direkt auf das Smartphone des Anwenders oder an ein spezielles Kundenportal gesendet werden. Die auf der intuitiven Schnittstelle angezeigte „Ampel“ gibt einen raschen Überblick über die Motoren der Anlage.
Checklisten zur Ermittlung der Antriebsdaten
Für die Auslegung eines Antriebs ist die Nutzung von Checklisten hilfreich, um möglichst alle auslegungsrelevanten Daten zu erfassen. Die im nachfolgenden PDF wiedergegebenen Listen gelten für 'normale' Antriebe; sie sind für ausgesprochene Spezialantriebe sicher individuell zu ergänzen. Die Listen wurden für die am häufigsten vorkommenden Bewegungsantriebe in Gleichstrom oder Drehstromtechnik entworfen.
Für Linearantriebe gelten die Aussagen sinngemäß. Bewegungsantriebe werden nach der Leistung und Positionierantriebe nach dem Drehmoment bemessen.
* Prof. Prof. h. c. mult. Dr.-Ing. Peter F. Brosch ist Autor des Fachbuchs Antriebspraxis
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