Datenkommunikation

Single Pair Ethernet (SPE) Warum KMU auf Single Pair Ethernet setzen sollten

Von Ines Stotz und Sariana Kunze

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Mit der Technik SPE bahnt sich etwas an. Zwei Adern reichen nun, um das Ethernet dahin zu bringen, wo es bisher noch gar nicht war. Ist es eine Chance für den Mittelstand, die Digitalisierung günstiger voranzutreiben? Wie sehen die Vorteile aus? Und wie ist der aktuelle Stand der Entwicklungen?

Mit Single Pair Ethernet (SPE) bahnt sich ein neuer Standard in der Automatisierung an.
Mit Single Pair Ethernet (SPE) bahnt sich ein neuer Standard in der Automatisierung an.
(Bild: ©photostockatinat - stock.adobe.com)

„Single Pair Ethernet hat das Potenzial, der neue Standard in der Automatisierung zu werden“, sagt Frank Moritz, Technical Industry Manager, Integration Solutions bei Sick. Als Vorstandsmitglied der Profibus Nutzerorganisation (PNO) will der Ingenieur damit den Wandel in der Industriekommunikation verdeutlichen. Gilt es doch, Ethernet von der Cloud bis an jeden Sensor zu bringen. Gemeint ist die durchgehende TCP/IP-Kommunikation auf Ethernet-Basis, die gegenwärtig meist von Cloud-Anwendungen bis „runter“ in die Verteilebene einer Produktion reicht.

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Notwendig ist das für die Fabrik der Zukunft, in der Maschinen und Anlagen durch eine digitale Infrastruktur miteinander vernetzt sind. Sogenannte Cyber-physische Systeme könnten dann als eigenständige Akteure im Industrial Internet of Things (IIoT) in Echtzeit kommunizieren und Produktionsabläufe selbst steuern.

Ethernet-Technik oft zu überdimensioniert

Die Ethernet-Technik ist für viele industrielle Anwendungen zu aufwendig und überdimensioniert. So sind zum Beispiel die RJ45-Steckverbinder und Ethernet-Kabel kaum geeignet, einfache Sensorikkomponenten in der Feldebene anzuschließen. Deshalb gibt es dort einen Bruch der Ethernet- und Bussysteme, weil die Sensoren lediglich über eine zweiadrige Leitung mit der Maschine verbunden sind. Ethernet verlangt jedoch je nach Bandbreite ein vier- oder achtadriges Kabel.

Zwar geben die Modellfabriken vor, alles durchgängig vernetzt zu haben. Doch ist gerade zum Vernetzen der Feldebene noch immer ein weiteres Übertragungssystem notwendig. Wenn nun alle Sensoren und Aktoren smart werden sollen, sind derzeitige Netze zu groß und zu teuer. Das soll sich mit Single Pair Ethernet, kurz SPE, ändern. Erstmals wird der durchgängige Einsatz des TCP/IP Protokolls ermöglicht. Neue Komponenten sollen schnelles Ethernet bis zu 1 GBit/s über nur noch ein Adernpaar bis an die kleinste Applikation bringen: Eine Revolution bahnt sich an.

Die Vorteile von SPE-Lösungen

SPE eignet sich für Infrastrukturanwendungen im Maschinen- und Anlagenbau, in der Prozess- und Gebäudetechnik. Vorteil: Feldgeräte, Sensoren und Aktoren lassen sich einfach in eine bestehende Ethernet-Umgebung einbinden. Auch Komponenten wie Scanner und Kameras können durchgängig ins Ethernet integriert werden – zum Beispiel zum Überwachen oder Erfassen von Typ und Lage eines Bauteils. Die realisierbaren Reaktionszeiten gestatten auch TSN-Anwendungen (time-sensitive networking). Zusätzliche Gateways und Schnittstellen entfallen.

Anders als Feldbusprotokolle durchdringt das Ethernet alle Automatisierungsebenen. Es ist effizienter und günstiger als Feldbussysteme. Zudem lässt es sich einfacher über nur ein Aderpaar installieren, reduziert Platz und Gewicht. Mehrere Kommunikationsteilnehmer können dank gemeinsamer Leitungen und Schnittstellen effizienter verkabelt werden.

Realisierbar sind Übertragungsstrecken bis 1.000 m bei Übertragungsraten von 10 Mbit/s beziehungsweise von 40 m bei 1 Gbit/s. Sebastian Schriegel, der als Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA in der industriellen Kommunikationstechnik forscht, spricht für die nächsten Jahre insbesondere dem 10-Mbit-SPE das größte Potenzial zu: „Ich sehe 95 Prozent der Anwendungen in der Sensor-Aktor-Vernetzung erst einmal im 10-Mbit-SPE.“

Und: Bestehende Verkabelungen sind weiter nutzbar. Denn wegen der standardisierten Schnittstellen können ein- und vierpaarige Verkabelungskonzepte ebenso miteinander kombiniert werden wie IP20- und IP6x-Lösungen. Die Zweidrahttechnik erlaubt zudem die Energieversorgung der Endgeräte mit Leistungen bis zu 60 W über das gleiche Aderpaar (Power over Data Line – PoDL).

Zwei verschiedene Ansätze bei den Steckern

Mit diesen Eigenschaften könnte SPE in der Zukunft eine bedeutende Technik werden. Für den Steckverbinder-Hersteller Escha wird das auch an der erstmaligen gemeinsamen Entwicklung und Normung durch Interessenvertreter aus der Automobilindustrie und der industriellen Automation deutlich. Die IEC 63171 ist dabei als Grundnorm definiert. Sie beschreibt die Anforderungen an Single Pair Ethernet und steht kurz vor der Veröffentlichung. Dabei gibt es sieben Ausprägungen (siehe Kastentext).

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Das sagt die IEC zu Single Pair Ethernet und den SPE-Steckern
IEC 63171

Der Basisstandard IEC 63171 enthält alle zu Single Pair Ethernet notwendigen Spezifikationen und Testsequenzen hinsichtlich elektrischer und übertragungstechnischer Eigenschaften sowie die Isolierwerkstoffe, Umgebungsbedingungen, Beanspruchungen und die Steckgesichter. Reichweiten bis 1.000 m, Datenraten bis 1 GBit/s und Leistungen bis 50 W sind möglich.

Im Einzelnen beschreibt die Norm:

IEC 63171-1: SPE-Stecker von Commscope mit LC-Verriegelung für M1/I1/C1/E1-Anwendungen. Entwickelt für die Office-Umgebung.

IEC 63171-2: SPE-Stecker von Reichle & De-Massari mit IP20. Er eignet sich für den Einsatz in Gebäuden sowie Büroumgebungen und M1/I1/C1/E1-Anwendungen.

IEC 63171-3: SPE-Stecker von Siemon, basierend auf einem Paar Terra-Stecker für M1/I1/C1/E1-Anwendungen (wurde inzwischen zurückgezogen).

IEC 63171-4: SPE-Stecker von BKS (Vierkammersystem) für M1/I1/C1/E1-Anwendungen.

IEC 63171-5: SPE-Stecker von Phoenix Contact bzw. Weidmüller in IP 65, der auf dem Standard IEC 63171-2 für M2/I2/C2/E2- und M3/I3/C3/E3-Anwendungen basiert und dazu kompatibel ist. Der Standard eignet sich für industrielle Anwendungen (einschließlich M8 und M12).

IEC 63171-6: SPE-Stecker von Harting, Hirose und TE Connectivity für M2/I2/C2/E2- und M3/I3/C3/E3-Anwendungen in IP 20. Dazu gibt es einen D8-Push-Pull-Steckverbinder, kompatibel zum IP20-Steckverbinder) sowie hybriden Steckverbinder mit Poweranschluss (nicht kompatibel zum M8-Stecker in IP20); geeignet für die generische Verkabelung wie in Industriehallen und -gebäuden.

IEC 63171-7: Hybrider Steckverbinder von TE, (4 Powerkontakte + FE + Datencontainer), nicht kompatibel zu den anderen Steckverbindern. Besonders die IO-Link-Community wünscht leistungsstarke Kontakte (vor wenigen Wochen vorgeschlagen).

Über die Norm der Steckverbinder herrscht bis heute Uneinigkeit. Deshalb gibt es zwei Organisationen: die SPE System Alliance (Weidmüller und Phoenix Contact) und das SPE Industrial Partner Network (gepusht von Harting). Sie haben zwar dasselbe Ziel: SPE im industriellen Bereich auf der Feldebene zu etablieren und den Know-how-Aufbau in den Unternehmen zu beschleunigen. Doch bei den Steckverbindern verfolgen die Vereinigungen unterschiedliche Ansätze und unterstützen jeweils eine der unterschiedlichen SPE-Normen, die nicht kompatibel sind (siehe Kasten).

Volker Bibelhausen, Technologievorstand und Vorstandssprecher des Steckverbinderspezialisten Weidmüller, sagt anlässlich der digitalen Hannover Messe 2021, dass beide Konzepte technisch wirklich gut seien: „Doch nun wird es sicherlich eine Migrationsstrategie geben, wie immer. Und wir müssen aufpassen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.“

Ähnlich äußert sich anlässlich der Messe Frank Welzel, Director Global Product Management bei Harting Electronics: „Beim Thema SPE brauchen wir Partner. Deshalb sind wir auch offen für Kooperationen mit anderen Initiativen.“

Jedes Steckgesicht hat seine Berechtigung

Simon Seereiner, Fachmann zum Thema SPE bei Weidmüller, begründet diese Vielfalt: „Jedes dieser einzelnen Steckgesichter hat für eine bestimmte Applikation seine Berechtigung. Denn unterschiedliche Anforderungen aus verschiedenen Bereichen bedeuten auch unterschiedliche Stecker.“

Selbst beim kupferbasierten Standard-Ethernet gebe es ja heute schon viele unterschiedliche Steckverbinder neben dem RJ45: Mit dem M12-D- und X-codierten, dem M8-P- und M8-D-codierten sowie mit dem Terradyne-Steckverbinder seien hier nur die derzeit wichtigsten genannt, so Seereiner. „Auch im Fiber-Optik-Bereich für Ethernet gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Steckgesichter, etwa LC-Duplex, SC-Duplex und E2000. Selbst die unterschiedlichen Aderanschlüsse beim RJ45 – mit TIA-A, TIA-B und später Profinet mit vier Adern – konnten den Erfolg von Ethernet nicht mindern. Somit spielt das Steckgesicht für die Verbreitung einer Technologie keine wesentliche Rolle. Dies haben wir auch früh mit der ,Single Pair Ethernet System Alliance‘ umgesetzt.“ 30 Unternehmen engagieren sich in diesem Verein.

Seereiner macht SPE nicht nur am Steckgesicht fest: „Das wäre genauso, als ob ein Magnetbandhersteller sagt: ,Nur mit meinem Magnetband geht VHS.‘“ SPE ist seiner Ansicht nach mehr als nur der Stecker: Sensorik, Technologievereinbarung, Switche und Nutzerorganisationen – all das gehöre dazu.

Die Standardisierung vorantreiben

Etwas anders sieht das Lapp-Vorstand Georg Stawowy. Für ihn sprechen technische Argumente für das Steckgesicht von Harting. Deshalb habe sich der Kabel- und Verbindungstechnikspezialist Lapp dem SPE Partner Network angeschlossen, das die Interessen des Unternehmens Harting vertritt. „Ein wesentlicher Grund ist, dass es meiner Meinung nach das stärkere Konsortium ist“, spielt Stawowy auf die inzwischen 47 Mitglieder an. „Ich glaube, dass das Steckgesicht, für das wir uns entschieden haben, sich besser im Rundstecker integrieren lässt.“

Auch Igus ist dem SPE Partner Network beigetreten. Doch der Kunststofftechnikspezialist sieht die Produktentwicklung pragmatisch. „Speziell für die SPE-Technologie haben wir bereits die erste SPE-Leitung entwickelt, die für den Einsatz in der Energiekette ausgelegt ist. Die Leitung ist dabei sowohl kompatibel mit dem Stecker von Harting als auch mit Steckerlösungen von anderen Herstellern. So bieten wir dem Anwender die Möglichkeit, sich selbst für einen Stecker zu entscheiden“, erklärt Andreas Muckes. Er ist Leiter Produktmanagement Chainflex-Leitungen bei Igus.

Für SPE-Anwendung fehlen noch die Endgeräte

Ist SPE also schon mit den am Markt verfügbaren Produkten bereit für die Anwendung? „Stecker, Leitungen und Buchse sind da, die Endgeräte fehlen jedoch“, stellt Muckes klar: „Deshalb gibt es bisher im industriellen Umfeld noch keine Anwendungen. Die Herausforderung besteht darin, die entsprechende Software und Hardware bereitzustellen. Erst dann ist ein Fundament für die SPE-Technologie gegeben, und der großflächige Einsatz kann erfolgen.“

Kommentar Reinhold Schäfer:

Derzeit steht dem Anwender eine große Vielfalt an Steckverbindern zur Verfügung, und er kann sehr anwendungsspezifisch, seinen Bedürfnissen entsprechend, den passenden auswählen.

Es kann aber künftig durchaus sein, dass sich bei der Gebäudeverkabelung das Steckgesicht von Commscope und bei den Industriesteckverbindern aufgrund der starken Marktdurchdringung das Steckgesicht von Harting durchsetzen wird.

Eines steht auf jeden Fall fest: Mit SPE kommt man dem Gedanken von Industrie 4.0 und dem Internet of Things einen großen Schritt näher – ganz gleich, ob es künftig nur ein oder zwei Steckgesichter oder mehrere Arten von Steckverbindern geben wird.

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