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Entwicklungsmethode Systems Engineering beflügelt die Raumfahrt
Am 21. Juli betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Im Umfeld der Apollo-11-Mission wurde – aufgrund der hohen Anforderungen an Raumfahrtprojekte – die Grundlage für das heutige modellbasierte Systems Engineering geschaffen.
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Raumfahrtprogramme sind Paradebeispiele für komplexe Entwicklungsprojekte. Hohe Kosten, das Risiko für Leib und Leben und die unvorhersehbare Operationsumgebung stellen höchste Anforderungen an die Entwicklungsmethoden und die Entwicklerinnen und Entwickler hinter der Mission. Es ist also kein Zufall, dass für die Eroberung des Weltalls neue, leistungsfähige Ansätze nötig waren: Das moderne Systems Engineering hat hier seinen Ursprung.
Apollo 11: Software rettet die Mondlandung
Juli 1969: Über 500 Millionen Fernsehzuschauer weltweit verfolgen die erste bemannte Mondlandung unserer Geschichte. Was im Hintergrund geschieht, ist dramatisch. Beim Landeanflug der Mondlandefähre meldet der Bordcomputer wiederholt Fehler im Navigationssystem (Apollo Guidance Computer, AGC). Die Überlastung des AGC durch eine parallele Datenverarbeitung zweier Radarsysteme führt fast zum Abbruch. Aber nur fast, denn durch eine kluge Entwicklung, die ihrer Zeit voraus ist, ist das AGC mit einer Reihe von Sicherungssystemen ausgestattet, die den Abbruch verhindern.
Apollo Guidance Computer - ein Meilenstein für Raumfahrt und Entwicklung
Heute, im Jahr 50 der ersten bemannten Mondlandung, lohnt also ein Blick zurück auf den AGC, dessen Entwicklung ein Meilenstein sowohl für die Raumfahrt als auch für die zugrundeliegende Entwicklungsmethodik darstellt. Der AGC war der erste Rechner mit einem Echtzeit-Betriebssystem in einer sicherheitskritischen Anwendung und markierte zugleich den Einstieg in die Fly-By-Wire-Technologie. Das Betriebssystem hatte zudem eine Prioritätenliste für einzelne Programme. Um Totalabstürze zu vermeiden, besaß es die Fähigkeit, Fehler zu erkennen, sich automatisch neuzustarten und die entsprechenden Tasks weiterzuverarbeiten.
Pioniere des Systems Engineering
Die NASA und ihr Partner das MIT wurden durch die Entwicklung des AGC zu Pionieren im Systems Engineering. Programme konnten damals nur unzureichend per Softwaresimulation überprüft werden. Deshalb entwickelte die Software-Ingenieurin Margaret Hamilton das Paradigma „Development Before The Fact“ aus dem die Universal Systems Language hervorging (Bild 1). Die Sprache basiert auf der Systemtheorie und eignet sich zur formalen und pragmatischen Modellierung softwareintensiver Systeme. Der Erfolg der Apollo-Mission ist somit auch der Erfolg innovativer Ingenieurinnen und Ingenieuren und legte den Grundstein für unser heutiges Systems Engineering für Intelligente Technische Systeme.
Forschungsschwerpunkt heute ist die Weltraumrobotik
Ein Fokus zukünftiger Weltraummissionen liegt in der Weltraumrobotik. Sie bietet vielfältige Nutzenpotenziale für die autonome Exploration im Weltraum oder das On-Orbit Servicing von Satelliten: Service-Roboter werden in Zukunft Satelliten im Erdorbit warten, reparieren oder kontrolliert entsorgen.
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DFKI
Eine ganzheitliche vorausschauende Entwicklung mit der Tradition des Paradigmas „Development Before The Fact“ ist auch in der heutigen Weltraumrobotik ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Entwicklung robotischer Raumfahrttechnologien erfordern ingenieurwissenschaftliche Spitzenleistungen in einem interdisziplinären Umfeld von Künstlicher Intelligenz, Mechatronik, Virtueller Realität, Miniaturisierung bis hin zur Informations- und Kommunikationstechnik.
Ingenieure benötigen also durchgängige Ansätze sowie integrierte Entwicklungswerkzeuge zur Simulation, Planung und Entwurf, Konfiguration sowie Visualisierung. Zur kontinuierlichen Absicherung der Systeme sind Simulationswerkzeuge erforderlich, die geplante Manöver als virtuelle Szenarien möglichst realitätsnah simulieren und visualisieren. In Kombination mit realen Testgeländen können so aussagekräftige Szenarien für die Absicherung der Systeme bereitgestellt werden.
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Virtuelle Realität
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Systems Engineering in der heutigen Weltraumforschung
Genau diesem Ziel widmete sich das vom DLR geförderte Forschungsprojekt Invirtes (Integrierte Entwicklung komplexer Systeme auf der Basis Virtueller Testbeds und moderner Konzepte der eRobotik). Das Konsortium schuf eine Entwicklungsumgebung (sog. Testbeds), die eine durchgängige Modellierung und konsistente Datenhaltung von Weltraumrobotern ermöglicht (Bild 3). Die kontinuierliche Integration und Absicherung von Modellen entlang der Entwicklungsphasen steigert die Qualität der Entwicklungsartefakte und reduziert kostspielige Iterationen bei der Systemintegration.
Kern ist ein konsistentes und durchgängiges Systemmodell
Invirtes unterstützt die Phasen Systementwurf, Ausarbeitung und Integration. Kern bildet ein konsistentes und durchgängiges Systemmodell. Ein applikationsübergreifendes Basisschema ist die Grundlage für die Modellierung und die Datenhaltung. Daraus werden die Versionierung, Varianten, die Aggregation von Modellen sowie die Vernetzung der Modelle abgebildet. Im Fokus steht eine mehrdimensionale Datenhaltung der Modelle.
Der Systementwurf basiert auf einem kohärenten System von Partialmodellen (vgl. Bild 3). Sie beschreiben die Produktkonzeption und ein integriertes Absicherungskonzept in Form der Testkonzeption. Die Produktkonzeption besteht aus den Aspekten Anforderungen, Struktur und Verhalten. Die Testkonzeption beschreibt Testfälle, Testabläufe, Parameter und das Testobjekt. Modellierungsregeln sichern die Vollständigkeit, Richtigkeit und Vergleichbarkeit der Artefakte. Die Umsetzung erfolgt in Form eines UML/SysML-Profils.
Simulation bildet mindestens einen Testfall ab
Die Ausarbeitung setzt die Spezifikation um. Die Detailmodelle (z.B. Dynamik) werden in dem Virtuellen Testbed integriert und mit dem Spezifikationsmodell verknüpft. Dies ermöglicht die Rückverfolgbarkeit, Versionierung und die Verfolgung von Änderungen. Die Simulation erfolgt nach Maßgabe der Testkonzeption. So bildet die Simulation in einem Virtuellen Szenario mindestens einen Testfall ab. Invirtes bietet eine integrierte Entwicklungsumgebung zur Entwicklung komplexer Systeme, die das Konsortium anhand von Referenzanwendungen validiert hat.
Invirtes-Technologie auf terrestrische Anwendungsfelder übertragbar
Die im Umfeld der Apollo 11-Mission erarbeiteten Ansätzen des modellbasierten Systems Engineering werden inzwischen sehr erfolgreich in Entwicklungsprojekten im Automotive oder Maschinenbau eingesetzt. Genauso kann die Invirtes-Technologie künftig auf terrestrische Anwendungsfelder wie das Autonome Fahren übertragen werden. Sie ist wertvolle Grundlage für Forschungsfragen rund um das Product Lifecycle Management oder Methoden der Künstlichen Intelligenz für das Systems Engineering, die für die Wertschöpfung auf dem Planeten Erde künftig hochrelevant sind.
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* Michael Hillebrand, Fraunhofer IEM
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