Kleben Klebverbindung schonend lösen

Von Juliana Pfeiffer

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Klebstoffe verbinden unterschiedliche Werkstoffe sicher, langlebig, kostengünstig und sparen Gewicht ein. Jedoch gelten Klebeverbindungen bisher als nicht-lösbar – für eine intelligente Kreislaufwirtschaft nicht förderlich. Eine Erfindung ermöglicht nun ein zerstörungsfreies Lösen bei Temperaturen von bis zu -80° C.

Beim patentierten Split Master-Verfahren werden die im Klebstoff enthaltenen Elastomere bei niedrigen Temperaturen von bis zu -80 °C versprödet.
Beim patentierten Split Master-Verfahren werden die im Klebstoff enthaltenen Elastomere bei niedrigen Temperaturen von bis zu -80 °C versprödet.
(Bild: Mycon)

Karosserien, Batteriegehäuse oder auch Bauteile im Luftfahrzeug- und Schienenbau sind heutzutage häufig stoffschlüssig verklebt. Die Verklebungen von Bauteilen hat mittlerweile eine immense Bedeutung gewonnen. Vorteile wie Gewichtseinsparungen, verzugsfreie extrem haltbare Verbindungen oder die Einsparung von Nachbearbeitungen sprechen hier für sich. Um die geklebten Bauteile allerdings unter Nachhaltigsaspekten reparieren, warten und instandsetzen zu können, müssen Klebeverbindungen gelöst werden. Dies galt bisher als fast unlösbar.

Bisher: Extreme Hitze nötig zum Trennen von Klebschichten

Bis jetzt wurden Klebeflächen beispielsweise mit Heißluftgebläsen oder Infarotstrahlern erhitzt. Damit in der Klebeschicht eine ausreichende Temperatur erreicht werden kann, um sie zu trennen, muss die Oberfläche der verklebten Bauteile auf bis zu 350 bis 400° C erhitzt werden. Die angrenzenden Klebstoffschichten sowie die Materialien können durch diesen hohen Temperatureintrag beschädigt werden. Ein erneutes Verkleben oder Weiterverwenden ist dann häufig nicht mehr möglich. Die heute eingesetzten Klebstoffe sind zudem auf Polymerbasis aufgebaut. Wird das Polymer erwärmt, weicht es auf. Die Festigkeit der Klebeverbindung nimmt in Folge dessen ab. Wird dem Polymer allerdings Kälte zugeführt, nimmt die Festigkeit zu. Aber auch hier nimmt die Klebefähigkeit ab einer bestimmten Temperatur rapide ab. Dafür ist ein Kälteeintrag von -60 bis -70° C in die Klebschicht nötig. Das bedingt einen noch höheren Kälteeintrag auf die Oberflächen der zu entfügenden Bauteile. Doch bisher hat noch kein Kühlsystem diese erforderlichen Minustemperaturen erreicht.

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Lösung: Klebeverbindung auf bis zu -80° C kühlen

Deshalb haben im Rahmen des Projektes Fosta Forschende der Universität Paderborn und der Hochschule Hamm-Lippstadt einen anderen Ansatz für das Lösen von Klebeverbindungen entwickelt. „Das neue Verfahren basiert darauf, die im Klebstoff enthaltenen Elastomere bei niedrigen Temperaturen zu verspröden und so die Trennung mit einem kurzen starken Impuls möglich zu machen. Die Klebeverbindung wird dazu auf bis zu -80° C gekühlt“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Gerson Meschut vom Laboratorium für Werkstoff- und Fügetechnik (LWF) der Universität Paderborn. Die Materialien werden dann durch das spröde Bruchverhalten materialschonend getrennt. Anschließend können die Teile wieder verwendet und beispielsweise neu verklebt werden.

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Reperaturen und Recyclingsmaßnahmen vereinfachen

Um dieses Verfahren industriell nutzen zu können, haben die Forscher eine spezielle Vorrichtung zur Tiefkühlung mit flüssigen CO2 entwickelt. Das CO2 aus einer Druckflasche wird gezielt an die zu kühlende Klebeverbindung geleitet. Die Forschenden haben zusätzlich ein flexibles Kopfstück entworfen, mit dem auch gekrümmte Teile gekühlt werden können. Das Kopfstück wird durch Magnete an Stahlbauteilen gehalten oder kann an die zu kühlende Stelle gedrückt werden. Die Bielefelder Mycon GmbH, spezialisiert im Bereich Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Produkten und Automatisierungstechniken im Bereich der Industriereinigung, hat die Erfindung bereits in die Praxis gebracht. „Wir haben ein Entfügesystem entwickelt, welches auf den Arbeiten mit den Forschenden speist. Wir konnten die Entwicklungen mit unseren eigenen Patenten und Innovationen kombinieren und haben ein System entwickelt, das Reparaturen und Recyclingsmaßnahmen erheblich vereinfacht“, sagt Mycon Geschäftsführer Oliver Kipp. Mit dem Entfügesystem Split Master hat das Unternehmen bereits Klebeflächen von Fahrzeugkarosserien erfolgreich trennen können. Der Split Master wiegt nur 25 kg und ist leicht zu transportieren.

Verklebte Lagerbuchse problemlos trennen

Auch für andere Aufgaben wurde der Split Master erfolgreich eingesetzt. So hatten sich in einer Extrusionsanlage die verklebte Lagerbuchse 380 mm o.d. und das Zentralrohr so stark verkeilt, dass auch Auspressversuche mit 10 t Presskraft keinen Erfolg zeigten. Dann kam der Split Master zum Einsatz. Nach weniger als drei Minuten Einsatzzeit wurde die Klebststoffschicht auf eine Temperatur von tiefer als -50° C abgekühlt und versprödet. Dabei schrumpfte der Außendurchmesser der Lagerbuchse um 0,50 mm. Lagerbuchse und Zentralrohr konnten dann leicht und problemlos ausgebaut werden.

Das von den Forschenden patentierte Verfahren wurde an die Mycon GmbH verkauft. Die Forschung an der beschädigungsfreien Trennung von verklebten Teilen mithilfe tiefkalter Temperaturen wird seitens der Universität Paderborn und der Hochschule Hamm-Lippstadt weiter fortgesetzt. Auf Basis der erfolgreichen Zusammenarbeit wurde ein Antrag bei der Fördermaßnahme „Auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität durch kreislauffähige Wertschöpfung“ beim Bundesministerium für Bildung und Forschung eingereicht. Mycon wird den Kooperationspartnern zusätzlich entsprechendes Equipment zur weiteren Forschung zur Verfügung stellen.

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