Digitalisierung

„Flucht nach vorn“

Seite: 2/2

Anbieter zum Thema

Wo sehen Sie weitere gute Chancen?

Generell in Brownfieldanlagen der Prozessindustrie, wo sich die Frage nach Kapazitätserweiterungen, Optimierungen, Prozessverbesserungen und Upgrades stellt. In der Regel passiert der Umbau einer solchen Anlage während des Betriebs.

An folgendem Use Case sehen Sie sofort den Vorteil eines digitalen Zwillings. Bevor wir mit dem Kunden über die Einzelheiten eines realen Umbau sprechen, nehmen wir den derzeitigen Zustand der Anlage auf, simulieren, wie der Umbau funktionieren kann und können auch simulieren, ob nach dem Umbau diese Anlage tatsächlich den Bedingungen genügt.

Erst wenn der Prozess beim digitale Zwilling so funktioniert, wie der Kunde sich das wünscht, fangen wir an, die existierende Anlage real umzubauen, und zwar genau so, wie wir es vorher simuliert haben. Das, glaube ich, ist gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation eine der interessantesten Anwendungen auch in den traditionellen Branchen.

„Upgrades und Umbauten sind gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation eine der interessantesten Anwendungen für die Digitalisierung“, glaubt Brandes.
„Upgrades und Umbauten sind gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation eine der interessantesten Anwendungen für die Digitalisierung“, glaubt Brandes.
(Bild: Siemens)

Wo steht Siemens im Hinblick auf die Diskussion über offene oder geschlossene Systeme?

Da gibt es eine klare Philosophie. Wir unterstützen offene Systeme, weil wir diese für sehr wichtig halten. Geschlossene Systeme werden sich sukzessive öffnen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir bei Siemens unterstützen und nutzen bereits seit vielen Jahren offene Standards. Bereits heute sind wir bei Siemens in der Lage als Anbieter auch die Verantwortung für ein Gesamtprojekt zu übernehmen, bei dem Komponenten unterschiedlicher Anbieter integriert werden. Wir fühlen uns in beiden Themen zu Hause.

Bedient Siemens auch kleine und mittelständische Unternehmen?

Ein ganz klares Ja. Wir wollen Partner für den Mittelstand sein im besten Sinne des Wortes. Wir erwarten z. B. von unseren Zulieferern, dass sie uns Verhaltensmodelle als Black Boxes zur Verfügung stellen. Wenn die Black Boxes kompatibel zu unserem Siemens-System sind, haben wir dann die Chance, damit einen digitalen Zwilling des Gesamtsystems aufzubauen. Dadurch ergeben sich nun wiederum Geschäftsmöglichkeiten für den Zulieferer, da wir diesen in der Betriebsphase in den Service mit integrieren und somit eine Win-win-Situation entsteht.

Welche Bedeutung hat der Mensch in einem digitalsierten Umfeld noch?

Nachdem die Automatisierung der Produktionsprozesse den Blue-Collar Bereich verändert hat, spricht man Zusammenhang mit der Digitalisierung inzwischen auch von einer Krise im White-Collar-Bereich.

Ich glaube, hier hilft nur die Flucht nach vorne.

Auch der Einzelne sollte sich dem Trend zur Digitalisierung öffnen, sich weiterbilden und damit die Chance ergreifen, sich in der neuen Welt zurecht zu finden. Denn die Welt lässt sich nicht zurückdrehen.

„Die Welt lässt sich nicht zurückdrehen“, warnt der CEO.
„Die Welt lässt sich nicht zurückdrehen“, warnt der CEO.
(Bild: Siemens)

Wie wird sich die Zusammenarbeit mit Ihren Kunden in Zukunft gestalten?

Wir als Siemens werden nicht der einzige Nutznießer des Digitalisierungs-Trends sein. Die neue Welt erfordert neue Koalitionen, neue Wege der Zusammenarbeit und auch immer wieder die Suche nach dem Win-win-Konzept. Es gilt, den anderen nicht über den Tisch zu ziehen.

Unsere Kunden werden sich daran gewöhnen müssen, sich für gewisse Teile unserer Produkte auf rein virtuelle Plattformen einzulassen, die ihnen neue Möglichkeiten bieten. Im Zuge der Digitalisierung wird sich auch die Art und Weise ändern, wie wir mit unseren Kunden Informationen austauschen.

Wie wird diese neue Art der Zusammenarbeit konkret aussehen?

Konstrukteure und Entwickler haben mit einem Mal viel einfachere Möglichkeiten aus dem Internet nicht nur die digitale CAD-Zeichnung eines Motors zu nehmen, sondern auch den dort angebotenen digitalen Zwilling für Verhaltensanalysen zu nutzen. Wenn sie dann bei dem von ihnen ausgewählten System noch unsicher sind, können sie sich per Mausklick mit einem der weltweit verteilten Siemens-Experten beraten, der aber wirklich der Fachmann ist. Sind sie dann in dieser virtuellen Welt sicher, dass sie einen guten Designschritt vollzogen haben, können sie auf den Knopf drücken und der Einkaufsabteilung mitteilen: Bitte bestellt bei Siemens den Motor mit folgender Bestellnummer.

Wenn wir uns fragen, ob sich etwas geändert hat, lautet die Antwort: 'Ja'. Sie sind mit ganz anderen Menschen in Kontakt gekommen. Ihnen ist ganz anders geholfen worden, der ganze Prozess ist schneller geworden und hoffentlich auch fehlerfreier.

Das ist die Welt von morgen.

Vielen Dank, Herr Dr. Brandes.

(ID:44437022)