Simulation im Liebherr-Werk Ehingen, Teil 2 Was strukturmechanische Berechnung im Kranbau leistet

Ein Gastbeitrag von Thomas Löffler

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In unserer Serie „Simulation bei Liebherr“ zeigen wir, wie das Unternehmen vom Einsatz von CAE bei der Entwicklung seiner Produkte profitiert. Im zweiten Teil geht es um Strukturmechanik und FE-Analysen zur Ermittlung von Festigkeit und Verformung – ein maßgebliches Themenfeld bei der effizienten Entwicklung von Hochleistungskranen.

Im zweiten Teil unserer Serie über die Bedeutung von Simulation bei Liebherr widmen wir uns der Strukturmechanik und der FE-Analyse zur Ermittlung von Festigkeit und Verformung. Dieses Themenfeld ist von maßgeblicher Bedeutung für die effiziente Entwicklung der Hochleistungskrane.
Im zweiten Teil unserer Serie über die Bedeutung von Simulation bei Liebherr widmen wir uns der Strukturmechanik und der FE-Analyse zur Ermittlung von Festigkeit und Verformung. Dieses Themenfeld ist von maßgeblicher Bedeutung für die effiziente Entwicklung der Hochleistungskrane.
(Bild: Liebherr-Werk Ehingen)

Die Sparte Mobil- und Raupenkrane gehört zu den umsatzstärksten der Liebherr-Gruppe. Über 3.800 Beschäftigte aus Forschung und Entwicklung, der Produktion sowie dem globalen Vertrieb und Service orientieren sich dort an den Bedürfnissen der Kunden. Die modernen Teleskop- und Gittermastkrane sind auf Mobil- und Raupenfahrwerken montiert. Schon seit der Gründung legt Liebherr auf einen hohen technologischen Standard Wert. Deshalb wird intensiv in Forschung und Entwicklung investiert. Für Effizienz in der Produktentwicklung vertraut Liebherr auf Simulation, wie unsere Serie zeigen will.

Im Fokus: permanente Gewichtsreduzierung

Eine ständige Aufgabe der Entwickler ist die Gewichtsreduzierung. Ein geringes Eigengewicht ist nicht nur beim Transport von Vorteil. Es begünstigt auch die Länge der Ausleger, da beim Aufrichten nur das Eigengewicht und nicht die Nutzlast die maßgebende Rolle spielt. Außerdem steigert die Reduzierung des für die Kranstruktur belastenden Eigengewichtsanteils die Tragkraft. Unterstützt wird dieses Leichtbaubestreben durch neuartige Materialien: Die Stahlhersteller entwickelten schweißbare Feinkornbaustähle mit immer höheren Festigkeiten.

Ohne Leichtbau kein wettbewerbsfähiges Produkt und ohne Simulation kein Leichtbau.

Joachim Henkel, Leiter Statik, Liebherr

Ein interessanter Trend für das Liebherr-Werk Ehingen (LWE) – immerhin bedeutet eine Verdoppelung der Stahlfestigkeit eine Halbierung des Gewichts der geschweißten Struktur. In der Folge sind die Stahlkonstruktionen immer dünnwandiger geworden, trotz der geforderten hohen Belastbarkeit.

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Eine Frage der Stabilität

Diese vorwiegend druckbelasteten, eher dünnwandigen Stahlkonstruktionen sind sehr stabilitätsgefährdet, weshalb Berechnungen zur Statik unumgänglich sind. Die typischen physikalischen Phänomene sind Biegeknicken, Plattenbeulen und Schalenbeulen. Oftmals sind dann geschlossene analytische Berechnungen nur in einzelnen Standardfällen durchführbar. Wenn es um die Berechnung und den Nachweis von stabilitätsgefährdeten Stahlbaugruppen geht, stellt die numerische Simulation mittels FEM eine enorme Erleichterung dar. LWE setzt deshalb auf Softwareunterstützung von Ansys gekoppelt mit der Beratung von Cadfem.

Dank Simulation zur perfekten Form

Joachim Henkel ist Leiter Statik im Liebherr-Werk Ehingen: „Wie unverzichtbar für uns Ansys-FEM-Berechnungen bei der Gewichts- und Steifigkeitsoptimierung von Baugruppen sind, zeigt der Teleskopausleger der All-Terrain-Krane. Als bevorzugte Querschnittsform im Teleskopauslegerbau hat sich das von Liebherr patentierte `Oval-Profil´ erwiesen. Es lässt sich verhältnismäßig einfach fertigen und hat ein äußerst günstiges Verhältnis von Gewicht zu Tragfähigkeit. Voraussetzung für die Verwendung der neuartigen Profilform im Teleskopkranbau war allerdings ein zuverlässiges Konzept für die Berechnung der dünnwandigen Schalen auf Basis von FEM. Zudem erforderte die hohe Imperfektionsempfindlichkeit einen hohen Qualitäts- und Fertigungsstandard. Das Optimum dieser patentierten Querschnittsform ließ sich nur durch unzählige Variantenrechnung mittels FEM in Ansys erreichen.“

Darum simulieren Liebherr-Ingenieure mit Ansys und Cadfem

Der Name Liebherr steht für eine Firmengruppe, die mit unterschiedlichsten Produkten und Systemen erfolgreich ist, an über 140 Standorten. Eine Konstante in vielen Werken, Produktsegmenten, Ländern: Liebherr-Ingenieure simulieren mit Ansys und Cadfem.

Gründe, Einblicke und weitere Erfolgsgeschichten.

Herausforderung Strukturmechanik

Bei LWE sind 80 Prozent der Herausforderungen, für die Simulationssoftware eingesetzt wird, strukturmechanischer Natur. Joachim Henkel beschreibt die Anforderungen, die er und sein Team an moderne Simulationssoftware stellen: „An erster Stelle steht die einfache Bedien- und Erlernbarkeit, gefolgt von der Schnelligkeit und Realitätsnähe der Berechnungen. Der Trend geht eindeutig dahin, mehrere angrenzende Hauptbaugruppen in einem FE-Modell zu simulieren. Diese sind über Kontaktrandbedingungen miteinander verbunden. Das verlangt Leistung, die Ansys erbringt. Die Ergebnisse der Berechnung zeigen, dass man durch diesen Ansatz dem wirklichen strukturmechanischen Verhalten des Gesamtkrans sehr nahekommt.“

Für die genaue und sichere Auslegung der Drehverbindung zwischen Unter- und Oberwagen am Kran sei es beispielsweise notwendig, das Steifigkeitsverhaltenen der jeweils angrenzenden Hauptbaugruppen, nämlich Unterwagen und Drehbühne, zu berücksichtigen. Das geschehe dadurch, dass die Drehverbindung mit allen Trag-, Halte- und Radialbahnen inklusive Laufrollen sehr wirklichkeitstreu modelliert werden, erklärt Joachim Henkel. Ebenso die angrenzende Stahlstruktur des Unterwagens und der Drehbühne. Ansys meistere dies vorbildlich.

  • Die Geometrieaufbereitung erfolgt in der Regel mit Ansys Spaceclaim oder dem Design-Modeler.
  • Aus den vorhandenen CAD-Daten wird eine reduzierte Außengeometrie heraus gearbeitet. Detailpunkte wie an Lasteinleitungsbereichen bleiben gegebenenfalls als Volumenmodell erhalten, um dort genauere Auswertungen durchführen zu können.
  • Anschließend erfolgt die Berechnung in Ansys Mechanical.
  • Um möglichst schnell viele Lastfälle berechnen zu können, beginnt man mit einer linearen Berechnung.
  • Anschließend werden ausgewählte Lastfälle geometrisch und materiell nichtlinear tiefer untersucht.

Simulation auf individuelle Bedürfnisse abstimmen und automatisieren

Um die Notwendigkeit weitergehender Beuluntersuchungen vorab zu ermitteln, nutzt LWE ein Tool, welches eine lineare Beuluntersuchung nach Norm (EC 1993-1-5) innerhalb der Workbench als Extension zur Verfügung stellt. Sind tatsächlich zusätzliche Beuluntersuchungen notwendig, wird zur Aufbringung der Imperfektionen eine mit Cadfem entwickelte ACT-Extension (Ansys eingesetzt. Darüber hinaus sind auch Spezial-Untersuchungen möglich wie z. B. die Berechnung der Drehverbindung von Unter- und Oberwagen, der Bodenplatten oder der Belastung der Scharniere. Ansys Motion hilft beispielsweise bei der Berechnung des Abrollverhaltens der Kette über die Umlenkrollen oder über die Antriebsräder eines Raupenkrans. Ebenso bei einem Raupenfahrwerk zur Belastungsermittlung der Laufrollen oder dem Verhalten einer freihängenden Kette.

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Auf einen Blick

Was ist Ansys ACT?

Ansys ACT ermöglicht die individuelle Konfiguration von Simulationsumgebungen. Mit offenen Programmierschnittstellen werden Routineworkflows automatisiert und Simulationsmöglichkeiten erweitert. Von der Umsetzung einfacher Solver-Kommandos bis hin zur kompletten Integration von externen Simulationswerkzeugen stehen viele Möglichkeiten offen. Basierend auf der gemeinsamen Skripting-Sprache Python über alle Simulationstools hinweg ist ein einfacher Einstieg in die Customization-Welt sichergestellt.

Immer wieder erreichen das LWE-Simulationsteam um Joachim Henkel Anfragen von Kunden und von der internen Qualitätssicherung zur Einschätzung von Schäden bezüglich des Stabilitätsverhaltens, insbesondere an den Diagonalrohren des Auslegers von Gittermastkranen. Die bisherige Herangehensweise war entweder eine exakte 3D-Nachmodellierung des defekten Rohres oder der Austausch des defekten Stabes, um jegliche Zweifel auszuräumen. Beides ist zeitaufwendig und damit kostenintensiv.

Die Lösung fand sich in einer angepassten Erweiterung in Ansys:

  • Dazu wurde ein geometrisch und materiell nichtlineares Berechnungsmodell erstellt, welches sich besonders durch einen zügigen Berechnungsablauf auszeichnet.
  • Das Stabilitätsverhalten wurde anhand der europäischen Knickspannungslinien nach den Normen DIN 18800-2 und EN 1993-1-1 verifiziert, welche aus real durchgeführten Versuchen entstanden sind.
  • An dem so verifizierten Modell ist anschließend mit den quasi-kollapsaffinen Imperfektionsformen eine vereinfachte lokale Beule erzeugt worden, die ebenfalls parametrisch in Form und Lage am Rohr variieren kann. Studien zeigen, dass die entstehenden Abminderungen der Traglast besonders durch die Lage und Größe der Beule sowie von der Schlankheit des Gesamtsystems beeinflusst werden.
  • Um LWE eine schnellere Beurteilung des Einzelfalls zu Verfügung zu stellen, wurde ein eigenes Programm entwickelt, welches die Beurteilung schadhafter Rohre an den betreffenden Gitterrohren über das gesamte Spektrum ermöglicht. Die Datengrundlage bildet eine Datenbank aus 7.452 berechneten Einzelergebnissen. Die Variation der Parameter ist dabei so gewählt, dass eine lineare Interpolation zwischen den Ergebnissen toleriert werden kann.
  • Die Erzeugung, Auswertung und Prüfung der erzeugten Datenmengen erfolgte weitestgehend automatisiert durch eine Interaktion zwischen Ansys und dem Excel-Programm. Die schnelle Bewertung des Stabilitätsverhaltens von Gitterrohren mit lokalen plastischen Verformungen ist somit im Rahmen des für LWE benötigten Spektrums gewährleistet.
Die Herausforderungen, die sich aus den immer leichter werdenden und somit dünnwandigeren Stahlstrukturen ergeben, sind effizient nur mit numerischer Simulation beherrschbar. Prognosen über die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit einer mechanisch stärker beanspruchten Krankomponente während der Nutzungsdauer eines Krans, sind ohne numerische Simulation reine Kaffeesatzleserei.

Joachim Henkel, Leiter Statik, Liebherr

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Realitätsnahe und detaillierte Berechnung möglich

Joachim Henkel beurteilt den Nutzen von Ansys als Simulationswerkzeug im Bereich Statik als grundlegend: „Ansys versetzt uns erst in die Lage, Leichtbau am Kran zu betreiben. Ohne Leichtbau kein wettbewerbsfähiges Produkt und ohne Simulation kein Leichtbau. Die Herausforderungen, die sich aus den immer leichter werdenden und somit dünnwandigeren Stahlstrukturen ergeben, sind effizient nur mit numerischer Simulation beherrschbar. Prognosen über die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit einer mechanisch stärker beanspruchten Krankomponente während der Nutzungsdauer eines Krans, sind ohne numerische Simulation reine Kaffeesatzleserei. Durch die immer leistungsfähigeren Ansys-Simulationsprogramme und die steigende Rechenleistung der Systeme können wir ebenfalls immer detailliertere Berechnungsmodelle erstellen, die dem tatsächlichen mechanischen Verhalten sehr nahekommen und somit Prognosen über die Einsatztauglichkeit absolut zuverlässig machen.“

Ausblick

Schnelle Time-to-Market dank Simulation

Lesen Sie im dritten und letzten Teil unserer LWE-Serie, wie CFD-Simulation die Zeitspanne bis zur Marktreife entscheidend verkürzt.

Lesen Sie hier den ersten Teil unserer Serie zur Simulation im Liebherr-Werk Ehingen:

* Thomas Löffler, freier Redakteur

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