Medizintechnik Textiler Muskel: Exoskelett für die Finger
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In den Nachrichten oder in einer Rehaklinik hat man sie schon öfter gesehen: Exoskelette, die zum Beispiel querschnittsgelähmte Menschen wieder befähigen selbstständig zu gehen. Dieses Prinzip wollen Forscher nun im wesentlich kleineren Maßstab für die Fingergelenke umsetzen. Mithilfe eines Handschuhs soll der Griff zu einem Buch oder einer Tasse auch wieder für Menschen möglich werden, die ihre Muskeln in den Händen nicht mehr oder nur eingeschränkt nutzen können. COMPAMED.de sprach mit Klaus Richter von der ITP GmbH, Koordinator des Verbundprojektes „Textiler Muskel – Entwicklung eines Handschuhs zur Unterstützung der Fingerkraft mit textilen Aktoren“, über den Stand der Entwicklung.

Herr Richter, bislang können Exoskelette querschnittsgelähmten Menschen helfen wieder zu Gehen. Für die Hände jedoch sind sie weniger geeignet. Sie wollen dieses Problem lösen. Wie?
Klaus Richter: Das wollen wir durch textile Aktoren erreichen. Es ist ein physikalischer Ansatz, bei dem Siliziumelektroden mit einem Elektrolyten eingelagert werden, die beim Anlegen einer Spannung für eine Volumenvergrößerung sorgen. Das Volumen lässt sich in der Theorie um bis zu 400 Prozent vergrößern. Man braucht relativ wenig elektrische Energie, um diese Volumenausdehnung zu provozieren. Die Volumenausdehnung wird dann in eine Krümmung umgewandelt. Durch den Handschuh krümmt sich dann der Finger und die eventuell noch vorhandenen Ansätze von Muskelkraft werden unterstützt. Das praktische Ziel dieses Projektes ist es, Menschen mit eingeschränkter Muskelkraft in den Händen eine Hilfestellung zu geben. Etwa eine Tasse selbstständig zu halten. Hierfür wird der Handschuh entsprechend im Bereich der Finger beschichtet und dann über Elektronik und Sensorik gesteuert. Wir wollen die Sensoren für die Steuerung am Handgelenk anlegen. Diese nehmen die Muskelinformationen auf und werden dann übersetzt in Impulse, die die textilen Muskeln in den Fingern aktivieren. Somit kann man zugreifen. Natürlich muss man auch wieder loslassen können. Dies erreicht man durch einen weiteren Muskelimpuls. So bilden sich die textilen Muskeln wieder zurück, strecken sich und geben das Objekt frei.
Wie soll der Handschuh später aussehen?
Richter: Es wird ein dünner Sensor-Handschuh sein, der zum Einsatz kommt. Wir brauchen keine großen Leitungen und dergleichen mehr, sondern die Sensoren sind in einer filigranen Beschichtung in den Fingern des Handschuhs integriert.
Wird der Handschuh individuell an die Handgröße angepasst?
Richter: Es kann bestimmt auch eine individuelle Anpassung erfolgen, wenn diese nötig ist. Aber wir wollen erreichen, dass wir nicht viel Material verbauen und die textilen Muskelelemente somit auch nicht bei allen Patientinnen und Patienten individuell angepasst werden müssen.
Können Sie schon ungefähr sagen, wo Sie derzeit im Projekt stehen?
Richter: Wir sind fast in der Mitte des Projektezeitrahmens angelangt, das Projekt soll bis Oktober 2023 laufen. Wir haben das Wichtigste erreicht, nämlich, dass wir die gewünschte Funktionalität erzielt haben. Das Material bewegt sich wie geplant und wird jetzt in Richtung Kraftentfaltung optimiert. Nun müssen wir einen Prozess entwickeln, die elektrische Steuerung anfertigen zu können. Ende nächsten Jahres sind wir dann mit dem Projekt hoffentlich in der Prototypenphase. Bis das Projekt abgeschlossen ist und ein marktreifes Produkt vorliegt, vergehen aber sicher noch einige Jahre.
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