Vorbild Natur Neue Struktur für glatte und strukturierte Oberflächen entwickelt
Inspiriert von der Natur hat ein Forscherteam ein künstliches Reibungssystem entwickelt, das auf verschiedenen Oberflächen funktioniert. Die Füße von Heuschrecken dienten als Vorbild.
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Die Struktur technischer Anwendungen wird in der Regel gezielt für einen spezifischen Nutzen entwickelt und kann sich nicht an unterschiedliche Untergründe anpassen. Beispiel Reifen: Sommerreifen haben auf trockenen, warmen Straßen den besten Grip, Winterreifen dagegen bestehen aus einer weichen Gummimischung und eignen sich deshalb nicht gut für warme, dafür aber für kältere Temperaturen.
Anders dagegen kann es die Natur: Insektenfüße können sowohl raue als auch glitschige Untergründe bewältigen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) jetzt ein künstliches Reibungssystem entwickelt, das auf unterschiedlichen Untergründen funktioniert.
Das Forscherteam entwickelt eine Struktur, die sich unter leichtem Anpressdruck an nahezu jede Oberfläche anpasst. Ihre Kombination einer weichen Silikonhülle, gefüllt mit feinkörnigem Granulat, schafft stabilen Halt. Die einfache Herstellung macht auch eine industrielle Anwendung möglich, schreibt das Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Advanced Materials Interfaces.
Zwei Materialeigenschaften in einer Lösung
Für einen festen Halt braucht es gleichzeitig eine gute Kontaktfläche und eine stabile Kraftübertragung. „Um auf verschiedenen Oberflächen zu haften, müsste man – eigentlich ein Widerspruch – zwischen dem Verhalten von weichen und festen Materialien wechseln“, erklärt Stanislav Gorb, Professor für Funktionelle Morphologie und Biomechanik an der CAU. Während ein weicher Materialzustand eine große Kontaktfläche zum Untergrund ermöglicht, erlaubt ein fester Zustand eine große Kraftübertragung. Gemeinsam mit seinem Team suchte der Bioniker daher eine Möglichkeit, zwischen beiden Materialeigenschaften zu wechseln. Außerdem sollte die Lösung einfach und günstig herzustellen sein, um sie auch für technische Anwendungen nutzen zu können.
Einen ähnlichen Effekt wie die Kissen an den Füßen der Heuschrecken konnte das Kieler Forschungsteam jetzt für Granulat, also einer körnigen Masse, nachweisen. Hierfür machten sie sich das Prinzip der sogenannte „Jamming Transition“ zu Nutze. „Man kann sich das vorstellen wie in einer Packung Kaffee: Das Kaffeepulver wird durch Druck fest zusammengepresst und bildet so eine dichte Masse, fest wie ein Stein. Wird die Packung geöffnet, fällt das Pulver locker und verhält sich somit ganz anders, fast wie eine Flüssigkeit“, beschreibt Halvor Tramsen, zusammen mit Lars Heepe einer der beiden Physiker im Forschungsteam.
Hohe Reibungskräfte auf allen Testflächen
Das Granulat ummantelten sie mit einer flexiblen Membranhülle und testeten den Halt ihres „Granulat-Kissens“ auf glatten, strukturierten sowie auf verschmutzten Untergründen. Durch seine weiche Hülle legte sich das Kissen passgenau an die verschiedenen Oberflächen an. Anschließend übten die Wissenschaftler Druck auf das Kissen aus, wodurch sich die Körner im Inneren verdichteten und sich das ganze Kissen verfestigte. Diese Festigkeit und die große Kontaktfläche zum Untergrund erzeugen hohe Reibungskräfte, durch die sich das Kissen nicht mehr verschieben lässt. Auf allen drei Typen von Testflächen erreicht es einen viel besseren Halt als reines Silikongummi oder als ein mit Flüssigkeit gefülltes Kissen.
Wie das Prinzip der Reibungsmaximierung des Granulat-Kissens auf weiteren Untergründen funktioniert, zeigt ein Modell, das Professor Alexander Filippov erarbeitet hat, Theoretischer Physiker und Georg Forster-Forschungsstipendiat in der Kieler Arbeitsgruppe. Seine Berechnungen erlauben auch, das Zusammenspiel von Granulat und Membran für andere Materialien und Partikelgrößen zu testen.
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„Bei unserem Prototyp nutzten wir für die Hülle dehnbares Silikon und füllten sie – tatsächlich – mit getrocknetem Kaffeesatz“, erklärt Gorb. Durch ihre Partikelgröße und ihre raue Form verhaken sich diese Partikel sehr leicht miteinander und der Effekt der „Jamming Transition“, also der Wechsel zwischen den Eigenschaften weicher und fester Materialien, kommt besonders gut zum Tragen. Grundsätzlich sei es durchaus denkbar, getrockneten Kaffeesatz im Sinne des Recyclings auch für industrielle Anwendungen zu nutzen. Immerhin sei der Reststoff leicht verfügbar, frei von Schadstoffen und günstig, so Gorb. Forschungen zu weiteren Materialien und Untergründen sind bereits geplant.
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