Werkstoffe Materialdaten prozessübergreifend verknüpfen

Redakteur: Juliana Pfeiffer

Materialdaten prozessübergeifend zu verknüpfen hätte viele Vorteile, wie die Bauteil-Entwicklungszeiten zu verkürzen. Wenn da nicht das Problem mit der sehr heterogenen Natur von Materialdaten wäre. Forscher am Fraunhofer IWM haben nun diese Daten zu einem durchgängigen Datenraum strukturiert.

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Der digitale Zwilling eines Demonstrator-Gussbauteils beinhaltet die auf experimenteller Basis ermittelte Brinell-Härte (links). Sie bereichert die numerische Simulation der Fließspannung durch ortsabhänge Daten (rechts).
Der digitale Zwilling eines Demonstrator-Gussbauteils beinhaltet die auf experimenteller Basis ermittelte Brinell-Härte (links). Sie bereichert die numerische Simulation der Fließspannung durch ortsabhänge Daten (rechts).
(Bild: Fraunhofer IWM)

Würden Materialdaten prozessübergreifend verknüpft werden, hätte das folgende Vorteile:

  • Bauteil-Entwicklungszeiten verkürzen
  • komplexe Fertigungsprozesse schneller optimieren
  • zuverlässigen Anlagenbetrieb sichern

Das Problem dabei: Materialdaten sind extrem heterogen und können sich während des Produktlebenszyklus fortlaufend ändern. Ein Forschungsprojekt des Landes Baden-Württemberg unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM aus Freiburg, MaterialDigital, erzielte jetzt große Fortschritte bei der Strukturierung von Materialdaten zu einem durchgängigen Datenraum.

Auch dass Materialdaten lokal innerhalb eines Produkts variieren und teilweise messtechnisch gar nicht zerstörungsfrei zu ermitteln sind, macht ihre Strukturierung, Speicherung und Verknüpfung so anspruchsvoll.

Dr. Christoph Schweizer, Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM

Die Industrie steht vor folgenden Aufgaben:

  • Wie bekommen wir alle Daten sinnvoll zusammen?
  • Welche Infrastruktur benötigen wir dazu?
  • Wo fangen wir an mit der Integration eines Datenraumes?

Antworten auf diese Fragen liefert Dr. Christoph Schweizer vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM gemeinsam mit einem Konsortium von sieben Forschungseinrichtungen, die sich 2018 im Forschungsprojekt „Material Digital“ zusammengeschlossen hatten. Anhand von zwei Anwendungsfällen zeigten die Partner, wie Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer materialintensiven Prozesse vorgehen können, um einen durchgängigen und maschinenlesbaren Datenraum zu erhalten.

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Mit realer Material- und Prozessdaten Bauteileigenschaften präziser vorhersagen

Im ersten Anwendungsfall, koordiniert vom Fraunhofer IWM, behandelt den Kokillenguss von Aluminiumteilen, wie er beispielsweise in der Automobilindustrie und im Maschinenbau eingesetzt wird. Die Forscher entwickelten hierbei notwendige Grundlagen wie Software-Werkzeuge zur Strukturierung der Daten sowie zur Automatisierung der Workflows. Damit haben sie darauf aufbauend einen beispielhaften Materialdatenraum geschaffen.

Zudem konnten die Forscher mithilfe realer Material- und Prozessdaten eine aufwendigere Simulation mit einem digitalen Zwilling umgehen – gleichzeitig jedoch die Bauteileigenschaften präziser vorhersagen.

„Unsere Datenraum-Architektur ist so konzipiert, dass sie sich problemlos auf andere Materialprozesse übertragen lässt“, sagt Dr. Christoph Schweizer. Anstatt teure und zeitraubende ‚Trial & Error-Schleifen‘ drehen zu müssen, können damit schnelle und präzise Entscheidungen getroffen werden.

Werkzeuge und Workflows stehen somit der potenziell interessierten Industrie zur Verfügung, um sie an ihre jeweiligen Bedürfnisse anzupassen. Die im Projekt-Anwendungsfall des Aluminiumgussprozesses strukturierten Materialdaten wird das Konsortium als Best-Practice Beispiel zur wissenschaftlichen Nachnutzung noch veröffentlichen.

Bei der Entwicklung einer einheitlichen Datenstruktur für materialintensive Prozesse mussten wir praktisch bei Null anfangen, weil es noch so gut wie keine Vorarbeiten gab.

Dr. Christoph Schweizer

Einheitliche Datenstruktur entwickeln

In einem darauf aufbauendes Fraunhofer-internen Programm hat Dr. Schweizer damit begonnen, die Datenraumtechnologie dezentral einsatzfähig zu machen. So könnten trainierte Computermodelle aus den Prozessgraphen noch nicht hinterlegte Gesetzmäßigkeiten herauslesen und nutzbar machen. Damit wären weitaus spezifischere Aussagen möglich und der Modellierungsschritt ließe sich drastisch minimieren.

Eine einheitliche Datenstruktur auf Basis von etablierten Standardformaten für materialintensive Prozesse musste entwickelt werden. Insbesondere das Fraunhofer IWM war hier mit seinen Kompetenzen im Datenhandling gefragt.

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Grundlage eines jeden Datenraumes ist eine Ontologie. Die Ontologie als gemeinsame Sprachregelung stellt sicher, dass alle Daten sich eindeutig einordnen lassen. Im Landesprojekt bedienten sich die Beteiligten an vorgefertigten Basis-Ontologien und ergänzten das gerade in der Werkstofftechnik besonders breite Fachvokabular.

Mit einem Wissensgraphen wurden die Daten innerhalb des Datenraums in Beziehung gesetzt. Der Wissensgraph hat die Daten dann logisch miteinander verbunden.

Ein bekanntes Beispiel für die Anwendung von Wissensgraphen sind die Infoboxen, die Google über den einfachen Links eines Suchergebnisses präsentiert. Sind beispielsweise Hauptstädte, das lokale Wetter oder Kinoprogramme gesucht, zeigt Google passende Bilder und Erklärungen in einer grau umrandeten Box über den eigentlichen Suchergebnissen.

App übersetzt Prozessgraphen in Excel-Vorlage

Mit Hilfe dieser Grundstruktur aus Ontologie und Wissensgraph konnten die Forscher zunächst einzelne Prozessschritte der Anwendungsfälle beschreiben, die sogenannte Prozessmodellierung. Im nächsten Schritt wurden die Einzelprozesse gemäß ihrer chronologischen Abfolge in der realen Prozesskette zu einem virtuellen Netzwerk miteinander verbunden. Damit sind im Materialdatenraum die Prozessbeschreibungen mitsamt ihrer Metadaten verfügbar. Über Verknüpfungen sind zudem auch die Rohdaten maschinell zugänglich, sodass eine Vielfalt an Auswertungen möglich ist.

Damit auch Laien den Datenraum mit Daten befüllen können, programmierten die Wissenschaftler des Projektes eine App, mit der sich die modellierten Prozessgraphen vollautomatisiert in eine Excel-Vorlage konvertieren lassen. Diese Datei kann bei Bedarf von Hand befüllt werden und erfordert somit keine Vorkenntnisse von Datenräumen.

Verbesserung beim Gießprozess

Dass diese strukturierte und übergreifend verknüpfte Wissensbasis echten Mehrwert bringt, haben die Forscher anhand eines Gießprozesses bewiesen.

Sie erzeugten für ein Gussteil einen digitalen Zwilling, der den Zusammenhang der örtlich unterschiedlichen Erstarrung beim Gießen und der örtlich variierenden Härte ausnutzt. Damit wird ein Simulationsmodell mit heterogen verteilten mechanischen Eigenschaften aufgebaut. Über Erkenntnisse aus dem Datenraum kann das Simulationsmodell zusätzlich mit präzise gewählten Werkstoffparametern gefüttert werden, die die gussteilspezifische chemische Zusammensetzung und Wärmebehandlung berücksichtigen.

Mechanische Eigenschaften präziser vorhersagen

Auf Basis des digitalen Zwillings konnten die Forscher die funktionellen mechanischen Eigenschaften des Gussteils nachweislich präziser vorhersagen als mit chargenunabhängigen Materialkennwerten. Dies ging deutlich schneller und mit weniger Aufwand als mit bisherigen Methoden.

Am Projekt beteiligte Institute:

  • Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM
  • Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT
  • Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM
  • FZI Forschungszentrum Informatik
  • Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung DITF
  • Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut NMI
  • Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie fem

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