Mikrofluidik in der Medizin Diagnostik unter Strom

Von Wolfgang Ensinger

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Bei vielen Erkrankungen wie z.B. Krebs gilt es, sehr nie­drige Konzentrationen von Biomarkern (im Blut) nachzuweisen. Forscher haben nun ein spezielles Lab-on-a-Chip-System entwickelt, das dies ermöglichen könnte.

Laboraufbau der elektrochemischen Zelle mit zwei 
Elektroden zur 
Messung des 
Nanoporen-Stroms
Laboraufbau der elektrochemischen Zelle mit zwei 
Elektroden zur 
Messung des 
Nanoporen-Stroms
(Bild: TU Darmstadt)

Ein wichtiges Kriterium, anhand dessen sich der Gesundheitszustand eines Menschen im Hinblick auf viele essenzielle medizinische Kriterien eruieren lässt, ist dessen Blutbild. Das hierfür entnommene Blut des Patienten wird vom Arzt an ein externes Analyselabor gesendet, wo meist einige Tage zur Untersuchung benötigt werden. Dies stellt einen gewissen Aufwand dar, wo neben der Wartezeit v.a. der Kostenfaktor eine Rolle spielt.

Zu diesen beiden Aspekten kommt die Problematik der Detektionsgrenzen hinzu. Mit den standardmäßigen Blutanalyseverfahren, wie dem „Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA)“-Verfahren, können nicht alle relevanten Stoffe im Blut in relevanter Konzentration analysiert werden. Dies spielt v.a. eine Rolle in der Diagnostik komplexer Krankheiten, in denen die erfolgreiche Ermittlung der besonders geringen Konzentration einiger Blutwerte wie beispielsweise Tumor- sowie Biomarker aufgrund des frühen Stadiums eine sehr niedrige Detektionsgrenze des Verfahrens voraussetzt.

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Eine zuverlässige und schnelle Diagnostik von Krankheiten im Frühstadium kann Leben retten, da eine geeignete Therapie schneller eingeleitet werden kann. Neben der Reduktion der primären Kosten der aufwändigen Analytik, die durch kompaktere, kostengünstigere und gleichzeitig leistungsfähigere Analyseverfahren erreicht werden könnte, könnte zudem eine drastische Reduzierung nachgelagerter Behandlungskosten erreicht werden.

Die Entwicklung eines Analyseverfahrens, welches nicht nur schnell, sondern auch genau Blutwerte bestimmen kann, ist also ein stetes Desiderat der Medizin.

Ein Weg dorthin ist das Lab-on-Chip (LoC), miniaturisierte Geräte, welche mithilfe von Technologien auf der Basis von Mikrofluidik, Mikroelektronik und nanotechnologischer Zutaten realisiert werden können. Sie bieten die Möglichkeit, geringe Blutmengen, welches einen weiteren Vorteil durch die geringere Belastung des Patienten darstellt, in kurzer Zeit zu analysieren. Ein solches LoC-System besteht aus einem Chip, der die Analysiereinheit trägt und über Kontakte an ein Messgerät angeschlossen bzw. eingesteckt werden kann. Das zu analysierende Medium, wie z.B. Blut oder aufbereitetes Blut – möglich wären auch andere Körperflüssigkeiten wie Urin, Sputum oder Lymphflüssigkeit – wird auf den Chip aufgegeben, dieser wird in das Messgerät eingesetzt und die Bestimmung wird durchgeführt.

Dabei gibt es zwei Ansätze: der Einwegchip oder der regenerierbare Chip. Letzterer wäre kostengünstiger, weil mehrfach verwendbar, hätte aber den Nachteil, dass man ein ggf. aufwändiges Regenerierverfahren einsetzen muss. Das Kernstück des Chips ist die Komponente, mit welcher das zu bestimmende Biomolekül gemessen wird.

Inspirationen aus Biologie und Raumfahrt

Diese zentrale Komponente ist eine Kunststoff-Folie, die Nanoporen trägt. Dieser Ansatz ist bioinspiriert, da er auf Struktur/Funktionskorrelaten biologischer Nanoporen basiert. Diese wurden für die Funktionsfähigkeit von Zellen in der Evolution über einen sehr großen Zeitraum in Form von Ionen- und Rezeptorkanälen für den Transport von Ionen und Molekülen in die Zelle hinein und aus dieser heraus optimiert. Die darauf basierende Versorgung und Steuerung der Zelle und ihre Kommunikation ist mechanistisch komplex. Diese Nanoporen, die der Zelle die Fähigkeit verleihen, z.B. Biomoleküle oder Ionen zu erkennen und diese selektiv passieren zu lassen, stellen hocheffiziente Nanosensoren dar.

Sie verfügen über eine Leistungsfähigkeit, wie man sie technologisch bisher nicht erreichen kann. Diese hochselektiven und sensitiven biologischen Nanoporen möchte man analytisch, sensorisch und diagnostisch nutzen, aber letztendlich stößt man bei einer technologischen Anwendung an eine Grenze: Da die Nanoporen evolutionär für zelluläre Systeme entwickelt wurden, funktionieren sie nur in Lipidmembranen, womit sie aufgrund deren Fragilität nicht ausreichend robust für technische Anwendungen sind. Man möchte konsequenterweise Nanoporen aus einem robusten Material herstellen und bioinspiriert funktionalisieren, nämlich aus Kunststoffen, die längere Zeit bis zu einem Einsatz, z.B. für die Diagnose in einer Klinik, gelagert werden können.

Solche synthetische Nanoporen (solid state nanopores) werden seit einigen Jahrzehnten in Laboratorien und z.T. auch industriell aus verschiedenen Materialien wie z.B. Glas oder Silizium hergestellt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um Polymere, wie PC (Polycarbonat) oder das von Trinkgefäßen wohlbekannte PET (Polyethylenterephthalat), in Form dünner Folien von einigen 10 µm Dicke.

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Zum Erzeugen der Nanoporen, also dünner Kanäle, die nur einige Nanometer Durchmesser haben, bedient man sich einer Methode, die auf den ersten Blick exotisch wirkt, nämlich der Bestrahlung mit Teilchen aus einem Beschleuniger. Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Historie zu werfen.

Zu Beginn der bemannten Raumfahrt beobachteten die Astronauten Lichtblitze, wenn sie die Augen schlossen. Es stellte sich die Frage, worum es sich dabei handelte. So wurde im Apollo-12-Programm, das nun gerade vor fast genau 50 Jahren stattfand, das Helmet-Dosimetry-Experiment durchgeführt. Die Strahlung, die die Astronauten hinter ihren Augenlidern sahen, musste logischerweise vorher durch die Wände des Raumfahrzeuges und den Helm gegangen sein. Somit mussten sie bei solcher Durchdringungskraft extrem hochenergetisch sein und würden wohl Spuren im Material hinterlassen haben. Also untersuchte man die durchstrahlten Helme und machte die Spuren der hochenergetischen Partikel sichtbar, indem man ihre geradlinigen Bahnen im Polymer mit Natronlauge zu Kanälen aufätzte. Und eben diese Methode wird für die Herstellung der sensorischen Nanoporen verwendet. Die Partikel der Galaktischen Kosmischen Strahlung, hochenergetische Ionen, werden im Labor im Teilchenbeschleuniger erzeugt und im Anschluss werden ihre Spuren zu Nanoporen aufgeätzt. Dies ist so exotisch, wie es begann, nicht mehr. Heutzutage werden Ringbeschleuniger verwendet, um Folien mit Nanoporen für Filtrierzwecke kommerziell herzustellen.

Strommessung von Ionen in Wasser

Das Kernstück für die Bestimmung von Biomolekülen ist die Polymerfolie, die in den Chip eingebettet ist. Dieser verfügt über kleinvolumige Kanäle, in die die zu messende Flüssigkeit eingebracht wird. Vereinfacht ausgedrückt werden zwei solcher Kanäle durch die Folie mit den Nanoporen getrennt, es wird Wasser mit einem Leitsalz, wie Kaliumchlorid zugegeben, und über zwei Elektroden wird der Ionenstrom durch die Nanoporen in dieser elektrochemische Miniaturzelle gemessen.

Zur Funktionalisierung werden die Innenwände mittels entsprechender chemischer Reaktionen mit Rezeptormolekülen bestückt, die ganz spezifisch mit dem zu bestimmenden Biomolekül reagieren, im Schlüssel-Schloss-Prinzip. Während alle anderen Moleküle in Lösung bleiben, koppeln also nur diejenigen von Interesse spezifisch mit den Nanoporen. Deren Durchmesser ist so gering, dass selbst kleine Moleküle den Ionenstrom durch die Nanoporen reduzieren und zwar in Abhängigkeit der Menge der zu untersuchenden Biomoleküle. Diese und andere Prinzipien der Änderung des Nanoporenstroms, wie die Veränderung der Oberflächenladung der Nanoporen, können zur sensitiven und selektiven quantitativen Messung der Biomoleküle genutzt werden, z.B. eines Tumormarkers, der schon zu Beginn des Tumorzellwachstums dieses verrät.

Stand der Entwicklung und weitere Herausforderungen

Der Proof-of-Principle wurde für mehrere Beispiele erbracht. So wurde – allerdings in größeren elektrochemischen Messzellen – z.B. der Neurotransmitter Histamin mit dieser Methode in Salzlösung gemessen. Erste Messungen in humanem Blutserum sind ebenfalls erfolgt.

Das LoC-System befindet sich aktuell noch in der Laborphase, aber auch hier wurden bereits Messungen erfolgreich durchgeführt. Möglich war dies durch Zusammenarbeit von Materialwissenschaft und Elektrotechnik der TU Darmstadt, wo Expertisen von nanotechnologischen Methoden zur Herstellung und Funktionalisierung der Nanoporen und Mikro-Nano-Integration in den Chip zusammenkamen. Die Herausforderungen liegen nun in den Bereichen Selektivität, Reproduzierbarkeit, Lagerstabilität, aber auch im Falle von Blut als zu analysierendem Medium in spezifischen Eigenschaften wie der Blutgerinnung und den mannigfaltigen Inhaltsstoffen dieses komplexen Gemisches und deren Einflüssen auf die Messung, wo entsprechende Schritte der Probenvorbereitung betrachtet werden müssen.

Schließlich wird Validierung das große Thema werden. Neben der medizinischen Diagnostik liegen Anwendungen im Bereich der Analytik von Wasser, wie Grundwasser, Trinkwasser, Abwasser, und anderen Flüssigkeiten, z.B. Lebensmitteln. Beispiele dazu sind Spuren von Medikamenten aus Klinken und Haushalten in zu Trinkwasser aufbereiteten Abwässern oder die Analytik von Fruchtsäften auf deren Inhaltsstoffe.

* Prof. Dr. W. Ensinger Technische Universität Darmstadt, 64287 Darmstadt

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