Testeinrichtung Der Jahrhundertsturm aus dem Nichts
Groß, größer, gigantisch: Der Technologiekonzern SKF hat in Schweinfurt das weltgrößte Testzentrum für Großlager eingeweiht. Im Sven Wingquist Test Center sollen Lager mit bis zu 6 m Durchmesser etwa für Windkraftanlagen unter realitätsnahen Bedingungen geprüft werden – mit bislang unerreichter Präzision.
Anbieter zum Thema

Mal der Sonne ausgesetzt, mal in Eis gehüllt, mal von Wind geschüttelt, mal plötzlich gestoppt: Windkraftanlagen sind heftigen Umweltbedingungen ausgesetzt – die die Großlager in ihrem Inneren häufig an die Grenzen der Belastbarkeit bringen.
„Auch modernste Simulationsprogramme können nicht alle im praktischen Betrieb auftauchenden dynamischen Prozesse realitätsgetreu abbilden“, erläuterte Dr. Victoria Van Camp, im SKF Konzernvorstand zuständig für Technologie-, Geschäfts- und Produktentwicklung. Eindeutiges Indiz: Noch immer kommt es in der knallharten Praxis vereinzelt zu vorzeitigen Ausfällen von Großlagern, obwohl diese mit äußerster Akribie berechnet wurden und oft sogar über „konstruktive Sicherheitsreserven“ verfügten.
Windturbulenzen oder plötzliche Stopps realitätsnah simulieren
Jetzt will es SKF ganz genau wissen, welche Kräfte an ihren Großlagern wirken: Dazu hat der Technologiekonzern am Standort im unterfränkischen Schweinfurt das Sven Wingquist Test Center eröffnet, das Zuhause für zwei neuartige Prüfstände speziell für Großlager. Seinen Namen verdankt das Mitte Juni eingeweihte Testzentrum dem Ingenieur Sven Wingquist, der Im Jahr 1907 das zweireihige Pendelkugellager erfand und damit die Grundlage für den Erfolg von SKF schuf.
„Mit unseren Prüfständen können erstmals etwa Windturbulenzen oder plötzliche Stopps realitätsnah simuliert werden“, so Van Camp. Gleichzeitig werde das Prüfzentrum dazu genutzt, die Zustandsüberwachungstechnik des Unternehmens zu optimieren, um die Industrie 4.0-Aktivitäten von SKF voranzutreiben. Außerdem soll das hinzugewonnene Know-how in die Produktentwicklung einfließen und dazu beitragen, dass kommende Großlager-Generationen bei möglichst geringem Gewicht und minimaler Reibung in ihrer jeweiligen Anwendung ein Maximum an Haltbarkeit erzielen.
Jahrhundertsturm mit einem Knopfdruck erzeugen
Der „Superman“ unter den beiden neuen Prüfständen testet Großlager mit Schwerpunkt Windenergie-Anwendungen. „Er ist der weltweit erste, der nicht nur ein einzelnes Hauptlager für Windturbinen testen kann, sondern gleich eine komplette Lagerungseinheit, also inklusive der Komponenten des Kunden“, berichtete Dr. Martin Göbel, als Manager Global Testing bei SKF für das Gesamtprojekt verantwortlich. „Den sogenannten Jahrhundertsturm für WEA können wir hier mit einem Knopfdruck erzeugen.“
Der rund neun Meter breite, 11 Meter hohe und acht Meter tiefe Gigant wiegt etwa 700 Tonnen. Er verfügt über 64 radial und axial angeordnete Zylinder, die dynamische Kräfte im Bereich von mehreren Meganewton entwickeln können. Die Hydraulikzylinder wirken zunächst auf einen überdimensionalen „Stahl-Diskus“ ein, der im Inneren des Prüfstandes rotiert. Diese massive Scheibe hat einen Durchmesser von ca. sieben Metern und bringt allein 125 Tonnen auf die Waage. Sie überträgt die Kräfte aus den Hydraulikzylindern auf das zu prüfende Lager, indem der Prüfling per Adapter an der Scheibe befestigt wird.
Großlager in Windenergieanlagen sollen 20 Jahre zuverlässig laufen
Dank dieses Konzepts werden die auf den Prüfling einwirkenden Kräfte nicht durch die „Eigen-Stabilität“ eines lastausübenden Lagers beschränkt. So können die 64 Zylinder in Kooperation mit der Scheibe über alle Achsen hinweg Kräfte entwickeln, die in ihrer Kombination um ein Mehrfaches höher liegen als bei der bislang stärksten Großlager-Prüfanlage. Außerdem erreicht der neue Prüfstand von SKF – gemessen an den Dimensionen der Prüflinge – auch noch sehr hohe Umdrehungsgeschwindigkeiten.
Die Kombination aus Dynamik, maximalen Kräften und Biegemomenten sowie Drehzahlen hat einen Grund: Damit sich Windenergieanlagen für ihre Betreiber rentieren, sollen die darin verbauten Großlager möglichst 20 Jahre und länger zuverlässig laufen. Diese 20 Jahre – und alle in dieser Zeit denkbaren Belastungen – wird der neue Prüfstand dank eines beschleunigten Verfahrens innerhalb weniger Wochen bzw. Monate sehr realitätsgetreu abbilden können.
(ID:44750232)