Faszination Technik Bauteile aus Glas leuchten oder heizen von selbst

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In unserer Rubrik „Faszination Technik“ stellen wir Konstrukteuren jede Woche beeindruckende Projekte aus Forschung und Entwicklung vor. Heute: wie Glas auf erstaunlich Weise funktionalisierbar wird.

Am Fraunhofer-IKTS in Dresden kann Glas selbstständig leuchten. Auch das Heizen wird diesem, zu den ältesten künstlichen Werkstoffen zählenden Material, dort  beigebracht.
Am Fraunhofer-IKTS in Dresden kann Glas selbstständig leuchten. Auch das Heizen wird diesem, zu den ältesten künstlichen Werkstoffen zählenden Material, dort beigebracht.
(Bild: Fraunhofer-IKTS)

Glasgegenstände, die im Dunkeln nachleuchten, Glasbehälter, die sich aufheizen und abkühlen oder gläserne Bedienknöpfe und -schalter, die Viren und Bakterien selbstständig den Garaus machen – all das scheint zwar der Alltagserfahrung zu widersprechen, ist aber inzwischen keine Science Fiction mehr, betont das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) in Dresden. Um solche funktionalisierten und gleichzeitig in Präzision geformte Gläser zu erzeugen, haben die Forschungsteams nämlich ihre Erfahrungen mit keramischen Verfahren auf die Glasfertigung übertragen.

Glas bei deutlich geringeren Temperaturen verarbeiten

Durch neue Möglichkeiten bei der Formgebung können Gläser auch bei deutlich geringeren Temperaturen verarbeitet und somit mit Füllstoffen versetzt werden, um diese neuen Funktionen quasi einzubauen. Das war in der Vergangenheit nicht möglich. Damit eröffnen sich neue Einsatzfelder in der Luftfahrt, der Sicherheitstechnik, im Fahrzeugbau oder in der Labortechnik, obwohl Glas in diesen Industriezweigen bisher eher eine Nebenrolle gespielt hat.

Je nach eingesetztem Verfahren sind nämlich nun ganz unterschiedliche und komplexe Formen und Eigenschaften machbar, die früher entweder utopisch waren oder aufwendige, teils umweltschädliche Nachbearbeitungsschritte erforderten. Nun rücken elektrisch leitfähige, heizende, antibakterielle und nachleuchtende Gläser, die auch noch metallfrei sind, in greifbare Nähe. Auch senken die IKTS-Glasformungsansätze in vielen Fällen den Bedarf an Energie, Arbeitszeit und anderen Ressourcen bei der Glasbauteil-Herstellung.

Die mit speziellen Füllstoffen hergestellten, nachleuchtenden Gläser lassen sich u. a. für Sicherheitsanwendungen verwenden.
Die mit speziellen Füllstoffen hergestellten, nachleuchtenden Gläser lassen sich u. a. für Sicherheitsanwendungen verwenden.
(Bild: Fraunhofer-IKTS)

Funktionalisiertes Glas könnte attraktiver als Kunststoff werden

Daraus ergeben sich neue Perspektiven für diesen Werkstoff, betont der verantwortliche IKTS-Abteilungsleiter Dr. Tassilo Moritz. So habe Glas das Potenzial, den massiven Einsatz von Kunststoff für viele kleine Alltagsgegenstände zu Gunsten nachhaltiger Lösungen einzuschränken. Denn wenn sich Glas fast beliebig färben, formen und funktionalisieren ließe, könnten beispielsweise die Kunststoffknöpfe in Bussen, Straßenbahnen oder Fahrstühlen durch Bedienelemente aus Glas ersetzt werden. Ähnliches gilt auch für Möbelgriffe und -knöpfe in Kitas, Altenheimen oder Krankenhäusern. Zwar ist Glas immer noch etwas teurer und schwerer als Kunststoff, räumt der IKTS-Gruppenleiter Dr. Jochen Schilm ein, doch dafür ist es beständiger und hygienischer. Glas versprödet und zerkratzt auch nicht so leicht und hält chemischen Einflüssen und UV-Strahlung stand. Hinzu komme der Designaspekt, weil Glas einfach wertiger aussehe und sich besser anfühle.

Nachschleifen, ätzen und bohren adé

Die Forschenden blicken in der weiteren Ausführung dieser Innovation zunächst einmal etwas zurück, und informieren: Zwar erzeugt und verarbeitet die Menschheit schon seit schätzungsweise mindestens 3.500 Jahren Glas, aber in der Vergangenheit konnten gewisse Schwächen etablierten Glastechnik-Know-hows nie ganz überwunden werden. Zum Beispiel lassen sich aus der Glasschmelze nur Teile mit abgerundeten Kanten herstellen. Wer aber exakte und scharfkantige Formen braucht, muss mit relativ viel Aufwand nachschleifen. Um gar Mikrostrukturen zu erzeugen, wie sie etwa in der Labortechnik nötig seien, müssten Glashersteller auf das Ätzen mit gefährlicher und umweltschädlicher Flusssäure zurückgreifen. Auch ist es sehr schwer, Löcher in klassisches Glas zu bohren. Das alles könnte mit den neuen Methoden der Vergangenheit angehören.

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Mit dem richtigen Additiv wird Glas gezielt verändert

Um die oben genannten Hürden zu überwinden, haben die Dresdner mehrere Expertisen adaptiert, die bisher, wie gesagt, nur für Keramiken und Kunststoffen typisch sind. Ein Beispiel: Sie kombinieren Graphit mit Glaspulver. Als Beitrag zur Kreislaufwirtschaft lässt sich hier auch Recyclingglas verwenden. Aus dieser Glas-Graphit-Pulvermischung kann dann ein sogenannter Feedstock (Grundstoff) werden, der anschließend per Spritzgießmaschine, wie man es von der Kunststoffverarbeitung kennt, in ein Werkzeug eingespritzt wird, in dem die Geometrie und die Mikrostrukturen abgeformt werden. Herstellen lassen sich damit unter anderem elektrisch leitfähige und selbst heizende Glasmikroreaktoren für die Chemie- und Pharmaindustrie. Die Bauteile sind nach dem Spritzgießen noch nicht einsatzfähig und müssen noch gesintert werden.

Kombinieren lässt sich das Glaspulver aber auch mit Farbpigmenten oder phosphoreszierenden Partikeln. Dabei entstehen nachleuchtende Glasbauteile, die beispielsweise im Stockdunklen (etwa nach einem nächtlichen Stromausfall in Gebäuden) noch immer Fluchtwege markieren, die Zeiger und Anzeigen von Uhren oder auch Fahrzeug- und Flugzeugarmaturen leuchten lassen, oder als Schmuck schick schimmern.

Additive Fertigungsmethoden für komplexe Glasteile

Für besonders komplex geformte Bauteile wie etwa Mikromischer setzen die IKTS-Forschenden industriell bewährte additive Fertigungsverfahren ein. Das kann zum Beispiel das sogenannte Vat-Photopolymerization-Verfahren sein, bei dem das Glaspulver in einen per Licht härtbaren Kunststoff eingemischt und nach dem lagenweisen Aufbau zu einem Bauteil mit UV-Licht – man kennt das vom Härten einer Füllung beim Zahnarzt her – ausgehärtet wird.

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Ein anderes additives Druckverfahren ist das Multi-Material-Jetting. Dabei legt die Anlage ein mit Glaspartikeln gefülltes flüssiges Wachs in kleinsten Tröpfchen ab. Weil der bei diesen Verfahren entstehende – auch Grünling genannte – Rohkörper beim anschließenden Sintern, wie von Keramikbauteilen her bekannt, schrumpft, ist allerdings viel Erfahrung notwendig, um am Ende genau die projektierten Bauteilabmessungen zu erreichen. „Für so etwas braucht man ein ganz präzises Sinterregime“, erklärt Schilm. Dies erfordert eine besondere Expertise, die man am IKTS zunehmend ausbaut.

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