Volksmechanik So rollt ein fallender Tropfen durch die Luft

Von I. Tesari, C. Mattheck, K. Bethge

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Ein fallender Tropfen zieht es vor, durch seine Umgebung zu rollen anstatt zu gleiten – noch ein Beispiel dafür, dass Flüssigkeiten und feste Körper miteinander verwandt sind.

Stahltropfen: Was ein fallender Tropfen mit einer Punktlast in der elastischen Ebene zu tun hat zeigen I. Tesari, C. Mattheck, K. Bethge vom KIT in diesem Artikel.
Stahltropfen: Was ein fallender Tropfen mit einer Punktlast in der elastischen Ebene zu tun hat zeigen I. Tesari, C. Mattheck, K. Bethge vom KIT in diesem Artikel.
(Bild: KIT)

Ein fallender Tropfen kann als ein fallender Ringwirbel betrachtet werden. Unsere FEM-Analysen, aber auch die hier vorgestellte klassische Lösung bestätigen, dass eine Punktlast, in einer elastischen Ebene wirkend, ein qualitativ ähnliches Verschiebungsfeld erzeugt, das in einem Kreis eingeschlossen ist. Abbildung 1 aus [1] zeigt Wirbel in Flüssigkeiten in flüssiger oder gasförmiger Umgebung und erklärt, dass ein Tropfen ein Wirbel mit Nullöffnung ist.

Abb. 1: Der Ringwirbel – ein aufgebohrter Tropfen? Hängt man einen Schlauch in Flüssigkeit, bildet sich ein Ringwirbel um den Strahl (A). Mit zunehmender Zähigkeit längt er sich in Strahlrichtung zur Bachkieselform. In einiger Entfernung rollt er munter durch die Umgebung, die er an sich vorbeischaufelt. Rollen statt Gleiten (B). Man denke an die Dunstringe eines Rauchers. Verglichen mit einem fallenden Tropfen (C), ist allein das Loch in der Mitte des Ringwirbels der wesentliche Unterschied. Beide lassen ihre Umgebung auf sich abrollen (aus [1]).
Abb. 1: Der Ringwirbel – ein aufgebohrter Tropfen? Hängt man einen Schlauch in Flüssigkeit, bildet sich ein Ringwirbel um den Strahl (A). Mit zunehmender Zähigkeit längt er sich in Strahlrichtung zur Bachkieselform. In einiger Entfernung rollt er munter durch die Umgebung, die er an sich vorbeischaufelt. Rollen statt Gleiten (B). Man denke an die Dunstringe eines Rauchers. Verglichen mit einem fallenden Tropfen (C), ist allein das Loch in der Mitte des Ringwirbels der wesentliche Unterschied. Beide lassen ihre Umgebung auf sich abrollen (aus [1]).
(Bild: KIT)

So entsteht ein elastischer Tropfen

In unserem Buch „Die Körpersprache der Bauteile“ [1] wurde nachgewiesen, dass auch in festen Körpern Wirbel existieren. Neben den FEM-Berechnungen aus [1] haben wir eine alte analytische Lösung von Lord Kelvin gefunden [2], die von Kachanov [3] ausführlich aufgearbeitet wurde. Stellt man demzufolge das Verschiebungsfeld [3] um eine Einzellast, die in einer elastischen Ebene wirkt, dar, so ergeben sich zwei Wirbel beidseitig der Kraft, die in guter Näherung in einem Kreis eingehüllt sind: ein elastischer Tropfen, z.B. ein Stahltropfen in stählerner Umgebung.

Abb.2: Uniforme elastische Verschiebungsvektoren um eine Punktlast, in der Ebene wirkend. Das Verschiebungsfeld ist kein FEM-Ergebnis, sondern nach Kachanovs Formeln [3] geplottet. Es gibt einen Materialfluss vom blauen Druckkegel mit verdichtetem Material in den durch Zug ausgedünnten Zugkegel. Die Wirbel sind Ausgleicher! Sie nehmen den Reichen und geben den Armen.
Abb.2: Uniforme elastische Verschiebungsvektoren um eine Punktlast, in der Ebene wirkend. Das Verschiebungsfeld ist kein FEM-Ergebnis, sondern nach Kachanovs Formeln [3] geplottet. Es gibt einen Materialfluss vom blauen Druckkegel mit verdichtetem Material in den durch Zug ausgedünnten Zugkegel. Die Wirbel sind Ausgleicher! Sie nehmen den Reichen und geben den Armen.
(Bild: KIT)

Diese Wirbel treiben nun ihrerseits das elastische Umfeld an wie ein Brustschwimmer das ihn umgebende Wasser mit den Armen, während beim fallenden Wassertropfen die Reibung der Luft die Wirbelbewegung im Wassertropfen antreibt. Die Verschiebungsfelder sind jedoch ähnlich. Es ist interessant, dass wir keinen Hinweis darauf fanden, dass Kelvin oder Kachanov bewusst war, dass sie ein Wirbelfeld im festen Körper berechnet hatten, was unseres Erachtens die Mechanik um eine Sichtweise bereichert hätte und Einfluss auf deren Geschichte hätte nehmen können.

Wie Flüssigkeiten und feste Körper zusammenhängen

Das Verschiebungsfeld eines fallenden Tropfens ähnelt qualitativ dem Verschiebungsfeld um eine Einzellast in der elastischen Ebene. Beide ziehen es vor, durch ihre Umgebung zu rollen anstatt zu gleiten. Ein Beispiel mehr dafür, dass Flüssigkeiten und feste Körper miteinander verwandter sind, als gemeinhin geglaubt wird. Mehr zu dieser Volksmechanik und den Denkwerkzeugen nach der Natur erfahren Interessenten im Seminar:

Warum alles kaputt geht

Literatur

[1] C. Mattheck (2017) Die Körpersprache der Bauteile, Karlsruher Institut für Technologie
[2] W. Thompson (Lord Kelvin), Cambr. Dubl. Math. J., 1848, 3, 87
[3] M. Kachanov, B. Shafiro, I. Tsukrov, Handbook of Elasticity Solutions. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht 2003

Mehr über die mathematikfreien Denkwerkzeuge der Natur:

* I. Tesari, C. Mattheck, K. Bethge, KIT Karlsruher Institut für Technologie Institut für Angewandte Materialien 76021 Karlsruhe

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