Betriebsanleitung Papierlose Betriebsanleitung für mobile Geräte
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Innerhalb der Regeln der EU ist es bereits heute möglich, elektronische Betriebsanleitungen zu liefern. Dies bringt ökologische, ökonomische und sogar sicherheitstechnische Vorteile mit sich.

Unzählige Informationen in Griffweite: Die meisten Menschen nutzen heute mobile elektronische Geräte, um Nachrichten oder Bücher zu lesen, Auskünfte einzuholen oder online Produkte zu bestellen – Papier war gestern. Aber Doku – allem voran die gesetzlich geforderte Betriebsanleitung – elektronisch liefern und nicht mehr ausdrucken? Darf man das denn überhaupt?
Das geht nicht – oder doch?
„Nein!“, ist noch immer der erste Reflex derjenigen, die sich zumindest ein wenig mit dem Produktsicherheitsrecht auskennen. Die gesetzlichen Regelungen und deren gängige (auch staatliche) Interpretation scheinen die ausschließlich elektronische Lieferung/Bereitstellung von Dokumentationen noch immer zu verbieten. Beispiel Maschinen: Die Maschinenrichtlinie verlangt in Anhang I Ziffer 1.7.4 das „Beilegen“ einer Betriebsanleitung: „Jeder Maschine muss eine Betriebsanleitung in der oder den Amtssprachen der Gemeinschaft des Mitgliedstaats beiliegen, in dem die Maschine in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen wird.“
Weitere Formerfordernisse sind im Gesetz nicht definiert. Doch der Leitfaden der EU-Kommission sagt in § 255 zum gleichen Thema: „Die Form der Betriebsanleitung wird in Nummer 1.7.4 nicht festgelegt. Der allgemeine Konsens lautet, dass sämtliche Anleitungen, die für Sicherheit und Gesundheitsschutz relevant sind, in Papierform mitgeliefert werden müssen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Benutzer Zugang zu einem Lesegerät für das Lesen einer in elektronischer Form oder auf einer Website zur Verfügung gestellten Betriebsanleitung hat.“
Vorteile bei Sicherheit und Gesundheitsschutz
Die auf den ersten Blick kategorische Ablehnung der elektronischen Form zeigt einen Ansatzpunkt zur Gegenargumentation auf, indem sie die Forderung auf die Informationen bezieht, „die für Sicherheit und Gesundheitsschutz relevant sind“. Das ermöglicht nicht nur eine Aufteilung der Informationen auf einen Teil, der in Papierform geliefert wird und einen elektronischen. Vielmehr erlaubt es auch die Überlegung anzustellen, ob das elektronische Dokument nicht gerade im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz entscheidende Vorteile bietet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Aussage in EN ISO 20607. Diese neue Norm aus dem Juli 2019 beschäftigt sich ausschließlich mit der Betriebsanleitung im Maschinenbau und wird voraussichtlich Konformitätsvermutung bekommen. Im Kapitel 7 „Veröffentlichungsformen“ stellt die Norm die elektronische Publikation (per mitgeliefertem Datenträger oder sogar als Download vom Internet) prinzipiell als gleichberechtigt zur gedruckten Fassung dar. Voraussetzung sei jedoch, dass gesetzliche Forderungen eingehalten werden.
Ein unabdingbares Prinzip
Damit in Übereinstimmung soll dieser Artikel nicht zum Verstoß gegen geltende Gesetze anregen, doch Gesetze und deren Auslegung sind immer nur für eine bestimmte Zeitperiode mit definierten Rahmenbedingungen geeignet. Ab und zu müssen sie angepasst, ergänzt oder auch mal abgeschafft werden. Hinter einem Gesetz steckt jedoch immer ein Grundsatz, ein Prinzip, das meist unabdingbar ist.
Im vorliegenden Fall lautet dieser Grundsatz: Bestimmte, vor allem sicherheitsrelevante, Informationen müssen diejenigen erreichen, die sie benötigen und sie so vor Schaden bewahren. Ist dazu aber zwingend Papier erforderlich? Nein. Seit der Einführung des iPhone im Jahr 2007 haben Smartphones das Verhalten der Menschen beim Konsum von Informationen gravierend und nachhaltig geändert. Was Computerbildschirme, Internet und transportable Reader (für EPUB und ähnliche Formate) nicht vermochten, ist geschehen: Die Menschen verwenden immer weniger Papierdokumente um Informationen aufzunehmen. Das gilt insbesondere für die jüngeren Generationen:
- Generation X, geboren ca. 1965 bis 1984,
- Generation Y, geboren ca. 1985 bis 1996,
- Generation Z, geboren ca. 1997 bis 2012.
Eine Frage des Alters
Generation X hadert mitunter mit der Funktionalität elektronischer Geräte, wenn es um das Konsumieren von Informationen geht, insbesondere in Textform. Papier und das gedruckte Buch werden noch oft bevorzugt. Dies entspricht der Sozialisation dieser Zielgruppe; sie kam in ihrer Jugend und Ausbildung zwar mit Computertechnik in Berührung, aber zur Informationsaufnahme wurden meist die klassischen Medien genutzt. Menschen ändern lange eingeübte Verhaltensmuster nur langsam, einige gar nicht.
Generation Y bildet inzwischen einen nennenswerten Teil der berufstätigen Bevölkerung. Viele ihrer Mitglieder sind mittlerweile Entscheider in verschiedensten Industriezweigen. Diese Generation hat mindestens seit ihrer Schul- und Ausbildungszeit Zugang zum Internet und verfügte oft schon früh über Smartphones. Ein großer Teil dieser Generation nutzt überwiegend mobile Endgeräte, um Informationen abzufragen und zu konsumieren.
Generation Z ist mittlerweile ebenfalls im Berufsleben angekommen. Diese Generation hat in Industriestaaten während ihres gesamten Lebens Zugang zum Internet und Smartphones gehabt. Hier sind Menschen herangewachsen, die bereits von Kindheit an ein anderes Verhalten entwickelt hat, wenn es um Informationsaufnahme geht.
Angesichts dieser Verhaltensänderung von Generation zu Generation erscheint nicht nur möglich, Dokumentation elektronisch bereitzustellen, sondern sogar erforderlich.
Alle Generationen im Blick behalten
Die Generationen Y und Z haben andere Erwartungen an die Bereitstellung von Informationen entwickelt. Wer diesen immer größeren Teil der Käuferschichten erreichen will, muss sich darauf einstellen. Die Herausforderung dabei ist, dass man gleichzeitig weiter auch Generation X bedienen muss. Das ist technisch kein Problem. Die jeweiligen Daten lassen sich auf verschiedene Medien veröffentlichen: als Papierdokument, navigierbares PDF oder HTML5-Dokument gekapselt in einer Web-App.
Allerdings sind Anpassungen in den Informationsstrukturen erforderlich; denn die Nutzer von mobilen Geräten benötigen kleinere Informationseinheiten und eine sehr gut durchdachte Navigation. Das wirkt sich sowohl auf die Gestaltung der Informationseinheiten aus als auch auf die Sprache im Text und die Mittel zur Erstellung aus. Ohne Content-Management geht all das kaum.
Ökologisch und ökonomisch vernünftig
Anleitungen in Papierform zu erstellen stellt in vielen Branchen heute eine einzige große Verschwendung kostbarer Ressourcen dar. Die Papierherstellung ist ein sehr energie- und wasserintensiver Prozess. Druck, Weiterverarbeitung und Auslieferung tragen zusätzlich zum großen ökologischen Fußabdruck bei.
Besseres Verständnis der Kundenbedürfnisse
Last but not least kann die Bereitstellung von Dokumenten über eine Web-App dem Unternehmen tiefe Einblicke in die Bedürfnisse der Nutzer verschaffen. Was wir bislang nicht wussten, lässt sich über die Web-App zum Nulltarif ermitteln:
- Werden Anleitungen überhaupt gelesen, wenn ja, welche Teile davon?
- Wie viel Zeit verbringen die Nutzer damit?
- Welche Informationen werden gesucht, welche besonders oft?
Wer Notizfunktionen hinzufügt oder gar eine Nutzer-Community zulässt, kann noch mehr über seine Nutzer erfahren:
- Was frustriert sie?
- Welche Informationen fehlen?
- Wie verwenden die Nutzer die Produkte eigentlich?
- Welche Erfahrungen machen sie dabei und was sollte man als nächstes entwickeln?
Daten sind das neue Gold
Prinzipiell gilt: Je mehr Daten man über die Nutzung von Informationsangeboten erhält, desto besser kann man die Produkte und deren Präsentation an die Bedürfnisse des Marktes anpassen. Das bringt Kundenbindung und Wettbewerbsvorteile.
Auch hier soll aber die Herausforderung nicht verschwiegen werden: Man benötigt eine gut durchdachte Medienstrategie und ein daraus abgeleitetes Medienkonzept. Und schließlich muss man viel Überzeugungsarbeit leisten und einen langen Atem für die vielen Details aufbringen.
Mehr Sicherheit für die Nutzer
Wie oft haben Sie in einem dieser unhandlichen Papier-Handbücher die Sicherheitshinweise gelesen? Verhindern das Medium und die darin enthaltenen langweiligen, unübersichtlich gestalteten Sicherheitskapitel nicht geradezu, dass die Nutzer die sicherheitsrelevanten Informationen aufnehmen?
Wenn wir jedoch Sicherheitsinformation in elektronischen Dokumenten mit hohem Nutzwert geschickt portionieren und ansprechend präsentieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch wahrgenommen werden – das ist der Weg zu mehr Sicherheit. Es geht schließlich darum, Nutzer durch Informationen, die exakt auf deren aktuelle Bedürfnisse zugeschnitten sind, vor Schaden zu bewahren. Gerade das kann das elektronische Dokument viel besser als das gute alte Papier, weil es genau den „Schnipsel“ Sicherheitsinformation anbietet, der gerade zum angefragten Kontext passt.
Einfach mal loslegen
Tun Sie’s einfach! Publizieren Sie Anleitungen elektronisch. Teilen Sie übergangsweise die Informationen auf in ein kleineres Papierhandbuch und eine ausführlichere elektronische Version. Die Forderung nach Anleitungen in Papierform, an der Juristen und Kommentatoren der EU-Regeln so hartnäckig festhalten, ist ein unerträglicher Anachronismus. Und daran wird sich nichts ändern, wenn die Industrie die gängige Praxis nicht einfach ändert. Viele tun es längst: siehe die Dokus zu einem Smartphone oder zu Audioprodukten. Warum sollte das nicht auch bei Handbohrmaschinen, Stichsägen, Zulieferteilen für den Maschinenbau oder ganzen Industriemaschinen möglich sein?
Die Nutzer erwarten längst etwas Praktischeres als ein Papierdokument oder ein simples PDF.
* Matthias Schulz ist Geschäftsführer HiQ text GmbH und unabhängiger Berater für Maschinensicherheit.
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