Actuator 2014 Künstliche Muskeln mit Wachsfüllung

Redakteur: M.A. Bernhard Richter

Nahezu reißfeste Seile, Supraleiter, Aktoren die Propeller auf 11.500 U/min beschleunigen oder mit einer 85-fach höheren Zugkraft Lasten heben als ein gleichgroßer natürlicher Muskel: Kohlenstoff-Nanoröhrchen machen das alles möglich. Sie sind der Traum eines Produktentwicklers.

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(Bild: Wikipedia)

Noch findet man Kohlenstoff-Nanoröhren vorwiegend in Laboren oder Universitäten. Eine wirtschaftliche Anwendung ist bis auf einige Nischenanwendungen Zukunftsmusik. Das liegt vor allem an den hohen Produktionskosten: 3 Cent pro Meter für eine Faser mit 10 μm Durchmesser. Eines ist aber klar, wer diese Technologie künftig nutzen will – in der Luft- und Raumfahrt, Mikroelektronik, Handhabungs- oder Medizintechnik – muss frühzeitig den Dialog mit den weltweit führenden Entwicklern dieser Technologie aufnehmen. Möglich ist das auf der Kongressmesse Actuator 2014, die vom 23. bis 25. Juni 2014 in der Messe Bremen stattfindet.

Die mechanischen Eigenschaften von Kohlenstoff-Nanoröhren sind beeindruckend: Einwandige Carbon Nanotubes (CNT) haben eine Dichte von 1,3 g/cm³ - 1,4 g/cm³, mehrwandige CNTs von 1,8 g/cm³ und eine Zugfestigkeit von 30 GPa bei einwandiger und bis zu 63 GPa bei mehrwandiger Ausführung. Stahl hat eine Dichte von rund 7,85 g/cm³ und eine maximale Zugfestigkeit von 2 GPa. Daraus ergibt sich für mehrwandige CNTs rechnerisch ein ca. 135-mal so hohes Verhältnis von Zugfestigkeit zu Dichte (Reißlänge) wie für Stahl.

Kohlenstoff Nanoröhrengarn kontrahiert (oben) und entspannt (unten)
Kohlenstoff Nanoröhrengarn kontrahiert (oben) und entspannt (unten)
(Bild: University of Texas at Dallas)

Blitzschnell verdreht

Durch das Einschließen von Paraffin in die einzelnen Kohlenstoff Nanoröhren (CNTs), kann ein Nanogarn aus Kohlenstoff-Nanoröhren hohe Gewichte anheben: Die gefüllten Nanoröhren werden zu einem geraden Garn oder zu einem gedrehten Garn gewickelt. Sie sind bis zu 10.000 Mal dünner als ein Menschenhaar und werden zu kraftvollen Aktoren, wenn ihre Wachsfüllung erhitzt wird. Dann dehnt sich das eingeschlossene Wachs aus und bewirkt, dass sich das verdrillte Garn aus Kohlenstoff-Nanoröhren linear verkürzt oder blitzschnell verdreht. Für diesen Reaktionsablauf braucht die Nanoröhre nur 1/25.000 s (40 µs). Auf dieser Grundlage gelang es Forschern der australischen Universität von Wollongong, der kanadischen Universität von British Columbia und dem Nano-Tech Institute an der Universität von Texas elektrolytunabhängige künstliche Muskeln herzustellen, die einen Propeller in nur 1,2 s auf 590 U/min beschleunigen. Der Propeller wiegt 16,5 Mal so viel, wie der Garnaktor selbst.

85-mal stärker als natürliche Muskeln

Diese elektrolytfrei arbeitenden künstlichen Muskeln ermöglichen schnelle und kraftvolle Arbeitstakte – je nach Ausprägung Dreh- oder Zug-Bewegungen. Über eine Million reversible Zyklen werden erreicht und bis zu 11.500 U/min erzielt. An den linear wirkenden Zugaktoren wurde eine Kontraktion von 3 % der Aktorlänge bei bis zu 1.200 Zyklen pro Minute gemessen. Die Rotation erfolgt 20-mal schneller als bei anderen künstlichen Muskeln und die Leistungsdichte von 27,9 kW/kg führt bei der Muskelkontraktion zu einer 85-mal höheren Kraft als natürliche Muskeln vergleichbarer Größe aufbringen.

Forscher der Universität Texas stellen das Prinzip ihres Nanogarns vor

Die Neuentwicklung erfordert – anders als andere künstliche Muskeln – keinen Elektrolyten und keine Konterelektrode. Die doppelt verdrillten Nanoröhren umschließen die Wachsfüllung sowohl im festen als auch im flüssigen Aggregatzustand und sorgen obendrein für die mechanische Festigkeit zur Beibehaltung der spiralförmigen Geometrie – als Voraussetzung für die aktorische Betätigung, die prinzipiell auch ohne Wachsfüllung möglich ist. Wohlgemerkt in dem immens großen Temperaturbereich zwischen – 50 °C und 2.500 °C und damit weit über dem Schmelzpunkt von Stahl.

Das Wachs in den Kohlenstoff-Nanoröhren der Hybrid-Garne wird elektrisch, chemisch oder mithilfe von Lichtblitzen aufgeheizt. Die Ausdehnung der Wachsfüllung erzeugt dann schnelle und kraftvolle Dreh- oder Zug-Bewegungen. In Versuchen konnten die an zwei Enden eingespannten Nanotube-Garne das 17.700-fache ihres eigenen Gewichts heben.

Kohlenstoff Nanoröhre (Computersimulation)
Kohlenstoff Nanoröhre (Computersimulation)
(Bild: Wikipedia)
Wenngleich ein thermischer Prozess die Bewegung bewirkt und die Rückstellung durch die passive Abkühlung des Paraffins erfolgt, sind die Aktoren nicht träge. Dies liegt an der winzigen Füllmenge des Wachses in den ultrafeinen Nanoröhrchen. Die sehr schnelle, hoch reversible Torsionsbetätigung hat bereits einen Test von 2 Millionen Zyklen absolviert. Das dabei verwendete 6,9 cm lange Garn hat einen Durchmesser von 10 μm. Bei der Erhitzung schmilzt das Paraffin und dehnt das Nanoröhrchen in ihrer Breite aus. Dadurch zieht sich die aus den Kohlenstoff-Nanoröhren hergestellte Spirale zusammen. Mit sinkenden Vormaterialkosten steigen die Chancen, aus dem Kohlenstoff-Nanoröhren-Garn künstliche Muskeln für Weltraumroboter oder unterschiedliche Betätiger in der Luft- und Raumfahrt, in der Handhabungs-, Elektro-, Medizin- und Feinwerktechnik herzustellen. So zum Beispiel auch Aktoren für die feingliedrigen Hände humanoider Roboter. Selbst biokompatible künstliche Muskeln für die Human-Implantation und Weltraumlifte stehen bereits im Fokus der Forscher, auch wenn das heute noch Science-Fiction ist . (br)

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