Verbundwerkstoff Faserorientierungstensor hilft kurzfaserverstärkte Kunststoffe zu simulieren

Von Tobias Haedecke*

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Bei der Simulation von kurzfaserverstärkten Kunststoffen wird die Steifigkeit des Materials oft überschätzt. Um Anwendungsfehler zu vermeiden, hilft der Faserorientierungstensor.

Vergleich der Verformungen in Schnittdarstellung zwischen der isotropen Strukturanalyse (links) und den beiden anisotropen Berechnungen. Einmal mit zentralem Anspritzpunkt (Mitte) und der um 90° gedrehten Variante (rechts) des T-Stücks.
Vergleich der Verformungen in Schnittdarstellung zwischen der isotropen Strukturanalyse (links) und den beiden anisotropen Berechnungen. Einmal mit zentralem Anspritzpunkt (Mitte) und der um 90° gedrehten Variante (rechts) des T-Stücks.
(Bild: Barlog-Gruppe)

Die Simulation erkennt früh im Design neuralgische Stellen. Damit kann:

  • der Materialeinsatz reduziert
  • eine belastungs- und werkzeuggerechte Konstruktion ermöglicht
  • teure Änderungsschleifen in einer späten Projektphase verhindert werden

Dabei steht Fehler in der Entwicklung zu vermeiden im Fokus. Jedoch sind Simulationen Abbildungen der Wirklichkeit, die immer mit Vereinfachungen der Realität in der Modellbildung leben müssen. Es muss daher der passende Kompromiss zwischen Aufwand und notwendiger Detailtiefe gefunden werden. Zusätzlich ist die Simulation nur so gut, wie die mitgeteilten Parameter. Dies gilt nicht nur für Last-, Rand- und Kontaktbedingungen, sondern auch für das oft andiskutierte Thema der Materialmodellierung.

Isotropie versus Anisotropie

In Bereichen, wo zum Beispiel innerhalb von Metallersatzprojekten mit kurzfaserverstärkten Kunststoffen Bauteilkosten gesenkt, Gewicht reduziert und Korrosion vermieden werden, muss beachtet werden, dass es im Materialverhalten zu entscheidenden Unterschieden kommt: Das Verhalten der Kunststoffe ist durch Anisotropie geprägt und steht daher im natürlichen Unterschied zur klassischen Welt der isotropen Metalle. Das Thema der Anisotropie sorgt für Unsicherheit, falsche Annahmen und so für eine suboptimale Bauteilauslegung.

Isotropes, das heißt richtungsunabhängiges, Werkstoffverhalten, wie es zum Beispiel bei Stahl vorkommt, kann im linearen Bereich der Strukturanalyse mit zwei Werkstoffkennwerten klassifiziert werden:

  • dem Elastizitätsmodul (E) als Steigung/Steifigkeit sichtbar im Spannungsdehnungsdiagramm
  • und der Querkontraktionszahl (nu) als Zusammenhang bei Mehraxialität

Dies ändert sich, wenn der Werkstoff anisotrop, das heißt richtungsabhängig, charakterisiert werden soll. Durch das Zusammenspiel von Polymer und Fasern in kurzfaserverstärkten Kunststoffen zeigt der Werkstoff unterschiedliche Eigenschaften quer und längs zur Faser.

Fertigungsprozess ist entscheidend

Logischerweise können längs im Gegensatz zur Querrichtung größere Kräfte aufgenommen und ein steiferes Verhalten festgestellt werden. Quer bestimmt größtenteils das Polymer die mechanischen Eigenschaften. Der Fertigungsprozess spielt also eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der notwendigen Materialeigenschaften.

Erkenntnisgewinn für das gesamte Projekt

Eine zu schnell entschiedene Vereinfachung des Materialmodells (isotrop versus anisotrop) und damit eine Steifigkeitsüberschätzung des gesamten Bauteils kann für die Performance einen erheblichen Einfluss haben. Dieser sollte in den meisten Fällen näher untersucht werden, um in folgenden Wertschöpfungsstufen der Produktentwicklung keine Fehler in der Auslegung zu entdecken, sondern diese im frühen Stadium mit den richtigen Maßnahmen zu verhüten. Im Sinne der Modellbildung liegt es immer im Ermessen des Anwenders, welche Vereinfachungen in einer Simulation ertragbar sind und welche Bereiche im Fokus der eigentlichen Berechnung liegen.

Steifigkeit gnadenlos überschätzt

Der E-Modul von Kunststoffen wird nach DIN EN ISO 527 an spritzgegossenen Probekörpern bestimmt und in technischen Datenblättern der Kunststofftypen ausgewiesen.

Wird dieser E-Modul von faserverstärkten Kunststoffen analog zum Vorgehen bei bekannten isotropen Materialien eingesetzt, kommt es zu Anwenderfehlern in der Simulation. Mit einer Faserorientierung von zirka 80 % in Längsrichtung des Zugstabs verhalten sich die so simulierten Bauteile im Vergleich zur Realität viel steifer. Zusätzlich werden kritische Bereiche leicht übersehen, da das Bauteil generell nicht am Ort der höchsten Belastung versagt, sondern dort, wo die Belastung die Bauteilfestigkeit überschreitet.

Die Bauteilfestigkeit ist keine Konstante aus dem Datenblatt, sondern ist abhängig von der makroskopischen Bauteilposition (Ort auf dem Bauteil) aufgrund der generellen Einflüsse (Last, Geometrie, Fertigung, Medien, Temperatur).

Die Steifigkeit des so simulierten Gesamtsystems wird also gnadenlos überschätzt, da isotrop mit einer Materialsteifigkeit gerechnet wird, die nur mit einer Faserorientierung von zirka 80 % erreichbar wäre, was natürlich technisch einen Widerspruch darstellt.

Es muss also im Materialmodell die Richtungsabhängigkeit, welche zum Beispiel durch Glas- oder Kohlefasern ausgelöst wird, erfasst und in der Simulation für jeden unterschiedlichen Bereich des Artikels berücksichtigt werden. Diese Information ist im Bereich der spritzgegossenen Formteile meist schon durch die Spritzgusssimulation (Virtual Molding) vorhanden.

Stetiger Informationsfluss von Prozess zu Prozess

Als Lösung koppelt die integrative Simulation die Ergebnisse des Virtual Moldings, das den Fertigungsprozess des Spritzgusses simuliert, mit der Untersuchung des Bauteils auf mechanische Belastung in der Strukturanalyse. So findet in den einzelnen Schritten der Produktentwicklung ein stetiger Informationsfluss von Prozess zu Prozess statt. Es wird also weniger parallel gearbeitet, was Fehlerquellen minimieren kann.

Die Faserorientierung, die nach den obigen Erkenntnissen für die Berücksichtigung in einem anisotropen Materialmodell in der Strukturanalyse benötigt wird, wird durch die Strömungsvorgänge im Spritzguss verursacht. Hier kommt es aufgrund des parabolischen Geschwindigkeitsprofils zu einem Schichtaufbau in der Faserorientierung: Im Bereich zwischen der Randschicht und der Kernschicht wird die eintreffende Schmelze geschert und die Fasern orientieren sich in Fließrichtung. Als ein Ergebnis dieser Prozesssimulation steht der Faserorientierungstensor (FOT), welcher die Faserorientierung für jedes finite Element der Bauteildiskretisierung beinhaltet und an die Strukturanalyse übergeben werden kann.

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Definition Faserorientierungstensor

Im FOT dargestellt wird der Anteil der orientierten Fasern in Raumrichtung (X/Y/Z) und in den Ebenen (XY/XZ/YZ – für die Drehungen im Raum) mit der Bedingung, dass die Spur der Matrix gleich 1 ist. Der Faserorientierungstensor und die notwendige Mindestbedingung über die Hauptdiagonale ist wie folgt definiert:

(Bild: Barlog-Gruppe)

Folglich besitzt eine theoretisch komplett zufällige Verteilung (= vollständig unorientiert) in allen drei Raumrichtungen (X/Y/Z) den Wert 1/3.

Für die Materialmodellierung ist neben diesem Anteil der orientierten Fasern noch der Faservolumenanteil und die Streckung (Aspect Ratio, L/D) der Faser entscheidend.

Mit einer Aspect Ratio von 1 (kugelförmig) würde man in der theoretisch komplett zufälligen Verteilung ein isotropes Material abbilden. Mit steigender Streckung gewinnt die Faser an Dominanz gegenüber der verbindenden Matrix, gleicht also im Verhalten einer Endlosfaser (Aspect Ratio zirka 100 bis 1000). Mit einer Aspect Ratio von zirka 20 bei kurzfaserverstärkten Kunststoffen bildet man das folgende anisotrope Verhalten ab.

Am Beispiel eines vereinfachten 2D-Koordinatensystem wird nun der FOT im Zusammenhang mit der Streckung als resultierende anisotope Steifigkeit erläutert, damit verständlich wird, welche Informationen in der integrativen Simulation ausgetauscht werden.

(Bild: Barlog-Gruppe)

Wenn alle Anteile der Faserorientierung in X-Richtung liegen, ist eine Zuordnung mit X=1 im FOT gegeben. Das Material weist ein stark anisotropes Verhalten auf, da die X-Richtung durch die Faser und die Y-Richtung nur durch die Matrix dominiert wird.

(Bild: Barlog-Gruppe)

Wenn sich die Anteile der Faserorientierung zu gleichen Teilen in die X- und Y-Richtung (rot – siehe Abbildung) aufteilen, handelt es sich um eine gleiche Steifigkeitsverteilung in die beiden Hauptrichtungen und es ergibt sich der Steifigkeitsstern, welcher sich auch bei Fasergeweben/-gelegen in der Welt der Composites zeigt. Hier ist das Steifigkeitsverhalten in Achsenrichtung faser- und in den Winkelhalbierenden matrixdominiert. Zusammen mit der Knotennummer und zugehöriger Koordinate (X/Y/Z) des finiten Elements kann der real dreidimensionale FOT in der Berechnung ausgegeben und in die Strukturanalyse eingelesen werden, um den notwendigen Orientierungsellipsoid darzustellen.

Direkter Steifigkeitsvergleich

Um die Problematik der starken Steifigkeitsunterschiede in der isotropen und anisotropen (linearen) Simulation darzustellen, wird nachfolgend ein Beispiel dargestellt.

Das T-Stück stellt als Metallersatzbeispiel im Bereich Sanitär/Haushalt den Ersatz von Druckgussmetallen mit Kunststoffen, hier einem Kebatron PPS mit Trinkwasser-/Lebensmittelzulassung, dar. Die Simulationen zeigen den starken Einfluss des Anspritzpunktes für die Faserorientierung und die damit verbundene Bauteilperformance. Im Vergleich steht die isotrope Berechnung mit den offenkundig naiv genutzten Werten des technischen Datenblatts und zwei anisotrope Berechnungen mit unterschiedlichen Anspritzpunkten.

Vergleich der Verformungen in Schnittdarstellung zwischen der isotropen Strukturanalyse (links) und den beiden anisotropen Berechnungen. Einmal mit zentralem Anspritzpunkt (Mitte) und der um 90° gedrehten Variante (rechts) des T-Stücks.
Vergleich der Verformungen in Schnittdarstellung zwischen der isotropen Strukturanalyse (links) und den beiden anisotropen Berechnungen. Einmal mit zentralem Anspritzpunkt (Mitte) und der um 90° gedrehten Variante (rechts) des T-Stücks.
(Bild: Barlog-Gruppe)

Naturgemäß zeigt sich bei dieser im Schnitt dargestellten Verformung bei Innendruckbeaufschlagung ein symmetrisches Bild in der isotropen Simulation. Zusätzlich wird wieder auf den ersten Blick deutlich, dass die Steifigkeit des Bauteils in der isotropen Simulation deutlich überschätzt wird.

Deutlich größere Verformungen stellen die anisotrop berechneten Ergebnisse dar. Hier zeigt sich beim zentral gesetzten Anspritzpunkt ein ähnlich symmetrisches Verformungsbild, da die Schmelze und somit auch die Fasern auf beiden Seiten ähnlich strömen. Wird der Anspritzpunkt um 90° versetzt auf die Seite gesetzt, kommt es für diesen Lastfall zu einer asymmetrischen Faserausrichtung, die sich deutlich im Verformungsbild abzeichnet. Diese asymmetrische Steifigkeitsverteilung liegt insbesondere in den Bereichen einer Bindenaht vor und kann mit dem anisotropen Materialmodell abgebildet werden.

* *Head of Engineering & CAE bei Bahsys GmbH

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