Harmonic Drive Getriebe Eine geniale Erfindung – Harmonic Drive Getriebe

Autor / Redakteur: Dipl.-Ing. Ullrich Höltkemeier / Karl-Ullrich Höltkemeier

Im Rahmen eines Grundlagenartikels zeigen wir das „Wieso, Weshalb, Warum“ des Harmonic Drive Getriebes. Dazu sprach die konstruktionspraxis mit Dr.- Ing. Matthias Mendel Leiter K&E der Harmonic Drive AG.

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Elektromotor: Servomotor mit Direktantrieb CHM
Elektromotor: Servomotor mit Direktantrieb CHM
(Bilder: HarmonicDrive)

Seit der Amerikaner Walton Musser im Jahr 1955 das Wellgetriebe zum Patent anmeldete, fasziniert das einzigartige Funktionsprinzip viele Ingenieure. Jeden, der einmal einen Wellgetriebe-Einbausatz in den Händen hielt, erstaunt, dass man mit einer filigranen anmutenden, dünnwandigen Büchse (Flex Spline) sehr hohe Leistungen übertragen kann.

Dazu Dr.- Ing. Matthias Mendel Leiter K&E bei Harmonic Drive: „Beschäftigt man sich näher mit dem Funktionsprinzip, erschließen sich schnell die Vorteile und die Genialität der Erfindung. Wirklich beeindruckend ist, dass sich ein solches Getriebe mit nur drei scheinbar einfachen Komponenten realisieren lässt.“ Die Wellgetriebe von Harmonic Drive basieren auf einem außergewöhnlichen Funktionsprinzip, bei dem die Verformung von Material zur Übertragung von Kräften ausgenutzt wird.

Seit der Patentierung 1955 haben schon einige Ingenieurgenerationen mit diesem hochpräzisen Getriebe herausragende Leistungen erzielt. So können mit dem nur dreiteiligen, leichten und kompakten Getriebe Untersetzungen von 30 : 1 bis 320 : 1 pro Stufe bei höchster Präzision erzielt werden.

Das Funktionsprinzip des Harmonic Drive Getriebes

Die Erfolgsgeschichte von Harmonic Drive ist eng mit einer Komponente verbunden,dem Harmonic Drive Getriebe. Dieses Getriebe besteht aus drei Bauteilen: dem äußeren Circular Spline, einem zylindrischen Ring mit Innenverzahnung, dem mittleren Flex Spline, einer zylindrischen, verformbaren Stahlbüchse mit Außenverzahnung sowie dem inneren Wave Generator, einer elliptischen Stahlscheibe mit zentrischer Nabe und aufgezogenem elliptisch verformbaren Spezialkugellager.

Der elliptische Wave Generator als angetriebenes Teil verformt über das Kugellager den Flex Spline, der sich in den gegenüberliegenden Bereichen der großen Ellipsenachse mit dem innenverzahnten, fixierten Circular Spline im Eingriff befindet. Mit Drehen des Wave Generators verlagert sich die große Ellipsenachse und damit der Zahneingriffsbereich.

Da der Flex Spline zwei Zähne weniger als der Circular Spline besitzt, vollzieht sich nach einer halben Umdrehung des Wave Generators eine Relativbewegung zwischen Flexspline und Circular Spline um einen Zahn und nach einer ganzen Umdrehung um zwei Zähne. Bei fixiertem Circular Spline dreht sich der Flex Spline als Abtriebselement entgegengesetzt zum Antrieb.

Save the Date: Anwendertreff IndustriegetriebeEin effizienter Antriebsstrang ist das A und O bei jeder modernen Maschine und Anlage. Welche Rolle dabei das Getriebe als mechanische Komponente im mechatronischen Gesamtsystem spielt, wie man das richtige Getriebe auswählt und wie die Integration in den Antriebsstrang effizient und fehlerfrei funktioniert, zeigt der 1. Anwendertreff Industriegetriebe am 25. Juni 2019.
Mehr Informationen: Anwendertreff Industriegetriebe

Die Vorteile des Harmonic Drive Getriebes:

  • Spielfreiheit: Harmonic Drive Getriebe weisen über ihre gesamte Lebensdauer keine Spielzunahme in der Verzahnung auf.
  • Hervorragende Positionier- und Wiederholgenauigkeit: Harmonic Drive Getriebe besitzen eine hervorragende Positioniergenauigkeit von weniger als einer Winkelminute und eine Wiederholgenauigkeit von nur wenigen Winkelsekunden.
  • Kleine Abmessungen und geringes Gewicht: Harmonic Drive Getriebe sind wesentlich kompakter und leichter als konventionelle Getriebe.
  • Hohe Drehmomentkapazität: Da die Kraftübertragung über einen großen Zahneingriffsbereich erfolgt, können Harmonic Drive Getriebe höhere Drehmomente als konventionelle Getriebe übertragen.
  • Hohe Untersetzungen in einer Stufe: Mit nur drei Bauteilen werden Untersetzungen von 30:1 bis 320:1 in einer Stufe erreicht.
  • Hohe Wirkungsgrade: Im Nennbetrieb werden Wirkungsgrade bis zu 85 % erreicht. Harmonic Drive Getriebe sind nicht selbsthemmend und weisen kein Stick-Slip-Verhalten auf.
  • Hohe Torsionssteifigkeit: Harmonic Drive Getriebe weisen über den gesamten Drehmomentbereich eine hohe Torsionssteifigkeit mit nahezu linearer Kennlinie auf.
  • Zentrale Hohlwelle: Harmonic Drive Getriebe bieten die Möglichkeit einer zentralen Hohlwelle. Kabel, Wellen, Laserstrahlen usw. können so auf einfache Weise durch die Hohlwelle geführt werden
  • Hohe Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer: Harmonic Drive Getriebe erreichen eine sehr hohe Lebensdauer, die den Lebenszyklus der Maschinen positiv beeinflußt.
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Komplette Lösung statt Einzelkomponente

Harmonic Drive ist bereits seit vielen Jahren als Anbieter von spielfreien Getrieben bekannt. Doch nun präsentiert sich das Unternehmen auch als Systemlieferant. Dr.- Ing. Matthias Mendel: „Die Harmonic Drive AG ist schon seit einigen Jahren als Systemlieferant aktiv, dies wurde aber nicht so deutlich kommuniziert, wie es möglich gewesen wäre. Systemlösungen sind kundenspezifisch, werden gemeinsam erarbeitet und stellen daher auch immer Lösungen dar, die exklusiv für einen Kunden produziert werden. Es gibt weiterhin aber genügend Anwendungen, wo der Kunde nur mit einem Getriebe zufrieden ist und dies auch weiterhin von uns erhalten wird.“

Dr.- Ing. Matthias Mendel Leiter F&E bei Harmonic Drive
Dr.- Ing. Matthias Mendel Leiter F&E bei Harmonic Drive
(Bild: Harmonc Drive)

Die Antriebstechnik braucht Produkte mit folgenden Attributen: platz-und gewichts- sparend, hoch untersetzend, zukunftssicher, Integration sämtlicher Servotechnik. Harmonic Drive erfüllt mit maßgeschneiderten Produkten diese Anforderungen.

Dazu weist die Harmonic Drive-Philosophie auf drei Charakteristika hin: hochuntersetzend, spielfrei und kompakt. Mendel definiert: „Die HDA-Getriebe können in einer Stufe im Verhältnis 30:1 bis 320:1 untersetzen. Diese Möglichkeit ist einzigartig. Konstrukteure und Entwickler, die in beengten Einbauräumen sehr präzise Verstellungen mit schnell drehenden Motoren realisieren müssen, schätzen die kompakte Bauform und die technischen Möglichkeiten mit unseren Getrieben.

Damit beim Antrieb unserer Getriebe der Vorteil der geringen Abmessungen durch handelsübliche Motoren nicht beeinträchtigt wird, haben wir hochintegrierte Antriebssysteme – bestehend aus Getriebe, Motor, Messsystemen und Bremse –entwickelt, die auch höchsten Anforderungen des Marktes genügen. Spielfreiheit, die für viele Anwendungen im Maschinenbau unerlässlich ist, bleibt über die gesamte Betriebszeit erhalten. Die Wiederholgenaigkeit messen wir in Winkelsekunden.“

Verlangt werden komplette Antriebslösungen, also Getriebe, Motor und Regler

Der Leiter K&E: „Die Anforderung des Marktes nach kompletten Antriebslösungen ist offensichtlich. Jeder Anbieter, der am Markt erfolgreich bestehen will, muss dies realisieren. So haben wir uns sehr frühzeitig mit dieser Materie beschäftigt und können mit einer breiten Palette von Lösungen aufwarten. Zunächst können wir unseren Kunden eigene Antriebslösungen mit Getriebe, Motor, Messsystem, Bremse und Regler als ein hochintegriertes und kompaktes Produkt anbieten. Falls bei einem Beratungsgespräch der Anwender aus besonderen Gründen den Einsatz eines Fremdmotors und Fremdreglers wünscht, können wir dies auch realisieren.“

„Die gezielte Verformung von Stahlzahnrädern im Bereich von wenigen Zehntel Millimetern bis in den Millimeterbereich eröffnete“, so Dr.-Ing. Mendel, „neue Möglichkeiten, extrem hohe Leistungsdichten in dem bis dahin bekannten Getriebebereich zu erzielen.“

Worin liegen die speziellen Vorteile dieses Getriebes?

Mendel ergänzt: „Neben der sehr hohen Leistungsdichte im Vergleich zu anderen Getriebearten, spielt natürlich die extrem hohe Präzision dieses Getriebes eine wesentliche Rolle, um eine so lange Produktlebensdauer zu erreichen.

Neben einer Positioniergenauigkeit von wenigen Winkelsekunden ist ein wesentlicher Vorteil des Getriebes auch, dass über die gesamte Betriebsdauer kein Zahnflankenspiel zustande kommt, wenn man die Getriebe- und Fertigungstechnologie für ein solches Produkt beherrscht.“

Das Patent ist abgelaufen

Ursprünglich wurde das Prinzip des Harmonic Drive Getriebes 1955 von Walton Musser im Auftrag der Nasa entwickelt und auch patentiert. Nachdem die Patentrechte abgelaufen sind, kann heute jedes Unternehmen ein Harmonic Wellgetriebe produzieren? Dazu äußert sich Dr.-Ing. Mendel: „Die Patentrechte sind in der Tat schon lange abgelaufen. Somit könnte aus rechtlicher Sicht jede andere Firma ein solches Wellgetriebe produzieren. In der Realität sind jedoch die technologischen Eintrittshürden für die Herstellung sehr hoch. Es sind im Detail sehr viele technische Kenntnisse erforderlich, nicht zuletzt sind Erfahrungswerte aus 40 Jahren Entwicklung von Vorteil.

Auch wenn wir niemanden unterschätzen – es gibt weltweit Firmen, die es versuchen – ist der Wissensvorsprung bei Harmonic Drive enorm fortgeschritten. Darüber hinaus betreiben wir eigene intensive Forschungen und Weiterentwicklungen, die unsere Marktposition stärken und ausbauen. Eine gut ausgebildete und erfahrene Konstruktions- und Entwicklungsmannschaft ist die Voraussetzung dafür, dass der technologische Abstand zu einem Wettbewerber erhalten bleibt.“

Harmonic Drive hat sich ein zweites Standbein mit den Servoantrieben geschaffen. Was sind für Sie hier die markantesten Entwicklungen? Matthias Mendel berichtet: „Wir haben uns vom Getriebespezialisten zu einem Spezialisten in der elektrischen Antriebstechnik entwickelt. Ziel war es, sämtliche Kernkomponenten für elektrische Antriebe neben den Getrieben und Lagern also auch Elektromotoren, Bremsen und Motorfeedbacksysteme in Perfektion zu beherrschen, um in Abhängigkeit der Marktanforderungen hochintegrierte Motoren-und Servoantriebe zu entwickeln und anzubieten. So haben wir extrem kompakte, präzise und leistungsstarke Hohlwellenservomotoren und -servoantriebe entwickelt. Die CHA-Hohlwellenservoantriebe und CHM-Hohlwellenmotoren beispielsweise nehmen inzwischen einen festen Platz in anspruchsvollen Antriebssystemen im Werkzeugmaschinenbau, in der Robotik, in der Medizintechnik und in wehrtechnischen Anwendungen ein.“

In dem Zusammenhang muss man auch über Grenzen sprechen. Ich fragte Matthias Mendel: Wie sieht die Entwicklung hinsichtlich integrierter Antriebssysteme aus und wo sehen Sie hier mögliche Grenzen? Mendel antwortete: „Durch die perfekte Beherrschung aller Antriebskomponenten, wie Lagerung, Getriebe, Motor, Bremsen und Feedbacksysteme, ist es uns gelungen, einen extrem hohen Integrationsgrad zu erzielen, was sich letztendlich in einer sehr hohen Kompaktheit widerspiegelt. Dazu kommt eine sehr robuste und widerstandsfähige Auslegung der Antriebe.“

Eine wichtige Rolle spielen auch die kundenspezifischen Entwicklungen von Servoantrieben, welche nun möglich sind. Ein Highlight ist zum Beispiel ein Edelstahl-Servoantrieb für ein Forcefeedback-System der Bedienelemente (Active Stick) für Piloten in Düsenjets.

Mehrere Jahre Entwicklungszeit sämtlicher Komponenten waren nötig, um die extremen Anforderungen an solche Anwendungen zu erfüllen. Inzwischen werden diese Antriebe in Serie eingesetzt. Die Grenzen der Integration sind aus unserer Sicht noch nicht erreicht. Heute beherrschen wir die extrem hohe Integration von präzisen Abtriebslagern, Harmonic-Drive-Getriebekomponenten, Planetengetrieben, Motorkomponenten und Komponenten des Feedbacksystems zu einem sehr kompakten Antriebssystem.

Fazit

Dr.-Ing. Matthias Mendel: „Die Faszination des Wellgetriebeprinzips hat viele Ingenieure in den Bann gezogen. Wer erstmalig mit diesem Getriebeprinzip konfrontiert wird, spricht von einer gewissen Mystery. Nach einiger Zeit des Grübelns wird daraus Faszination - die perfekte Beherrschung der elastischen Deformation von Stahlzahnrädern. Ich denke, das ist eines der Geheimnisse des andauernden Erfolges. Für den Kunden hat die Zusammenarbeit mit einem Systemanbieter verschiedene Vorteile. Abgesehen davon, dass er sich nicht mühsam mit vielen Partnern abstimmen muss, spart die Reduktion auf wenige, starke Lieferanten auch Zeit und Kosten.“

* Dipl.-Ing. Ullrich Höltkemeier, Chefredaktion konstruktionspraxis

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