Die Viertelkreiskerbe lebt weiter: Der einfachste Kurvenfit der Zugdreieckskontur ist ein Brüderchen der Viertelkreiskontur, wie Prof. Mattheck und seine Kollegen hier zeigen.
Neue Erkenntnisse aus der Volksmechanik: Fittet man die Kontur der Zugdreiecke durch ein Kreisbogensegment, so gleichen die berechneten Spannungsverläufe in deckungsgleichen Bereichen denen einer maximal möglichen Vierteilkreiskerbe.
(Bild: KIT)
Die Kontur der Zugdreiecke ist mittlerweile eine in der Industrie weit verbreitete Kerbform zur Vermeidung gefährlicher Kerbspannungen und Bestandteil der DIN ISO 18459 [1]. Für alle rechtschaffenen Konstrukteure, die ihrer Viertelkreiskerbe nachtrauern, zeigen wir hier, dass der einfachste Kurvenfit der Zugdreieckskontur gleichsam ein Brüderchen ihrer zu früh betrauerten Viertelkreiskontur ist. Die maximale Viertelkreiskerbe im Elefantenformat lebt in den Zugdreiecken weiter.
Abb. 1 a: Kontur der Zugdreiecke mit Zwergradius in der unteren Ecke, der bereits früher in dieser Zeitschrift vorgestellt wurde [2].
(Bild: KIT)
Abb. 1 zeigt die mit Zugdreiecken ausgerundete Kerbe und einen Zwergradius am unteren Ende, den der naturgemäß gewissenhafte Konstrukteur lieber hat als eine theoretisch scharfe Ecke, auch wenn es diese fertigungsbedingt so scharf gar nicht gibt (Abb. 1a). Man beachte die Zugrichtung!
Die Ecken zwischen den geraden Abschnitten in der Kontur der Zugdreiecke kann man einzeln ausrunden oder die Kontur als Ganzes z.B. durch die Tangenskurve ersetzen. Die einfachste Kurve ist jedoch ein Kreisbogensegment (Abb. 1b).
Abb. 1 b: Einfachster Kurvenfit durch einen Kreisbogen, der oben tangential einläuft und unten unter 45° eintaucht (aus [3]).
(Bild: KIT)
Wie die Elefantenkerbe entsteht
Stellt sich nun die verschämte Frage, was passiert, wenn man den Kreisbogen nach unten verlängert bis er horizontal in den Rand einer passend dimensionierten Balkenschulter einläuft (Abb. 2): Das ergäbe die größtmögliche Viertelkreiskerbe für den vorgegebenen Breitensprung, die Elefantenkerbe.
Abb. 2: Modell einer Wellen- oder Balkenschulter mit den Kerbkonturen Viertelkreis (blau) bzw. 45°-Kreissegment (rot). Die maximierte Viertelkreiskerbe mit dem Radius R mündet tangential in den dünnen oberen Schaft und trifft vertikal auf den dicken unteren Schaftmantel. Das Kreissegment mit gleichem Radius startet ebenfalls im dünnen Schaft und taucht unter 45° in die Balkenschulter ein. Der Übergang von Kreissegment in die Schulter ist, analog Abb. 1a, mit einem Zwergradius (1/8*R) verrundet.
(Bild: KIT)
Simulation zeigt Spannungsverläufe
Mittels FEM-Analysen (linear-elastisch, ESZ) mit unterschiedlichen Kerbformen und -größen wurden die Spannungsverläufe entlang der Kerbkontur von Plattenschultern ermittelt. Die gestrichelten Linien zeigen den Spannungsverlauf des Kreissegmentes, die durchgezogen Linien gehören zu den Viertelkreis-Elefantenkerben. Man erkennt, dass Schultern mit maximalem Viertelkreisradius und Kreissegmentkerbe in Bereichen, wo sie deckungsgleich sind, fast identische Spannungsverläufe haben.
Abweichungen entstehen beim 45°-Kreissegment erst am Ende des großen Radius, im Bereich des Zwergradius, wo die Spannungen etwas ansteigen, um dann in der (Faulpelz-)Ecke der Schulter rapide abzufallen. Außerdem ist ein hinreichend großer Kerbradius nötig, um die Spannungsspitze abzubauen, wie Abb. 3 zeigt.
Abb. 3: Spannungen entlang der Kerbkontur. Die Laufvariable s startet im geraden dünnen Schulterteil vor dem Radius, läuft entlang der Kerbkontur und endet mit dem Erreichen des dicken Durchmessers. Die Spannungsverläufe der mittels Kreisbogensegment gefitteten Zugdreiecke (unterbrochene Linie) sind in guter Übereinstimmung mit den Spannungsverläufen der maximalen Viertelkreiskerben (durchgezogene Linie).
(Bild: KIT)
Fazit
Fittet man die Kontur der Zugdreiecke durch ein Kreisbogensegment, so gleichen die berechneten Spannungsverläufe in deckungsgleichen Bereichen denen einer maximal möglichen Vierteilkreiskerbe mit gleichem Radius und gleichem Kreismittelpunkt, wenn diese im schlanken Bereich der Plattenschulter tangential und in deren dicken Bereich rechtwinklig einläuft.
Mehr zu dieser Volksmechanik und den Denkwerkzeugen nach der Natur erfahren Interessenten im Seminar:
[1] DIN ISO 18459:2016-08, Bionik – Bionische Strukturoptimierung [2] I. Tesari, C. Mattheck (2017) Von Zugdreiecken und Zwergradien, Konstruktionspraxis 6, S. 24-26 [3] C. Mattheck (2017) Die Körpersprache der Bauteile - Enzyklopädie der Formfindung nach der Natur, Karlsruher Institut für Technologie
Mehr über die mathematikfreien Denkwerkzeuge der Natur:
* I. Tesari, C. Mattheck, K. Bethge, KIT Karlsruher Institut für Technologie Institut für Angewandte Materialien 76021 Karlsruhe
(ID:46601598)
Stand vom 15.04.2021
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