Normen Neue EN ISO 20607 nennt Gestaltungsgrundsätze für Betriebsanleitungen
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EN ISO 20607 liefert als erste harmonisierte Typ-B-Norm zu Fragen der Benutzerinformation einen pragmatischen Ansatz zur Erstellung und Prüfung von Betriebsanleitungen. Besonders wertvoll ist dabei das Kapitel 5 mit einer detaillierten Auflistung aller geforderten Inhalte. Wies dies in der Praxis umgesetzt wird, vermittelt Autor Matthias Schulz in einem aktuellen Grundlagenseminar.

Ersetzte Norm(en): EN ISO 20607 ersetzt keine existierende Norm
Vielmehr ergänzt und präzisiert EN ISO 20607 die Anforderungen in Anhang I der Maschinenrichtlinie (Ziff. 1.7.4 ff) und in EN ISO 12100 (Kapitel 6.4.5). Noch ist die Norm nicht im Amtsblatt der Europäischen Union gelistet, jedoch ist die Veröffentlichung dort beabsichtigt und nur eine Frage der Zeit. Die Norm wird dann Konformitätsvermutung mit Anhang I 1.7.4.2 (außer Buchstabe u) auslösen.
Grund für die Überarbeitung/Veröffentlichung
Für das Erstellen von Anleitungen wurde bereits 2001 eine internationale Norm des IEC veröffentlicht, die auch eine Europanorm wurde: „EN 62079 Erstellen von Gebrauchsanleitungen“. Nach einer ersten Überarbeitung im Jahr 2012 erschien diese Norm neu als EN 82079-1 und erlangte rasch große Bedeutung unter technischen Redakteuren und Dokumentationsdienstleistern. In Kürze wird die Veröffentlichung einer Edition 2 von EN 82079-1 erwartet (die englische IEC/IEEE-Fassung erschien bereits im Mai 2019).
Was hat das mit EN ISO 20607 zu tun? Offenbar handelt es sich um eine Art „Konkurrenzprodukt“, denn die Anforderungen von EN 82079-1 sind in vielen Bereichen ähnlich, gehen jedoch viel weiter. Vielleicht ein bisschen zu weit für manchen Maschinenbauer: Maßgeblich der VDMA und weitere Verbände „stampften“ eine Norm zur Betriebsanleitung aus dem Boden, die die Maschinenbauer bei der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen unterstützen und ihnen damit die aufwändige und teure Umsetzung von EN 82079-1 offenbar weitgehend ersparen soll.
Diese Norm selbst nennt als Zweck: „Dieses Dokument stellt Sicherheitsspezifikationen für Maschinen bereit, die präziser sind als IEC/IEEE 82079-1.“ Leider stimmt genau das überhaupt nicht, denn insbesondere in Bezug auf die systematische Erstellung von Sicherheits- und Warnhinweisen hat die EN ISO 20607 nichts neues zu bieten. Im Gegenteil: Anders als EN 82079-1 wartet die Norm nicht einmal mit einer brauchbaren Liste von Inhalten für ein sog. „Sicherheitskapitel“ auf.
Weiter heißt es: „Ziel dieses Dokuments ist es, die Sicherheitsspezifikationen sowie die Lesbarkeit/Anwendungsfreundlichkeit der Betriebsanleitung der Maschine zu verbessern.“ Auch dieses Ziel verfehlt die Norm leider; denn sie wiederholt bezüglich der Warnhinweise nur bekanntes (das sog. SAFE-Prinzip und die schon lange verbreiteten Signalwörter Gefahr, Warnung und Vorsicht) und kommt bei der Textverständlichkeit nur mit groben Verallgemeinerungen daher.
Dennoch ist EN ISO 20607 für Maschinenbauer und deren Dokumentationsabteilungen wertvoll. Wie kein anderes Dokument stellt die Norm in Kapitel 5.2 eine sehr detaillierte Liste von inhaltlichen Anforderungen bereit. Diese Liste kann beim Prüfen bestehender und zur systematischen Informationsrecherche für neue Anleitungen eine wertvolle Hilfe sein. (Vorsicht jedoch mit Kapitel 5.1 und der Mustergliederung in Tabelle 1: Darin fehlt vieles, was die Norm selbst in Kapitel 5.2 fordert. Zudem wird das Zielgruppenkonzept aus Abschnitt 4.5 gleich wieder ignoriert.)
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Grundlagenseminar
EN ISO 20607: Die neue Norm für Betriebsanleitungen im Maschinen- und Anlagenbau
Ein Machtwort spricht EN ISO 20607 in Sachen Risikobeurteilung: Sie ist zwingende Voraussetzung für die Erstellung von Betriebsanleitungen und muss den Autoren zur Verfügung stehen. Getroffene Schutzmaßnahmen und Restrisiken müssen darin umfassend dargestellt sein.
Beachtenswert: EN ISO 20607 will die Tür in Richtung papierlose Betriebsanleitung aufstoßen und erklärt dazu in Kapitel 7 prinzipiell das Papierdokument und die elektronische Form für gleichberechtigt. Dies widerspricht fast direkt dem Leitfaden zur Maschinenrichtlinie und der Haltung der meisten Kommentatoren aus dem Bereich Produkthaftungsrecht. Hier wird einhellig (und anachronistisch) noch immer die Beigabe in Papierform gefordert. Man darf daher gespannt sein, ob dies bei der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU einen Kommentar wert sein wird.
Die wichtigsten Änderungen/Neuerungen
A) Zielgruppen bei der Erstellung von Anleitungen berücksichtigen (4.2, 4.3, 4.5), das bedeutet:
- 1. Die Terminologie und Darstellung an die Bedürfnisse der Zielgruppen anpassen.
- 2. Wo sinnvoll zielgruppenspezifische Handbücher erstellen, statt eine große „Betriebsanleitung“. Dies könnten z. B. sein ein Installations- ein Betriebs- und ein Instandhaltungshandbuch.
B) Texte verständlich gestalten (4.4 und das gesamte Kapitel 6, Anhang mit Beispielen), das bedeutet:
- 1. Eingeführte fachspezifische Terminologie verwenden, Begriffe ggf. erklären
- 2. Terminologie konsistent verwenden (ein Ding wird immer gleich bezeichnet)
- 3. Kurze einfache Sätze formulieren
- 4. Texte chronologisch und/oder logisch aufbauen
- 5. Wiederholungen nur wo nötig verwenden
- 6. Grafiken, Diagramme und Tabellen einsetzen, wo immer möglich
- 7. Aktive Sprache verwenden (bedeutet unnötiges Passiv zu vermeiden, vor allem bei Handlungsanweisungen)
C) Warnhinweise systematisch gestalten (4.8, 6.5), das bedeutet:
- 1. Genormte Sicherheitszeichen (Piktogramme und Symbole verwenden, siehe EN ISO 7010)
- 2. Genormte Signalwörter verwenden (Gefahr, Warnung, Vorsicht, siehe ISO 3864-2, IEC 82079-1, ANSI Z535.4/.6)
- 3. „SAFE-Prinzip“ anwenden (auch schon bekannt aus EN 82079-1:2012), d. h. Warnhinweise sollen enthalten:
- Hinweis auf Grad des Risikos (Schwere der Gefährdung = S)
- Nennung der Gefährdung und ggf. der Quelle (Art der Gefährdung = A)
- Nennung der Folgen wie Verletzungen und Schäden (Folgen = F)
- Nennung der Maßnahmen zum Vermeiden des Risikos in Form eines Ge- oder Verbots (Entkommen aus der Gefährdung = E)
D) Die sicherheitsbezogenen Informationen in Betriebsanleitungen müssen auf der Risikobeurteilung aufbauen (10.1), das bedeutet:
- 1. Erst Risikobeurteilung, dann Sicherheits- und Warnhinweise erstellen
- 2. Die Risikobeurteilung muss die Gefährdungen/Risiken, die technischen Maßnahmen und die Restrisiken darlegen
- 3. Die Risikobeurteilung ist die wichtigste Informationsquelle für den Ersteller der Betriebsanleitung
E) Geeignete Medien zur Veröffentlichung verwenden (Kapitel 7), das bedeutet:
- 1. Für den Kunden/Nutzer/Verbraucher geeignete Form wählen
- 2. Elektronische Dokumente können zur Verfügung gestellt werden
- 3. Betriebsanleitungen können per Download zur Verfügung gestellt werden.
Empfehlungen
EN ISO 20607 gehört in jede Dokumentationsabteilung im Maschinenbau. Sie sollte vor allem zur Erstellung von Checklisten für den Inhalt verwendet werden. Dabei die C-Norm, die für das Produkt gilt, nicht vergessen; denn darin sind immer spezifische zusätzliche Forderungen (meist Kapitel 6 oder 7 „Benutzerinformation“) enthalten.
In Bezug auf die Qualität der Informationen, Strukturierung und Formulierung (Gestaltung) hat EN 82079-1 weit mehr zu bieten als EN ISO 20607. Beide Normen können jedoch eine gründliche Ausbildung der Autoren (sog. „Technische Redakteure“) nicht ersetzen.
Weitere Informationen:
Tekom Gesellschaft für technische Kommunikation e. V., Stuttgart. Unter anderem veröffentlicht die tekom einen Leitfaden zur praktischen Anwendung von EN 82079-1 (sowohl für Edition 1 als auch für Edition 2: 2019 bereits verfügbar).
* Matthias Schulz ist Geschäftsführer HiQ text GmbH und unabhängiger Berater für Maschinensicherheit.
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