Anker-Steine Die Erfindung des Baukastens

| Aktualisiert am 01.09.2021Autor Dipl.-Ing. (FH) Monika Zwettler

Zum 125. Todestag des Luftfahrtpioniers Karl Wilhelm Otto Lilienthal werfen wir einen Blick auf seine Erfindungen und stellen eine seiner Entwicklungen vor, die als Nebenprodukt entstanden ist: das System- und Konstruktionsspielzeug Anker-Steine.

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Die Idee des Baukastens basiert auf dem didaktischen Ansatz der Spielgaben des Pädagogen Friedrich Fröbel und entwickelt diese zum Architektur-Modellspiel. Durch ein System aus aufeinander aufbauenden Ergänzungskästen gilt der Anker-Baukasten als Prototyp des Systemspielzeugs.
Die Idee des Baukastens basiert auf dem didaktischen Ansatz der Spielgaben des Pädagogen Friedrich Fröbel und entwickelt diese zum Architektur-Modellspiel. Durch ein System aus aufeinander aufbauenden Ergänzungskästen gilt der Anker-Baukasten als Prototyp des Systemspielzeugs.
(Bild: Ankerstein GmbH)

Er gilt als der erste Mensch, der erfolgreich und wiederholbar Gleitflüge durchführte: Karl Wilhelm Otto Lilienthal. Am 9. August 1896 stürzt er mit seinem Flugapparat ab und stirbt am Folgetag an der Wirbelsäulenverletzung als Folge des Absturzes. Zum seinem 125. Todestag stellen wir eine Erfindung vor, die gemeinsam mit seinem Bruder Gustav Lilienthal während ihrer Forschungsarbeiten entstanden ist: die Anker-Steine.

Mineralbausteine für echtes Baugefühl entwickelt

Otto Lilienthal und sein jüngerer Bruder Gustav, der neben der Fliegerei auch ein Faible für lehrreiches Spielzeug hatte, waren auf der Suche nach einem Material, das mehr Authentizität als instabile Holzbausteine bieten sollte. Inspiriert von den Holzbausteinen des deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel – Begründer der Spielpädagogik und Erfinder des Kindergartens – entwickeln die Brüder Lilienthal 1875 eine Rezeptur zur Herstellung von Mineralbausteinen, die aus einer Mischung von Quarzsand, Kalk, Leinöl und natürlichen mineralischen Pigmenten besteht. Diese werden unter hohem Druck zusammengepresst und anschließend getrocknet. Die klassischen Farben der Bausteine sind Marineblau, Englisch Rot und Ocker, welche die Materialien Schiefer, Ziegelstein und Sandstein nachahmen sollen.

Der Clou: Aufgrund von Präzision, Eigengewicht und Struktur können auch große Gebäude ohne Bindemittel gebaut werden – das Zusammenhalten der Gebäude basiert allein auf der Statik.

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1884 werden die ersten vier Anker-Serien vorgestellt

Da das kreative Genie der Brüder Lilienthal größer ist als ihr Vermarktungstalent, verkaufen sie hoch verschuldet das Rezept für die Herstellung ihrer Bausteine an den Unternehmer Richter, der die Steine patentieren und in einer Kunstanstalt von Künstlern, Illustratoren und Architekten die Bauvorlagen für Baukästen erstellen lässt: 1884 bringt Richter die ersten Serien mit vier verschiedenen Steinbaukästen auf den Markt.

Eine derzeit einmalige Anzeigen- und Werbekampagne macht das neue Spielzeug schnell bekannt. Richter ist einer der ersten in Deutschland, der großflächig bunte Werbung verwendet, die Lösungen zu Knobelaufgaben separat verkauft und Prachtausgaben herausgibt. Sie werden auf verschiedenen Ausstellungen präsentiert und gewinnen zahlreiche Auszeichnungen. Schon bald verlassen die Fabrik in Rudolstadt über 40.000 Anker-Steinbaukästen, die ab 1895 unter dem Logo des Ankers vertrieben werden. In Wien, St. Petersburg, London und New York entstehen Niederlassungen und Zweigbetriebe.

Das Baukastenprinzip der Anker-Steine

Der Baubegeisterte startet mit einem Grundkasten. Mit den darin enthaltenen Steinen und der Bauvorlage kann er bereits viele Bauwerke nach Anleitung bauen oder weitere nach seiner Fantasie und Kreativität. Das oder die Bauwerke, die auf der letzten Seite der mitgelieferten historischen Bauvorlage abgebildet sind, lassen sich erst mit dem Steinbestand des nachfolgenden Ergänzungskastens bauen.

Die Bauvorlagen geben keine real existierenden Gebäude wieder, sondern stellen prototypische Bauformen dar, etwa der Dom, die Kapelle. Ein Heft enthält perspektivische Ansichten der Gebäude und die Grundrisse sowie Schnittdarstellungen. Die „Spielidee“ der Kästen besteht darin, die Pläne in Bauwerke umzusetzen.

Mit jedem Ergänzungskasten steigt der Steinbestand und die Formenvielfalt. Außerdem werden die Steine filigraner und kleiner, so dass auch die feinmotorischen Fähigkeiten ausgebaut und trainiert bzw. gefestigt werden. Die Möglichkeiten der Bauwerke sind laut Hersteller unzählbar, denn jeder kann selbst entscheiden, ob er nach der mitgelieferten Bauvorlage baut oder eigene Projekte umsetzt.

Wo und wie Anker-Steine heute produziert werden

Als Richter 1910 stirbt, hinterlässt er ein Imperium in voller Blüte, mit Niederlassungen in ganz Europa und den USA. Die Stamm-Fabrik in Rudolstadt beschäftigt zu dieser Zeit 649 Arbeiter. Nach langen Jahren des Erbstreits und zwei überstandenen Weltkriegen beschließt die DDR-Führung 1963 jedoch, die Produktion einzustellen. Das Unternehmen „VEB Anker-Steinbaukasten“ wird aufgelöst, die Produktionsanlagen anderweitig vergeben.

Der an der Berliner Technischen Universität lehrende Akustikprofessor und Anker-Liebhaber Georg Plenge startet das Projekt zur Anker-Renaissance. Unterstützt von Mitteln der EU und des Landes Thüringen wird 1995 die Produktion unter Verwendung noch vorhandener Vorlagen wieder aufgenommen. Der Markteinstieg erfolgt mit dem Grundkasten 6 und kurz darauf mit den Ergänzungskästen 6A und 8A.

2009 sichern Gerhard Gollnest & Fritz-Rüdiger Kiesel durch Übernahme des Unternehmens die weitere Existenz der Anker - Steinbaukasten GmbH – die beiden Hersteller traditionellen Spielzeugs sind u.a. durch die Spielzeugmarken Goki bekannt. Nachdem Goki im Mai 2017 das Gewerbe für die Produktion der Ankersteine abgemeldet hatte, übernahm die Arbeiterwohlfahrt Rudolstadt das Unternehmen und produziert nun vor Ort die Steine.

Der Produktionsprozess im Überblick:

  • Ankersteine werden in Handarbeit hergestellt – die Zutaten werden in mehreren Arbeitsschritten vermengt. Um Unreinheiten zu vermeiden wird im Anschluss die entstandene Masse gesiebt. Diese Masse wird zum Pressen verwendet. Einige Pressen stammen noch aus der Gründerzeit. Auf diesen Pressen, die ausschließlich via Muskelkraft funktionieren, werden Steinserien mit geringer Stückzahl produziert und Formen, die besonders aufwendig sind, wie z. B. Pyramiden.
  • Für halbautomatische Pressen füllt der Mitarbeiter die Masse in Handarbeit in die Matrizen der Formen ein und die Steine werden maschinell gepresst.
  • An der vollautomatischen Presse werden vor allem Steine in großen Stückzahlen hergestellt.
  • Gepresste Steine werden per Meßschieber gemessen, wobei den Angaben zufolge nur geringe Maßtoleranzen geduldet werden.
  • Anschließend werden die gepressten Steine im Ofen getrocknet. Dabei verharzt das Leinöl und somit wird aus „in Form gebrachter Masse“ ein Stein.

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Wichtige Daten und Stationen in Lilienthals Leben

  • 1848: Lilienthal wird a, 23. Mai als erstes von acht Kindern in Anklam geboren
  • ab 1867: Erste Experimente, deren Ergebnisse Eingang finden in sein 1889 veröffentlichtes Buch zu den physikalischen Grundlagen des Menschenflugs
  • 1873: Mitgliedschaft der Brüder Lilienthal in der Aeronautical Society of Great Britain
  • ab 1874: Systematische Experimente zu Luftkräften am Tragflügel, mit Flugmodellen, mit Drachen und zu den Eigenschaften des natürlichen Windes; Auftriebs- und Widerstandsmessungen an Tragflügelprofilen, die erst 1889 veröffentlicht werden. Erforschung u. a. des Vorteils der gewölbten Fläche
  • 1875: Erfindung des späteren Anker-Steinbaukastens gemeinsam mit Gustav Lilienthal
  • 1877: Patent auf eine Schrämmaschine (Bergbau), erstes von 23 Patenten Lilienthals (darunter 4 Luftfahrtpatente)
  • 1881: Lilienthal eröffnet in Berlin eine eigene Maschinenbaufabrik. Produziert wurden Schlangenrohrkessel, Heizungsanlagen, Transmissionen und Dampfmaschinen
  • 1889: Otto Lilienthal veröffentlicht in seinem Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ Messungen an Tragflügeln, sogenannte Polardiagramme, die Grundlage unseres heutigen Begriffssystems werden und die Vorteile der Flügelwölbung belegen
  • 1891: Otto Lilienthal erreicht Flugweiten bis 25 Meter. Diese gelten heute als die ersten sicheren, wiederholbaren Gleitflüge der Geschichte und seine Methode „vom Sprung zum Flug“ als die einzige, die ein Erlernen des Fliegens ermöglicht
  • 1894: Otto Lilienthal nimmt mit dem „Normal-Segelapparat“ die erste Serienfertigung eines Flugzeugs auf. Er erreicht mit verschiedenen Flugzeugkonstruktionen Flugweiten bis 250 Meter.
  • 1896: Am 9. August überzieht Otto Lilienthal bei einem Routineflug in den Stöllner Bergen und stirbt am Folgetag an der Wirbelsäulenverletzung als Folge des Absturzes

Quellen und weiterführende Informationen:

www.lilienthal-museum.de

anker-bausteine.de/geschichte

www.otto-lilienthal.de

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