Retrofit Drehmaschine Wie eine 129 Jahre alte Drehmaschine Industrie-4.0-fähig wird

Redakteur: Katharina Juschkat

Sie wiegt 300 kg, ist aus Gußeisen und schon 129 Jahre alt: Bosch hat eine alte Drehmaschine aus der Zeit der ersten industriellen Revolution in eine Industrie-4.0-fähige Maschine verwandelt.

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Über hundert Jahre alt, und funktioniert dennoch ohne Probleme: Die Drehmaschine aus dem Jahr 1887 wurde Industrie-4.0-fähig gemacht.
Über hundert Jahre alt, und funktioniert dennoch ohne Probleme: Die Drehmaschine aus dem Jahr 1887 wurde Industrie-4.0-fähig gemacht.
(Bild: K.Juschkat/konstruktionspraxis)

Sie ist 129 Jahre alt, pedalbetrieben und ein Prachtstück der Industrie 1.0. Unternehmensgründer Robert Bosch hat 1887 noch persönlich an der 300 Kilogramm schweren, gusseisernen Drehmaschine gearbeitet. Unter anderem wurden darauf Teile für den Magnetzünder gefertigt – jenes Produkt, das dem Unternehmen Ende des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch verhalf. Nun hat Bosch die historische Drehmaschine aus dem Museum ins Industrie-4.0-Zeitalter katapultiert.

Der technische Unterstützer: das Internet-of-Things-(IoT-)Gateway von Bosch. Das vernetzte System kombiniert Sensorik, Software sowie eine IoT-fähige Industriesteuerung und ermöglicht damit die Zustandsüberwachung der Drehbank. „Unser Aufbau zeigt, dass auch älteste Maschinen mit dem IoT-Gateway vernetzt werden können“, sagt Dr. Werner Struth, in der Bosch-Geschäftsführung unter anderem für die Industrietechnik und die Fertigungskoordination verantwortlich.

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Viele Maschinen noch nicht Teil der Industrie 4.0

„Viele Maschinen im Handwerk oder in der Fertigung sind noch ohne Industrie-4.0-Anbindung. Unter anderem fehlen ihnen Sensoren, Software oder die Anbindung an IT-Systeme des Unternehmens – und damit wesentliche Voraussetzungen für die vernetzte Fertigung”, erklärt Struth. Allein in Deutschland seien mehrere zehn Millionen Maschinen betroffen. „Global betrachtet ist das ein Milliardenmarkt für Retrofit-Lösungen.“ In Deutschland sieht Struth bei der Nachrüstung ein Marktpotential im dreistelligen Millionenbereich.

Vernetzte Maschinen sind das, was die Industrie braucht – und genau das will das IoT-Gateway leisten. Damit müssen Betreiber älterer Produktionsanlagen keine neuen Maschinen anschaffen, sondern können bestehende Anlagen nachrüsten, um sie zu vernetzen. Das Gateway soll die Anlagen – ganz im Sinne der Industrie 4.0 – überwachen, Ausfallzeiten reduzieren, die Wartung optimieren, kurzum: die Produktivität steigern.

Getunte Drehmaschine zeigt, wie Retrofit funktioniert

Die „getunte“ Drehbank zeigt, wie bei egal welchen Anlagen die vernetzte Fertigung umgesetzt werden kann. Durch die Prozessüberwachung kann die Qualität gesichert werden, durch die fortlaufende Zustandsüberwachung ungeplante Ausfallzeiten verhindert werden. Für die Prozessüberwachung erfassen Sensoren unter anderem die Drehzahl des Werkstücks: Zu hohe oder zu niedrige Schnittgeschwindigkeiten verschlechtern die Fertigungsqualität beim Drehen von Metall und können das Werkzeug beschädigen. Mithilfe der Sensoren, die die Daten an das Gateway übertragen, kann der Bediener am Fußpedal jederzeit auf einem Monitor sehen, ob er schneller oder langsamer treten muss, um die optimale Drehzahl einzuhalten.

Zudem erkennt die jetzt vernetzte Drehbank schleichende Veränderungen am Antrieb: Mit zunehmendem Alter kann der lederne Treibrieben zwischen dem Antriebsrad und der Spindel mit dem Werkstück durchrutschen. Für das menschliche Auge ist dieses zunächst unsichtbar. Sensoren erkennen aber bereits Abweichungen im Prozentbereich. Ist ein vorgewählter Schwellenwert erreicht – z.B. ein Durchrutschen von 2 % – sendet das vernetzte System automatisch eine Nachricht an den Instandhalter. Der wechselt den Riemen innerhalb einer vorgegebenen Zeit aus und vermeidet einen Ausfall.

507 Mark für die Drehmaschine

Robert Bosch hatte die Drehbank im Februar 1887 gekauft und auch selbst daran gearbeitet. Sie war vermutlich bis 1901 im Einsatz. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse entspricht der damalige Kaufpreis von 507 Mark etwa 30.000 bis 40.000 Euro – für den kleinen Betrieb, den Robert Bosch erst 1886 gegründet hatte, war das eine beträchtliche und auf Dauer gerechnete Investition. „Daran hat sich bis heute nichts geändert: Maschinen sind teuer. Wir müssen sie so effizient wie möglich nutzen. Das Vernetzen kann uns dabei helfen“, sagt Struth.

BUCHTIPPDas Buch „Industriesensorik“ beschreibt die Entwicklung und die praktische Anwendung der wichtigsten Sensoren. Durch anwendungsbezogene Fehleranalysen von Messsystemen, Sensoren und Sensorsystemen, jeweils ergänzt durch viele detaillierte, vollständig durchgerechnete Anwendungsbeispiele, eignet sich das Buch nicht nur für Studenten, sondern auch für Ingenieure und Techniker verschiedener Fachrichtungen.

Die Zyklen neuer Entwicklungen im Maschinenbau unterscheiden sich von jenen in vielen anderen Branchen. Einmal angeschaffte Maschinen bleiben oft über Jahrzehnte im Einsatz. Sie lassen sich nur mit hohem Aufwand und mit hohen Kosten an neue Anforderungen anpassen. Ein großer Teil des weltweit installierten Maschinenparks ist daher noch ohne Anbindung an die vernetzte Fertigung. Der Bedarf für sogenannte Retrofit-Lösungen zum Nachrüsten für die vernetzte Fertigung ist daher riesengroß. Das gilt auch für Bosch: „Wir setzen das IoT-Gateway bereits selbst ein und sparen damit Geld“, sagte Struth. Der Fachöffentlichkeit wird das IoT-Gateway zur Messe SPS IPC Drives im November vorgestellt.

Gateway muss nicht programmiert werden

Im Bosch-Werk Homburg haben Ingenieure mit dem IoT-Gateway einen Prüfstand für Hydraulikventile aus dem Jahr 2007 vernetzt. Mithilfe neuer Sensoren, die die Qualität des eingesetzten Öls überwachen, lässt sich der Zeitpunkt für den nötigen Ölwechsel nun weitaus genauer bestimmen als zuvor. Dies spart Zeit, Geld und schont die Umwelt. In diesem konkreten Fall hatte sich das Nachrüsten bereits nach 18 Monaten amortisiert. Im nächsten Schritt sollen 22 weitere Prüfstände und später weitere Maschinen bei Bosch nachgerüstet werden. Außer dem Gateway bietet Bosch auch die nötige Software an, um Daten zum Beispiel in der IoT-Cloud zu analysieren, aufzubereiten und darzustellen.

Save the Date: Anwendertreff MaschinenkonstruktionAngesichts zunehmender Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen stellt sich die Frage, ob die klassischen Technologien im Zeitalter von Industrie 4.0 noch zeitgemäß sind und wo sich neue Maschinenkonzepte anbieten. Antworten und Entscheidungshilfen für die Auswahl der jeweils am besten geeigneten Methoden und Komponenten bietet der Anwendertreff Maschinenkonstruktion am 21 Mai 2019.
Mehr Informationen: Anwendertreff Maschinenkonstruktion

Das Gateway wird – je nach Anwendung – um Sensoren erweitert, die an der nachzurüstenden Maschine angebracht werden. Die Sensoren erfassen etwa Temperatur, Druck, Vibration, Stromverbrauch, Ölqualität, Neigungswinkel, Drehgeschwindigkeit oder andere Parameter. Diese Daten übersetzt die Software in Echtzeit in ein Format, das sich in bestehenden Produktionsumgebungen eingliedern lässt – „wie ein nimmermüder Simultanübersetzer für die Industrie 4.0“, sagt Struth. Das Gateway muss dafür nicht programmiert, sondern über einen Browser lediglich konfiguriert werden. Das soll die Inbetriebnahme drastisch verkürzen. Dafür nutzt das Unternehmen unter anderem die offene Maschinensprache PPMP („Production Performance Management Protocol”).

Und die Drehmaschine? Die wird trotz der IoT-Anbindung keinen Einsatz in modernen Fabriken von heute finden. Aber sie zeigt eindrucksvoll, dass Maschinen, die nicht vernetzt sind, nicht gleich veraltet sein müssen. Industrie 4.0 lässt sich nachrüsten – und das kann gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine Lösung sein, um den Anschluss nicht zu verlieren. (kj)

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