Virtual Reality Wie virtuelle Realität die Entwicklung im Werkzeug- und Formenbau unterstützt

Autor / Redakteur: Christoph Runde / Dipl.-Ing. (FH) Monika Zwettler |

Virtual Reality (VR) im Engineering wird vielfach mit Anwendungen in der Produktevaluation hinsichtlich Montierbarkeit, Wartbarkeit, Ergonomie oder im Industrial Engineering assoziiert. Gleichwohl haben sich in den vergangenen Jahren etliche VR-Anwendungen etabliert, die im Werkzeug- und Formenbau angesiedelt sind. Dazu zählen Anwendungen für das Urformen, Umformen, Trennen, Fügen, Beschichten und Stoffeigenschaft ändern, also alle Hauptgruppen der Fertigungsverfahren .

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Virtual-Reality-Techniken werden heute bereits für die Analyse und den Entwurf zahlreicher Fertigungsverfahren eingesetzt.
Virtual-Reality-Techniken werden heute bereits für die Analyse und den Entwurf zahlreicher Fertigungsverfahren eingesetzt.
(Bild: VDC Fellbach)

Die Auslegung von Fertigungsverfahren ist vielfach eine komplexe räumliche Aufgabenstellung. Damit lässt sich VR grundsätzlich sinnvoll einsetzen. Vielfach beruhen VR-Anwendungen hier auf einer Weiterverarbeitung (Post Processing) von Daten aus der physikalischen Simulation, beispielsweise aus den Bereichen Computational Fluid Dynamics (CFD) oder Finite-Elemente-Analyse (FEM). Die dort üblichen Metaphern wie Fehlfarbendarstellung werden übernommen, gleichzeitig werden weitere Techniken in der VR eingesetzt. Großprojektionssysteme lassen sich einsetzen, um Gruppendiskussionen - auch über Fachgrenzen hinweg - zu unterstützen. Liegen bereits physische Prototypen vor, anhand derer der Fertigungsprozess getestet wurde, ist der Einsatz von Augmented Reality (AR) für die Superposition denkbar. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über vorhandene Anwendungen, ihre spezifischen Herausforderungen und angestrebte Ergebnisse der jeweiligen VR-Implementierung.

Überblick über eingesetzte VR-Techniken

Werden Ergebnisse aus der Fertigungssimulation erzeugt, können schnell große Datenmengen anfallen. Daher sind die generierten Ergebnisse intuitiv und übersichtlich aufzubereiten, so dass sie leicht zu verstehen sind. Dies kann auch darin resultieren, dass immer nur eine Auswahl der Ergebnisse angezeigt wird. Die Auswahl kann anhand räumlicher Kriterien erfolgen (Anzeige lediglich bestimmter räumlicher Bereiche), anhand von Wertebereichen (Anzeige lediglich der Modellbereiche, die bestimmte Werte aufweisen) oder aber Darstellung nur von Berechnungswerten einer bestimmten Klasse (etwa nur Temperaturwerte, keine Spannungen).

Folgende VR-Techniken sind heute im Einsatz:

  • Fehlfarbendarstellung: Eine physikalische Größe (wie z. B. Temperatur, mechanische Spannungen) wird über eine Farbcodierung sichtbar gemacht (Abb. 1a).
  • Proben: Der Betrachter kann mit einem Messfühler das Modell abfahren und Messwerte anzeigen lassen. Der Messfühler kann unter Umständen bezüglich der gemessenen Größe variabel sein (Abb. 1b).
  • Schnitte: Das 3D-Modell wird so angeschnitten, dass die für den Betrachter wichtigen Bereiche gut zu sehen sind (Abb. 1c).
  • Zeitraffer, Zeitlupe: Ist der Fertigungsvorgang als dynamische Animation dargestellt, so kann diese beschleunigt, verlangsamt und eingefroren werden. Die Animation dient dazu, zeitliche Zusammenhänge im Verfahren leichter zu erkennen (Abb. 1d).
  • Überhöhen: Eine physikalische Größe (wie z. B. Schichtdicke, Auslenkung bei Schwingung) wird so verstärkt, dass sie überhaupt erst sichtbar wird (Abb. 2a).
  • Komparative Darstellung: Alternative Fertigungsprozesse (z. B. aufgrund anderer Prozessparameter wie Vorschubgeschwindigkeit) werden simultan gezeigt, um sowohl die Absolutwerte der Einzelprozesse wie auch Unterschiede identifizieren zu können (Abb. 2b).
  • subtraktive Darstellung: lediglich der Unterschied zwischen zwei Prozessalternativen wird angezeigt. Damit lassen sich Prozessunterschiede noch leichter ausmachen (Abb. 2b).
  • Superposition: Verschiedene Simulationsergebnisse oder aber ein Versuchsteil und ein Simulationsergebnis werden überlagert. Werden genau die simulierten Verfahrensergebnisse des real verwendeten Verfahrens überblendet, weisen Abweichungen auf mögliches Optimierungspotenzial des Simulationsmodells oder auf qualitative Schwankungen des Verfahrens hin (Abb. 2c).
  • Inline-Analyse mit AR: Weiterhin lassen sich Prozessparameter und Messwerte einem Werkstück graphisch überlagen, auch während des Fertigungsprozesses.
  • Selektive Darstellung nach Werten: Nur Modellbereiche, deren Elemente Messwerte in einem anzugebenden Bereich aufweisen, werden angezeigt. Damit lassen sich Problemzonen sehr schnell extrahieren (Abb. 2d).

Virtual Reality in den einzelnen Fertigungsverfahren

Ziel der Virtual Reality-Anwendungen ist es, Ergebnisse interaktiv darzustellen, um die verschiedene Verfahren besser analysieren zu können.

Urformen: Interaktive Darstellung des Gießprozesses

Für das Gießen gibt es zahlreiche Virtual-Reality-Anwendungen. Hierbei handelt es sich um interaktive Darstellung der Ergebnisse von Gießsimulationen zu Analysezwecken. Gießsimulationen dienen der Absicherung des Gießprozesses durch die virtuelle Vorwegnahme des Prozesses. Ziel der Simulation ist es, gewünschte Bauteileigenschaften (etwa Festigkeit, Toleranzen, Vermeidung von Lunkern) bei optimalem Gießprozess (etwa Prozesssicherheit, Prozessgeschwindigkeit) zu erreichen. VR-Anwendungen für die Gießsimulation zeigen den Gießprozess selbst und das Gußteil als Resultat. Der Betrachter hat die Möglichkeit, den Fluss der Werkstoffschmelze im Zeit- und Temperaturverlauf mit oder ohne Form zu betrachten .

Weiterhin kann er den Temperaturverlauf beim Abkühlen beobachten. Der Benutzer kann Bereiche freischneiden, Proben nehmen oder gezielt Partikelquellen (für die Strömungssimulation) setzen. Schließlich besteht die Möglichkeit, das virtuelle Gußteil auf Lunker zu untersuchen, indem man es entsprechend freischneidet.

Umformen: Gewünschte Bauteileigenschaften erreichen

Bei Virtual-Reality-Anwendungen für das Umformen handelt es sich um interaktive Darstellung der Ergebnisse von Umformsimulationen zu Analysezwecken. Ziel der Simulation ist es, gewünschte Bauteileigenschaften (etwa Geometrie, Toleranzen, Dicke, Festigkeit) bei optimalem Umformprozess (etwa Prozesssicherheit, Prozessgeschwindigkeit) zu erreichen. VR-Anwendungen in der Umformsimulation erlauben die Analyse des Umformprozesses im Zeitverlauf, gegebenenfalls die Funktionsweise des Presswerkzeugs, die Materialbeanspruchung während des Umformprozesses, Temperaturentwicklungen und schließlich das Werkstück als Umformresultat selbst. Sowohl die Blechumformung wie auch die Massivumformung können Gegenstand der Untersuchungen sein.

Trennen: Ergebnisse interaktiv analysieren

Zu den trennenden Fertigungsverfahren zählen unter anderem das Bohren, das Fräsen, das Zerlegen und das Reinigen. Virtual Reality wird hier eingesetzt, um die Ergebnisse einer Prozess-Simulation am Werkstück interaktiv analysieren zu können oder aber die Programmierung der Werkzeugmaschine evaluieren zu können. Für letztere Aktivität hat sich der Begriff Virtual Machining etabliert. Zur Optimierung von Zerspanprozessen kann die Simulation des Spanbildungsvorgangs einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie das Verständnis für die thermischen und mechanischen Belastungen von Werkzeugen und Werkstücken erweitert. In der Bohrsimulation lassen sich Betrachtungen zu Temperatur und Spannungsverläufen vornehmen.

Auch der Span als geometrisches Gebilde und seine physikalischen Eigenschaften werden abgebildet. Interessant sind die Temperaturentwicklung, -verteilung und -abführung um sicherzustellen, dass kein Bauteilverzug entsteht. In der Reinigungssimulation liegt der Schwerpunkt auf Zugänglichkeitsuntersuchungen. Hier wird also graphisch-geometrisch über Strahlverfolgungsalgorithmen ermittelt, ob alle relevanten Bauteilflächen vom Reinigungsmittel erfasst werden. Diese entsprechenden Bereiche werden farblich gekennzeichnet. Über Schnitte und Bereichsselektionen können kritische Bereiche schnell identifiziert werden. Technologisch befindet sich die Reinigungssimuation in der Nähe zur Lackiersimulation und zu Raytracing-Methoden.

Fügen: VR-Anwendungen unterstützen die Handhabung

In den Fügeprozessen spiegeln sich letztlich sämtliche Montagethemen wie auch das Schweißen. VR-Anwendungen thematisieren hier die automatisierten Handhabungs- und Fügeprozesse (Automatisierungstechnik: Offline-Programmierung, virtuelle Inbetriebnahmen), die manuellen Montagetätigkeiten (virtuelle Tests zur Montierbarkeit) sowie die Schweißprozess-Simulation. Weiterhin sind AR-Anwendungen zur Unterstützung während des Schweißprozesses entstanden. Hierzu werden Prozessgrößen lagerichtig, also kontextbezogen, in die reale Schweißbrille eingeblendet. Der Schweißer kann damit direkt während des Prozesses Korrekturen vornehmen.

Beschichten: Simulation des Lackiervorgangs

Zu den Fertigungsverfahren des Beschichtens zählt unter anderem das Lackieren. VR-Anwendungen für die Lackiersimulation zielen auf die Analyse des Lackiervorgangs und des Lackierergebnisses ab. Der VR-Benutzer analysiert dazu die Gitterwerte des 3D-Modells (Darstellung nach Schichtdicke, Point-ID oder Cell-ID), er wählt die selektive Bereichsanzeige (nur die Bereiche anzeigen, in denen Elemente bestimmte Simulationsergebniswerte z. B. Lack-Schichtdicke oder Bereichswahl nach räumlichen Gesichtspunkten) oder er nimmt virtuelle Proben.

Stoffeigenschaften ändern: Analyse des Sintervorgangs

Zu den Fertigungsverfahren, welche die Stoffeigenschaften ändern, zählen unter anderem das Verfestigen durch Umformen und das Sintern. Für das Verfestigen durch Umformen lassen sich prinzipiell die gleichen VR-Werkzeuge anwenden wie oben bereits für das Umformen erläutert. Speziell für das Sintern sind VR-Werkzeuge entwickelt worden, die die Analyse des Sintervorgangs und des Werkstücks unterstützen. Zu dem Zweck werden Schnitte durch das Werkstück erstellt, die die freie Sicht auf Werkstückeigenschaften (wie Dichte, Festigkeit) ermöglichen.

Zusammenfassung

Virtual-Reality-Techniken werden heute bereits für die Analyse und den Entwurf zahlreicher Fertigungsverfahren eingesetzt. In einigen Anwendungsgebieten, wie dem Gießen, ist der Einsatz von VR sehr weit. In anderen Themen besteht tendenziell Aufholbedarf. Die identifizierten VR-Anwendungen stellen jedoch noch nicht einmal die Hälfte aller möglichen Fertigungsverfahren dar. Hier besteht also noch reichlich Potenzial für die weitere Verbreitung. Gleichzeitig wurde sichtbar, dass häufig nur ein Bruchteil der möglich einsetzbaren VR-Techniken im konkreten Einzelfall zum Einsatz kam. Hier würde sich oft ein Blick über den Tellerrand lohnen. (mz)

* Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Christoph Runde, Geschäftsführer Virtual Dimension Center Fellbach w. V., 70736 Fellbach.

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