Kunststoffveredelung Wie beschleunigte Elektronen Kunststoffe optimieren

Redakteur: Dipl.-Ing. Dorothee Quitter |

Stoßen Massenkunststoffe an ihre Einsatzgrenzen, kann die gezielte Eigenschaftsveränderung durch Strahlenvernetzung eine kostengünstige Alternative zu Hochleistungskunststoffen sein. Konstruktionspraxis sprach darüber mit dem Geschäftsführer von Beta-Gamma-Service, Dr. Andreas Ostrowicki.

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Eine mögliche Anwendung der Strahlenvernetzung sind Zahnräder im Maschinenbau.
Eine mögliche Anwendung der Strahlenvernetzung sind Zahnräder im Maschinenbau.
(Bild: Markus Steur/BGS)

BGS bietet als Dienstleistung die reproduzierbare Strahlenvernetzung von Kunststoffen an. Welche Vorteile bringt dieser Prozess?

Die Strahlenvernetzung von Kunststoffen mit energiereicher Elektronen- oder Gammastrahlung eröffnet den Weg in Anwendungen, die in vielen Fällen nur Spezial- oder Hochleistungswerkstoffen vorbehalten sind. So verleiht die Strahlenvernetzung z.B. preiswerten Massenkunststoffen und technischen Kunststoffen die mechanischen, thermischen und chemischen Eigenschaften von Hochleistungskunststoffen. Dieses „Upgrading“ ermöglicht den Einsatz unter Bedingungen, denen diese Kunststoffe ansonsten nicht standhalten. Und das, ohne in den Produktionsprozess einzugreifen: Die Strahlenvernetzung erfolgt nach der Formgebung durch Spritzgießen, Extrudieren oder Blasformen als letzter Verarbeitungsschritt in der Prozesskette auf dem Weg zum Endabnehmer. Insbesondere zeichnet sich die Strahlenvernetzung durch hohe Prozesssicherheit sowie Reproduzierbarkeit aus und erspart kunststoffverarbeitenden Betrieben dabei hohe Investitionen, z.B. in neue Werkzeuge.

Wie läuft die Kunststoffveredelung mit Beta-Strahlen ab?

Die Strahlenvernetzung beruht auf der Wirkung hochenergetischer Elektronen- bzw. Beta-Strahlen, die in Elektronenbeschleunigern erzeugt werden. Eine wesentliche Prozessgröße ist dabei die Bestrahlungsdosis. Der Kunststoff wird einer exakt festgelegten Dosis ausgesetzt und so die Vernetzung der Kunststoffmoleküle präzise gesteuert. Dies erfolgt im gesamten Bauteil, es handelt sich also nicht nur um eine Technologie zur Oberflächenbehandlung.

Bei der Vernetzung absorbiert das Material die Strahlungsenergie. Chemische Bindungen werden gespalten, es entstehen freie Radikale. Durch Rekombination vernetzen sich die Polymerketten untereinander und bilden so ein extrem belastbares mehrdimensionales Polymernetzwerk. Kompakte Kunststoffkomponenten mit hoher Komplexität und Dichte erfordern in einigen Fällen eine hohe Durchdringungsfähigkeit. Für Anwendungen, bei denen die Eindringtiefe der Betastrahlung begrenzt und nicht mehr ausreichend ist, kommt die Vernetzung mit Gammastrahlung zum Einsatz. Gammastrahlen haben als elektromagnetische Strahlung eine wesentlich höhere Durchdringungsfähigkeit.

Bei welchen Anwendungen wird die Strahlenvernetzung bereits eingesetzt?

Viele Branchen und Industriebereiche nutzen bereits seit Jahren die Vorteile von Strahlenvernetzung. Hierzu zählen z.B. Kunststoffe in der Kabel- und Leitungsisolation, die hohe Anforderungen an Wärmestandfestigkeit und Chemikalienbeständigkeit stellen oder Rohre für den Heizung- und Sanitärbereich.

Die Anwendungen von innovativen Lösungen aus Kunststoff nehmen stetig zu und erschließen zunehmend Bereiche in denen bisher metallische Werkstoffe eingesetzt werden. Dies geschieht beispielsweise bei allen Arten von Antrie- ben – Zahnräder, Lagerbuchsen oder Gleitelemente sind hierfür nur einige Beispiele, bei denen durch die Strahlenvernetzung eine verbesserte Verschleißfestigkeit und höhere mechanische Belastbarkeit erzielt wird und somit eine signifkante Verbesserung der tribologischen Eigenschaften möglich ist. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld sind Bereiche mit erhöhten Anforderungen an die Temperaturbeständigkeit, z.B. im Motorbereich oder Abgasstrang oder im Bereich elektrischer Baugruppen, wo die Strahlenvernetzung von Kunststoffen das Aufschmelzverhalten komplett verändert und z.B. auch deutliche Verbesserungen im Glow-wire-Test bringt.

Lassen sich auch strahlenvernetzte Kunststoffhalbzeuge weiterverarbeiten, ohne dass die Eigenschaftsverbesserungen verloren gehen?

Kunststoffhalbzeuge wie Platten, Stäbe, Rohre und Profile werden auf der weltweit größten Bestrahlungsanlage bei BGS in Bruchsal strahlenvernetzt. Nicht nur die daraus resultierenden Eigenschaftsverbesserungen bringen einen Mehrwert für unterschiedlichste Einsatzbereiche, sondern die Strahlenvernetzung bewirkt auch eine Optimierung in der Weiterverarbeitung durch schnellere Thermoforming- und Zerspanungsprozesse. Durch die formgebende Weiterverarbeitung der Halbzeuge gehen die strahlengenerierten Eigenschaftsverbesserungen nicht verloren.

In Zukunft wollen Sie auch Faserverbundkunststoffe bestrahlen. Was wird dabei optimiert?

Bereits heute ist es möglich, die mechanische Festigkeit faserverstärkter Kunststoffe durch die Strahlenvernetzung signifikant zu verbessern und das schon bei Raumtemperatur. Zu den mechanischen Eigenschaftsverbesserungen trägt vor allem die bessere Ankopplung der Verstärkungswerkstoffe an die thermoplastische Polymermatrix bei, die u.a. durch eine Aktivierung der Grenzflächen verursacht wird. Strahlenvernetzbare thermoplastische Materialien können z. B. im RTM-Verfahren sowie im Spritzguss eingesetzt werden und realisieren kurze Herstellungszyklen. Zusätzlich können durch die verbesserte Wärmeformbeständigkeit schnellere temperaturunterstützte 3D-Umformungen erfolgen. Dies ist die Voraussetzung für eine Großserienfertigung von leichten und hochfesten Strukturbauteilen aus Faserverbundkunststoffen.

Vielen Dank Herr Dr. Ostrowicki.

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