Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung Warum die Kombination aus Bionik und KI so erfolgversprechend ist
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Bikini gleich Sommer, Sonne und Strand? Nicht nur, denn dahinter verbirgt sich auch ein aktuelles Verbundprojekt, das Leichtbau als Innovationstreiber für ressourcenschonende Produktentwicklung als Basis für nachhaltiges Wirtschaften im Fokus hat.

Den Klimawandel eindämmen und gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigern – für viele Unternehmen ist das aktuell eine der größten Herausforderungen. Der Leichtbau gilt insbesondere im Mobilitätssektor als Schlüsseltechnologie, um dieses Ziel zu erreichen: Dank der besonderen Konstruktionsweise, bei der das Produktgewicht so gering wie möglich gehalten wird, können nicht nur Materialkosten, sondern auch CO2-Emissionen während des Betriebs der Fahrzeuge eingespart werden.
Der Haken: Emissionsintensive Herstellungs- und Recyclingverfahren werden häufig ausgeblendet. Auch wenn in der Entwicklung selbst verhältnismäßig wenig CO2 emittiert wird, so werden doch die späteren CO2-Emissionen in Produktion und Nutzung wesentlich definiert.
Ganzheitlichkeit im Fokus
Daher müssen ganzheitliche Lösungen her, welche nachhaltige Produkte über den gesamten Lebenszyklus von der Entwicklung und Konstruktion bis zum Recycling ermöglichen. Daran arbeitet derzeit ein Konsortium im Verbund-Projekt „Bionik und KI für nachhaltige Integration von Produktentwicklung für einen ressourceneffizienten Leichtbau“ (Bikini, eigene Schreibweise: BIKINI): Gemeinsam suchen die Beteiligten eine Lösung, um Nachhaltigkeit entlang der vollständigen Prozesskette zu ermöglichen – sie setzen dafür auf Methoden der Bionik und künstlichen Intelligenz.
Bewertungskriterien wie Kosten, Gewicht und Leistung werden bei der Entwicklung von Leichtbauteilen aktuell schon berücksichtigt. Wir wollen diesen Katalog um eine Kennzahl für Nachhaltigkeit erweitern.
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Digitalisierung in der Produktentwicklung
Nachhaltigkeit in Konstruktion und Entwicklung: Da geht noch was
Effiziente Entwicklungsprozesse für übergeordnetes Nachhaltigkeitsziel
Um die für die Nachhaltigkeit eines Produkts relevanten Aspekte in den Entwicklungs- und Lebenszyklusprozess integrieren zu können, werden neue Methoden benötigt. Dazu sollen etablierte Verfahren wie die computerunterstützte Erstellung von Entwürfen und technischen Zeichnungen (CAD-Konstruktion) um zusätzliche Elemente ergänzt werden:
- Bionik – eine Wissenschaft, bei der Prinzipien und Phänomene aus der belebten Natur zum Vorbild für technische Entwicklungen werden – und
- künstliche Intelligenz (KI) – ein Teilbereich der Informatik, um menschliche Lern- und Denkprozesse durch Algorithmen in technische Anwendungen zu übertragen.
Diese beiden Technologien dienen als Basis für neuartige Algorithmen und Assistenzdienste, die zu einem teilautomatisierten Prozess führen. „Wir arbeiten im Forschungsprojekt daran, die Nachhaltigkeitsbewertung in diese automatisierten Workflows zu integrieren, damit wir auf diese Kennwerte hin optimieren können. Somit werden wir nicht mehr nur auf Leichtbauziele hin optimieren, sondern auf das übergeordnete Nachhaltigkeitsziel unter Berücksichtigung des gesamten Produktlebenszyklus“, erklärt Sebastian Flügel, Projektleiter, Edag Engineering GmbH.
Die Nachhaltigkeitsbewertung soll dann nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch bei der Ersatzteilbeschaffung in Anwendung gebracht werden, um die Auswahl des nachhaltigsten Fertigungsverfahrens zu ermöglichen. Darüber hinaus arbeiten die Partner auch daran, dass bereits im Anforderungsmanagement die komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Anforderungen und der Nachhaltigkeit mittels KI analysiert und aufbereitet werden, um Risiken frühzeitig zu erkennen.
Wir werden die Nachhaltigkeit entlang des gesamten Lebenszyklus transparent machen, um bessere Entscheidungen treffen und hinsichtlich Nachhaltigkeit optimieren zu können.
Letztlich wird der neue Prozess eine schnelle Anpassung und Optimierung von Produktentwürfen ermöglichen, ohne eine umfangreiche Neuentwicklung durchführen zu müssen. Das hätte nicht nur eine Zeitersparnis, sondern auch eine erhöhte Nachhaltigkeit zur Folge. Fertigungsverfahren oder Materialien, die beispielsweise nur in der Einführungsphase eines Produkts aus klimaorientierter und wirtschaftlicher Sicht sinnvoll sind, können so in späteren Lebensphasen schnell und unkompliziert ausgetauscht werden.
Was steckt hinter der Kombination aus Bionik und KI?
Sebastian Flügel zufolge stellt KI selbst ein bionisches Prinzip dar, weil sie die menschliche Denk- und Entscheidungsprozesse in technische Anwendungen und Algorithmen überträgt. Diese Algorithmen können dann Entwickler beim Transfer von natürlichen Phänomenen in die Technik unterstützen. „Wenn wir wirklich nachhaltig sein wollen, dann müssen wir von der Natur lernen. Allerdings ist dies viel einfacher gesagt als getan. Eine Blattstruktur erfolgreich auf eine Fahrzeug-Außenhaut zu übertragen, oder gar eine Kreislaufwirtschaft dafür zu konzeptionieren, bedeutet sehr viel Aufwand.“ Künstliche Intelligenz kann dabei in verschiedener Weise helfen:
- Bionische Entwürfe und Entwicklungsprozesse benötigen viele Iterationsschleifen und basieren meist auf großen Datenmengen, die ein einzelner Mensch nicht zu überblicken vermag – hier kann KI die Prozesse beschleunigen, etwa bei der Berechnung von Fahrzeugentwürfen, indem zum Beispiel der Fußgängerschutz erfahrungsbasiert durch neuronale Netze in Sekundenschnelle beurteilt wird.
- Darüber hinaus soll eine KI trainiert werden, um den Zusammenhang von Geometrie und Funktion natürlicher Prinzipien zu erkennen und diese auf technische Problemstellungen zu übertragen.
Bei dem Forschungsvorhaben kommt die Software Elise als Low-Code-Plattform für Generatives Engineering zum Einsatz, um die nötige Vernetzung und Automatisierung der verschiedenen Software-Lösungen im Entwicklungsprozess zu ermöglichen. Für Edag nichts Neues, denn das Unternehmen setzt Elise bereits erfolgreich ein. Als Beta-Tester hat Edag bereits Zugriff auf die KI-Funktionalitäten und kann die Datenaufbereitung und das Training neuronaler Netze in der Software automatisieren und diese in die Produktentwicklungsprozesse integrieren.
Nachhaltig – auch hinsichtlich der Kosten
Ein bekanntes Problem an nachhaltigen Produkten und Prozessen sind ihre Kosten, die häufig deutlich höher sind, und im Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit stehen. Auch dieser Punkt wird im Projekt fokussiert, denn die intensive Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft führt dank verschiedener Kompetenzen im Bereich KI und Bionik zu ganz neuen Lösungsansätzen, sagt Sebastian Flügel. „Diese sind notwendig, damit soziale und ökologische Nachhaltigkeit nicht zu Lasten der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit führt, sondern diese sogar bestärkt“.
Das Team der Universität Paderborn ist beispielsweise gemeinsam mit der Krause Dimatec GmbH für die Entwicklung von Kriterien verantwortlich, die bei der Bewertung und Abwägung widersprüchlicher Anforderungen aus wirtschaftlicher und nachhaltiger Perspektive helfen sollen. Die Ergebnisse werden anhand von historischen Daten der Industriepartner, Expertenworkshops und Interviews validiert, um sie schließlich in Algorithmen umzusetzen. Durch die dann automatisierte Erhebung und Überprüfung der Anforderungen an sowie der Nachhaltigkeit von einem Produkt, kann in der Entwicklung eine stetige Ergebnisoptimierung erzielt werden.
Mit dem Projekt streben wir einen maßgeblichen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele an, ohne dabei unwirtschaftliche Restriktionen anwenden zu müssen. So kann eine regionale, hochqualitative und zeitnahe Fertigung auch in Branchen, die bislang vorrangig in Billiglohnländern produzieren, wirtschaftlich ermöglicht werden.
Im Ergebnis: Weniger Gewicht, weniger Entwicklungszeit
Die erarbeiteten Ergebnisse sollen am Beispiel eines Türmoduls demonstriert werden. Die Arbeiten in den einzelnen Arbeitspaketen werden kontinuierlich anhand des Bauteils validiert und abschließend im Rahmen einer Konzeptentwicklung unter automobilen Rahmenbedingungen demonstriert. Angepeilt wird eine Gewichteinsparung von mindestens 20 Prozent bei gleichzeitiger Verringerung der Entwicklungszeit um ca. 30 Prozent.
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Generative Engineering
Produkte automatisiert schnell zur Serienreife bringen
Rückverfolgbarkeit durch Bauteilmarkierungen
Abschließend bleibt die Frage, wie sichergestellt wird, dass die in der Entwicklung getroffenen Annahmen hinsichtlich Nachhaltigkeit auch zutreffen. Auch dazu haben die Forschungspartner eine Lösung parat, erklärt Dr.-Ing. Ulrich Jahnke, Geschäftsführer, Additive Marking GmbH: „Dazu werden während der Nutzungsphase, zum Beispiel über Lastfälle, Bauteilversagen und Recycling, Daten erhoben, um diese Daten im nächsten Optimierungszyklus sowie hinsichtlich der Nachhaltigkeitsbewertung einbeziehen zu können. Die Verknüpfung der Bauteilkomponente zum jeweiligen digitalen Zwilling und der individuellen Bauteilhistorie wird durch additive Direktmarkierungen über den gesamten Produktlebenszyklus robust gewährleistet.“ So kann nachvollzogen werden, ob das in der Entwicklung angedachte Recycling auch in der Realität umgesetzt wurde.
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