Getriebeentwicklung Von 27 Bauteilen auf 1 Bauteil reduziert
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Dank der Kombination von Kompetenzen aus Getriebeentwicklung, Konstruktion, additiver Fertigung und spanender Fertigung ist es einem Forscherteam gelungen, einen Planetenträger für Elektromobilitätsanwendung zu entwickeln, der deutlich leichter und steifer ist als das Referenz-Bauteil.

Das Zentrum für Produkt- und Prozessentwicklung (ZPP) der ZHAW ist spezialisiert auf innovative Produktentwicklung im Maschinenbau von der ersten Idee bis zum finalen Serienprodukt. Im Fokus der Forschung stehen neuartige Methoden, Tools und Verfahren für einen optimierten und effizienten Produktentwicklungsprozess. Die drei Schwerpunkte
- simulationsgestützte Produktentwicklung,
- additive Fertigung und
- Antriebstechnologie
arbeiten gemeinsam an neuen Lösungen für den Maschinenbau und transferieren dieses Wissen in die Lehre.
Was die ZHAW rund um die Getriebentwicklung antreibt
Insbesondere die Entwicklung von Getrieben stellt einen langjährigen Bestandteil der Ausbildung in Maschinentechnik dar. Für die Getriebekonzeption und die Auslegung von Maschinenelementen setzt die ZHAW auf die Softwarelösung Kisssoft. Kisssoft ermöglicht zuverlässige Analysen und effiziente Vergleiche verschiedenster Getriebekonzepte.
Die ZHAW hat eine Vielzahl studentischer Arbeiten im Gebiet der Getriebeentwicklung, insbesondere von Planetengetrieben, durchgeführt. Im Fokus standen dabei die Weiterentwicklungen der Planetenträger, flexiblen Lagerung des Planetenzapfens (Flexpin), Zahnradkörper, Gehäuse aber auch die Entwicklung von Zahnrad-Prüfständen und die Ermittlung der Leistungsdaten von Zahnradwerkstoffen auf den Prüfständen.
Fertigung und Simulation gewinnbringend kombinieren
Die Entwicklung der ersten Planetengetriebe liegt weit zurück, doch durch den Einsatz neuer Fertigungstechnologien – wie dem Laserschmelzen im Pulverbett (PBF-LB/M) und dessen Gestaltungsmöglichkeiten, gepaart mit neuen konstruktionsunterstützenden Werkzeugen – besteht großes Innovationspotential:
- Gesucht sind neue Ansätze für die Konstruktionsweise sowie die zusätzliche Integration von Funktionen. So können zum Beispiel Bauteile wie Gehäuse, Planetenträger, Antriebswelle kraft- und wärmeflussoptimiert gestaltet werden.
- Zudem können die Anzahl Bauteiltrennungen reduziert (Planetenträger und Planetenbolzen) wie auch Schmierleitungen und Kühlrippen – um die Verwendung umweltschädlicher, flüssiger Kühlmittel zu vermeiden – optimal platziert und integriert werden.
Leichtbau: Was für additiv gefertigte Serienteile nötig ist
Die additiven Fertigungsverfahren wie das PBF-LB/M (Laserschmelzen) eröffnen einzigartige Möglichkeiten, um die kraftflussoptimierten Strukturen bestmöglich umzusetzen. Durch den schichtweisen Aufbau der additiven Fertigung sind Leichtbaustrukturen möglich, welche sich nicht oder nur sehr aufwendig durch andere Fertigungsverfahren herstellen lassen. Um wirtschaftliche Lösungen für additiv hergestellte Serienbauteile zu erhalten, muss neben der fertigungsgerechten Umgestaltung sowie der Integralbauweise auch eine zusätzliche Funktionsintegration angestrebt werden.
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Die Gestaltung mechanischer Strukturen kann basierend auf dem Einsatz der Finite-Elemente-Methode (FEM) und den dafür entwickelten Optimierungsalgorithmen signifikant verbessert werden. Eines dieser Verfahren ist die Topologieoptimierung (TO): Die TO-Verfahren generieren Design-Vorschläge basierend auf den Vorgaben wie Bauraum, Lagerung, Belastungen, Restvolumen oder weiteren Nebenbedingungen, welche die definierte Zielfunktion bestmöglich erfüllen.
Forschungsprojekt: einstufiges Planetengetriebe für Elektromobilitätsanwendungen
Um das Innovationspotential der genannten Technologien zu untersuchen, wurde am ZPP ein Forschungsprojekt für ein generisches, einstufiges Planetengetriebe für eine Elektromobilitätsanwendung definiert. Das neuartige Getriebe sollte hinsichtlich der Anforderungen "tiefe Masse, einfache Montage, hohe Zuverlässigkeit und Belastbarkeit" optimiert werden.
Aufgrund der Anordnung der Planetenräder muss der Lastverzweigung im Planetengetriebe besondere Beachtung geschenkt werden. Fertigungs- und Montagetoleranzen führen zu ungleichmäßiger Lastverteilung auf die Planetenräder.
Wie Planetenträger heute aufgebaut sind
Es wurde bereits 1967 durch Roy Hicks gezeigt, dass durch gezielte nachgiebige Gestaltung des Planetenbolzens (des sogenannten Flexpins), eine deutlich bessere Lastaufteilung erzielt werden kann. Beim Design ist jedoch wichtig zu beachten, dass Lösungen zur Verbesserung der Lastaufteilung nicht gleichzeitig zu einer ungünstigen Breitenlastverteilung im Zahnkontakt – zum Beispiel zwischen Planeten- und Hohlrad – führen.
- So wird meist ein gekerbter Bolzen in den Planetenträger gefügt, welcher am anderen Ende wiederum eine Hülse trägt.
- Auf der Hülse werden die Lager des Planeten befestigt.
- Idealerweise wird dank diesem Aufbau der Bolzen durch die tangentialen Zahnkräfte achsparallel deformiert.
- In der Vergangenheit wurden die Flexpins ausschließlich subtraktiv gefertigt.
Im Fokus: Träger und Planetenbolzen
Im Forschungsprojekt wurde die Baugruppe Planetenträger - bestehend aus Träger, Bolzen, Hülse, Lagerung, Zahnräder - untersucht. Dabei stand insbesondere der Träger wie auch der Planetenbolzen im Fokus. Es wurden verschiedene Grundkonzepte hinsichtlich Leichtbau und additiver Fertigung erarbeitet. Leichtbau bei der Entwicklung von Planetengetrieben bedingt die Wahl der optimalen Anzahl Planeten sowie die Variation aller Parameter der Verzahnung. Nur so kann gleichzeitig hohe Zuverlässigkeit und minimierte Masse erreicht werden.
Optimierte Strukturbauteile dank FEM und Topologieoptimierung
Mit der Softwarelösung Kisssoft konnte die Leistungsdichte der zyklisch belasteten Verzahnung ausgelegt werden. Das mechanische Verhalten der Strukturbauteile wurde mittels Finiter Elemente Simulationen evaluiert. Die Steifigkeit des Planetenträgers wurde durch Topologieoptimierung optimiert und die Deformation des Flexpins auf paralleles Verschiebungsverhalten hin verbessert. Anschließend entstand, basierend auf dem gewählten Konzept, ein integraler Planetenträger, welcher den Träger und die fünf Planetenlagerungen (bestehend aus Flexpin und Hülse) vereint. An diesem wurden abermals die Geometrie hinsichtlich des Gewichts verbessert, so dass die Deformation des Flexpins, unter Berücksichtigung der Steifigkeit des kompletten Planetenträgers den Anforderungen entspricht.
Die Anzahl der Bauteile konnte von 27 auf 1 reduziert werden. Ebenfalls konnte die Gesamtmasse um 61,7 Prozent und das Trägheitsmoment um 74 Prozent reduziert werden.
Das Ergebnis: Von 27 Bauteilen auf 1 Bauteil reduziert
Die Anzahl der Bauteile konnte auf diese Weise gegenüber dem Referenzgetriebe von 27 auf 1 reduziert werden. Sämtliche Presspassungen innerhalb des Planetenträgers wurden eliminiert. Ebenfalls konnte die Gesamtmasse um 61,7 Prozent und das Trägheitsmoment um 74 Prozent reduziert werden. Die Presspassungen – zwischen Planetenbolzen und Planetenträger und Planetenbolzen und Hülse – sind aufwendig in Entwicklung, Herstellung und Montage. Sie führen zudem zu ungewollten Vorbelastungen und elastischen Deformationen, welche auch die Positionierung von Lagerstellen beeinflussen können. Durch die Konstruktion des Planetenträgers als ein Bauteil entfallen diese Schwachstellen und erlauben weitere Gewichtsreduktionen.
Subtraktive und additive Fertigung kombiniert
Für die Herstellung des Planetenträgers wurden die Vorteile von subtraktiver und additiver Fertigung kombiniert. Der Rohling der Abtriebswelle diente als Basis für die Hybridkonstruktion, auf welcher der eigentliche Planetenträger aufgedruckt wurde. Anschliessend wurden die thermisch induzierten Spannungen des Druckprozesses durch Spannungsarmglühen möglichst eliminiert.
Die Fertigbearbeitung der nachgiebigen Strukturen der Flexpins ist anspruchsvoll und bedarf einer genauen Prozessplanung. So wurden beim Design gezielt Stützstrukturen für die flexiblen Planetenbolzen/-hülsen vorgesehen. Vibrationen während der Fertigung ließen sich durch eingefügte Vergussmasse eliminieren. Der komplexe spanende Fertigungsprozess wurde eigens für dieses Bauteil entwickelt, mittels 3D Experience programmiert und simuliert sowie anschließend intern auf unserem 9-Achs-Drehfräszentrum (DMG Mori NTX 2000sz) gefertigt.
Innovation dank Zusammenspiel verschiedener Expertisen
In naher Zukunft soll der Planetenträger auf unseren Prüfständen ausgiebige Tests durchlaufen. Dabei interessieren im Speziellen die Lastverteilung und Lastaufteilung, sowie das Ermüdungsverhalten der gedruckten Strukturen.
Der neue Planetenträger zeigt anschaulich, dass die Innovation im Zusammenspiel der verschiedenen Fachgebiete liegt. Innerhalb dieses Projekts waren vertiefte Kompetenzen aus Getriebeentwicklung, Konstruktion, additiver Fertigung und spanender Fertigung notwendig. Die verschiedenen Softwarepakete wie Kisssoft, Ansys oder 3D Experience leisteten dabei einen wesentlichen Beitrag, um komplexe Themen bereits bei ersten Prototypen gut zu meistern.
* Frank Huber, Dozent für Produktentwicklung, und Anton Höller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentrum für Produkt- und Prozessentwicklung ZPP, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Schweiz
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