Virtuelle Inbetriebnahme Vom Produkt 2.0 bis zur virtuellen Inbetriebnahme

Autor Ute Drescher

Wie sich die Daten aus dem Betrieb von Maschinen für Konstruktion und Simulation nutzen lassen, wollte konstruktionspraxis von Armin Wallnöfer, Digital Leader für Drives & Motors bei ABB, wissen.

Anbieter zum Thema

Armin Wallnöfer
Armin Wallnöfer
(Bild: B.Höger/ABB)

konstruktionspraxis: Was versteht ABB unter dem Produkt 2.0?

Armin Wallnöfer: Das Produkt 2.0 ermöglicht das Sammeln der Betriebsdaten eines Feldgeräts. Maschinen- oder Gerätebauer erfahren heute deutlich mehr über ihr Produkt als früher, unter anderem auch, wie das Gerät oder die Maschine eingesetzt werden. Das kann unter Umständen für die Produktwartung relevant werden, etwa wenn das Gerät in Anwendungen eingesetzt wird, für die es gar nicht vorgesehen war.

konstruktionspraxis: Was bedeutet das für die Konstruktion?

Wallnöfer: Für Konstruktion und Entwicklung sind vor allem die Rückschlüsse interessant, die sich daraus ziehen lassen: Wie wird die Maschine eingesetzt? Wo kommt sie in Grenzbereiche, die gar nicht in der Spezifikation vorgesehen waren? Auf dieser Basis kann der Konstrukteur zum Beispiel die Maschine für den Einsatz beim Kunden optimieren. Oder aber der Hersteller berät den Kunden hinsichtlich des optimalen Betriebs der Maschine.

konstruktionspraxis: Hat sich das Verständnis dieser neuen Konzepte im Maschinenbau schon durchgesetzt?

Wallnöfer: Viele Maschinenbauer möchten von Industrie 4.0 profitieren. Auch die Betreiber fragen danach, sind aber selten bereit, dafür Geld auszugeben. Dennoch muss der Maschinenbauer dem Betreiber die Möglichkeit bieten, die Maschine später vernetzen zu können, sollte das sinnvoll sein. Auch wenn diese Funktion nicht von Anfang an genutzt wird.

konstruktionspraxis: Können Sie das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen?

Wallnöfer: Eine Besonderheit der ABB Ability-Lösungen ist, dass wir alle Produkte mit entsprechenden Schnittstellen anbieten, die den Zugang zur Cloud schaffen. Der Anwender kann nach der Registrierung – unabhängig davon, wann die erfolgt – sofort auf die entsprechenden Dashboards zugreifen. Das Portfolio des digitalen Antriebsstrangs bei ABB umfasst mittlerweile eine ganze Reihe von Produkten, angefangen bei dem Smart Sensor für Motoren oder Pumpen. Damit lässt sich der Antriebsstrang ganzheitlich betrachten und überwachen. Die Daten werden in der ABB Ability-Cloud gesammelt.

konstruktionspraxis: Ist der Anwender an ABB gebunden, wenn er auf seine Daten in der ABB Ability-Cloud zugreift?

Wallnöfer: Die ABB Ability-Cloud ist eine offene Cloud mit offenen Schnittstellen. Der Anwender kann so seine Daten jederzeit herunterladen und seinem Kunden in einem anderen Kontext anzeigen, etwa in einem eigenen Portal. Denkbar ist es daher auch, die Daten zunächst einmal nur In-House für den eigenen Support zu nutzen. Seinem Kunden kann der Maschinenbauer beispielsweise eine App erstellen, die er mit den Daten aus der ABB Ability-Cloud füttert. Das ist eine gängige Anforderung von Maschinenbauern.

Anwendertreff Maschinenkonstruktion Wer smarte Maschinen effizient konstruieren will, muss in Zukunft auf neue Methoden, Tools und Konzepte setzen. Der Anwendertreff Maschinenkonstruktion bietet Orientierung.
Mehr Informationen: Anwendertreff Maschinenkonstruktion

konstruktionspraxis: Gibt es über die Produktoptimierung hinaus Vorteile für Konstruktion und Entwicklung?

Wallnöfer: Die virtuelle Inbetriebnahme spart Zeit und senkt vor allem das Risiko, dass sich Fehler erst bei der Inbetriebnahme zeigen. Allgemein gilt: Je eher ein Fehler entdeckt wird, desto einfacher lässt er sich beheben und desto weniger Kosten verursacht er. Teuer wird es, wenn Fehler die Überarbeitung bereits abgeschlossene Entwicklungsschritten erfordern. Noch dramatischer ist es, wenn Fehler erst während der Inbetriebnahme erkannt werden. Dann können die Kosten schon mal um den Faktor 100 steigen.

konstruktionspraxis: Aber die virtuelle Inbetriebnahme ist immer nur so gut, wie es die Daten sind, auf der sie basiert?

Wallnöfer: Richtig. Eine Simulation ist immer nur ein Modell, das die Realität abbildet, egal wie hoch der Aufwand ist, den ich betreibe, um der Realität möglichst nahe zu kommen. Von daher empfiehlt sich ein pragmatischer Ansatz: Wo liegen die kritischen Punkte? An welcher Stelle kommen viele Komponenten unterschiedlicher Hersteller zusammen? Wo sind typische Fehlerquellen zu erwarten? An diesen Stellen lohnt sich der Aufwand des Simulierens. Gleichzeitig sollten Simulationstools möglichst einfach zu bedienen sein.

konstruktionspraxis: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Hürden beim Einsatz von Simulation und virtueller Inbetriebnahme?

Wallnöfer: Das hängt unter anderem von den Erfahrungen des Anwenders ab. ABB bietet die virtuelle Inbetriebnahme in drei Abstufungen an: im einfachsten Fall lässt sich der virtuelle Antrieb starten wie der reale, mit Parametersätzen laden und in Betrieb nehmen. Das ist der erste Schritt in die Simulation, für viele schon ein sehr großer. Hier unterstützt ABB mit dem Drive Composer. Anwender, die schon vertraut sind mit der Simulation, suchen nach Lösungen, mit denen sich der Frequenzumrichter elegant in die vorhandene Simulationsumgebung integrieren lässt. Hier bietet sich unser Automation Builder an, mit dem sich der Frequenzumrichter mit der SPS und weiteren Geräten vernetzen und das ganze System simulieren lässt. Diese Lösung ist allerdings auf ABB-Geräte begrenzt. Wer noch Geräte eines anderen Herstellers integrieren möchte, dem bieten wir Robot Studio oder Standard-Schnittstellen, um unsere virtuellen Geräte in andere Simulationstools einzubetten. Die grundsätzliche Überlegung sollte immer sein: Wo vermute ich Probleme in der Maschine? Genau an diesen Stellen reduziert die virtuelle Inbetriebnahme Risiken, weil der Anwender frühzeitig reagieren kann.

konstruktionspraxis: Lassen sich die Daten auch ohne Cloud nutzen?

Wallnöfer: Viele Maschinenbauer möchten tatsächlich ihre eigene Lösung erstellen. In diesem Fall bietet ABB die Betriebsdatenmanagement-Software Zenon. Damit lassen sich Daten sammeln, aufbereiten und Reports erstellen. Zenon verfügt schon heute über etwa 300 Treiber, es gibt also auch für Nicht-ABB-Geräte nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, Geräte zu verbinden und deren Daten zu erfassen. Um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, erstellt das Analytics Solution Center von ABB auch Analytics-Lösungen, wenn gewünscht.

konstruktionspraxis: Vielen Dank, Herr Wallnöfer.

Hannover Messe 2019: Halle 11, Stand A35

(ID:45758225)