Formoptimierung Volksmechanik: Die verhasste Biegespannung
Selbst exzessive Verformungen erzeugen Strukturen, die Biegespannungen vermeiden und zu reiner Zug- und Druckbelastung führen, wenn man das verformte Bauteil fertigt - sagen Prof. Mattheck und Klaus Bethge vom KIT und stellen damit ein neues mathematikfreies Denkwerkzeug vor.
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In früheren Arbeiten [1, 2] wurde gezeigt, dass Bauteile durch Verformung eine für die ursächliche Last günstigere Form annehmen. Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Variante der Bauteiloptimierung sind in [3, 4] zusammengefasst.
Hier machen wir plausibel, dass selbst exzessive Verformungen im Gedankenexperiment zu Strukturen führen, die Biegespannungen vermeiden und schließlich zu reiner Zug- und Druckbelastung führen, wenn man das verformte Bauteil fertigt und so belastet. Da Kerbspannungen letztlich Biegespannungen aus der Deformation der Kerbkontur sind, werden auch diese, schon bei mäßiger Zugdeformation abgebaut. Das was gemeinhin als „Versagen“ bezeichnet wird, ist aus dieser Sicht eher „Funktionsverlust“ und das Versagen eine Optimierung in letzter Konsequenz.
Warum Knochen hohl sind
Bei Druckbelastung ist final noch die Vergrößerung des lasttragenden Querschnittes als Zerquetschung dabei, was Druckspannungen abbaut. Bei Zugbelastung werden praktisch beliebig geformte Innenkerben zu Längsschlitzen in Zugrichtung, die keine Kerbspannung mehr haben.
Ein interessanter Sonderfall ist noch die Normalkraft auf der Oberfläche eines elastischen oder plastischen Körpers. Bei beginnender Verformung ist der Zugkegel der Normalkraft in der Luft und erst bei fortgeschrittenem „Tiefziehen“ füllt sich der Zugkegel mit Material.
Exzessive Verformungen erzeugen Bauteilformen, die in dieser neuen Form gefertigt, Biegespannungen vermeiden, eher Zug und Druck tragen und somit die belasteten Querschnitte besser ausnutzen, denn die neutrale Faser der Biegung ist Materialvergeudung und aus diesem Grund sind die Knochen hohl.
Mehr Informationen zur computerfreien Bauteiloptimierung nach der Natur finden sich in [3, 4, 5].
Literatur:
[1] Heywood, R.B. (1969) Photoelasticity for designers, Pergamon Press Ltd., Oxford
[2] C. Mattheck, (2018) Optimierung durch Versagen, Konstruktionspraxis 9, 20
[3] C. Mattheck, (2017) Die Körpersprache der Bauteile - Enzyklopädie der Formfindung nach der Natur, Karlsruher Institut für Technologie
[4] C. Mattheck, (2018) Pauli explains the form in nature, Karlsruhe Institute of Technology
[5] Warum alles kaputt geht, Seminar am 22.10.2019 im Fortbildungszentrum für Technik und Umwelt des Karlsruher Institut für Technologie
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* C. Mattheck, K. Bethge, KIT Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Angewandte Materialien, 76021 Karlsruhe
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