Porträt Uralt-Erfolgsprinzip bleibt modern
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Beim Wort Composites, oder zu Deutsch Faserverbundwerkstoffe, denkt man gemeinhin an seltene Hightechmaterialien aus der Luft- und Raumfahrtbranche oder dem Wehrtechnikbereich. Mittlerweile rücken Bauteile aus glasfaser- oder carbonfaserverstärkten Materialien jedoch langsam, aber sicher in unseren Alltag vor. Fahrräder und Kraftfahrzeuge sowie Windanlagen bestehen zum Teil aus diesen einstigen Elitewerkstoffen und sind bereits ein vertrauter Anblick in Zeiten der Energiewende und des Trends zur Ressourcenschonung.
Die zugrunde liegende Idee indes ist ziemlich alt – zumindest, wenn es um vom Menschen gemachte Composites geht. Pflanzen und einige Meeresbewohner beherrschen das stabilisierende Konstruktionsspiel aus Matrix und Faser sogar schon seit Jahrmillionen. Vom Mittelalter bis ins 19. und frühe 20. Jahrhundert hat der evolutionäre Nachzügler Mensch zumindest in unseren Breitengraden eine Form von Composite genutzt, die aus Lehm, Kuh- oder Pferdemist als Matrix sowie Stroh oder Holzgeflechten als Verstärkungsgerüst besteht – den Fachwerkbau!
Heute gibt es Beton mit Stahl- oder Glasfasern kombiniert, der ein Vielfaches davon leistet, was Ziegel- und Backstein jemals vermögen. Ein Unternehmen aus den Niederlanden hat sich im Rahmen der bautechnischen Anwendung von Composites beispielsweise darauf spezialisiert, glasfaserverstärkte Fahrradbrücken zu fertigen, die aufgrund ihrer Leichtbaueigenschaften in einem Stück angeliefert werden können und die Kluften über die zahlreichen Grachten, welche das Land durchziehen samt Antirutsch-Fahrbahnbelag, stabil und sicher zu überwinden helfen. Es gibt mittlerweile sogar Varianten, die dem Gewicht eines Pkw trotzen. Parallel zu dieser bautechnischen Entwicklung, war es mit ziemlicher Sicherheit das Papier, dessen Matrix der Leim und dessen Cellulose als Verstärkungsfaser fungiert und was als Quasicomposite unser Leben verändert hat. Bis heute gehört Papier zu den ältesten „Informationsspeichern“, deren Inhalt für fast jedermann abrufbar ist – bei guter Pflege über Jahrtausende hinweg.
Ein Werkstoffmix leistet mehr Widerstand
Jeder kann den Effekt, der für die außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften heutiger Composites verantwortlich ist, im Prinzip selber testen: Man nehme ein Stück Küchentuch oder Tempo-Taschentuch, und benetze es mit handelsüblichem Klarlack. Nachdem der Lack trocken ist, liegt statt eines labbrigen Papiers ein steifes, brettartiges Etwas vor, dem man mit der Schere deutlich schwerer etwas anhaben kann. Der Grund dafür ist, dass der Lack die Zwischenräume der Cellulosefasern im Papier wie eine Art elastische Brücke verbindet und so die einwirkende Kraft auf benachbarte Faserbereiche verteilt und das Zerstörungspotenzial derselben deutlich abschwächt.
Anfang des 20. Jahrhunderts machte sich eine weitere Werkstoffgruppe dazu auf, die Gesellschaft zu bereichern und natürliche Ressourcen zu sparen, weil sie günstiger sind und leichter zu verarbeiten als viele bis dato übliche Materialtypen: die Kunststoffe.
Leo Hendrik Baekeland gelang 1905 die Herstellung von Bakelit, einem duroplastischen, vernetzten Kunststoff auf Phenolharzbasis. Im Mix mit Textil- oder Glasfasern brachte der elektrisch isolierende, thermisch stabile Kunststoff der aufstrebenden Elektroindustrie einen kaum schätzbaren Anschub. Gehäuse, Stecker, Isolatoren und Leiterplatten waren nun billiger und in Massen herstellbar. Wer weiß, ob die Kommunikationselektronik ohne dieses Material so schnell die Entwicklungsphasen durchlaufen hätte, die heute, natürlich nicht mehr auf Bakelit fußend, aber aufbauend auf neuartigen, noch brauchbareren Polymeren, in „Smartphone & Co“ gipfeln.
Nach dem Krieg kam der Composite-Boom
1959 wurde im Bakelit-Werk in Duisburg-Meiderich ein von Paul Schlack 1934 zum Patent angemeldetes, künftiges Matrixmaterial in die Produktion aufgenommen: Epoxidharz! Dieses neuartige Duromer sollte nach dem Krieg die Matrix für Faserverbundbauteile darstellen, die in der Elektronik, dem Bootsbau, dem Flugzeugsektor, der Bauindustrie und schließlich in der Windkraft sowie dem Fahrzeugbau für neue, langlebige sowie stabile Produkte sorgt. Wer kennt nicht die hellgrauen Stromkästen an fast jeder Straßenecke, auf deren Oberfläche man bei strahlendem Sonnenschein die Glasfasern glänzen sieht? Gut bekannt dürfte vielen auch der Anblick der gelblichen, durchscheinenden Wellplatten sein, die an Nachkriegsbauten noch heute Komponenten vieler Balkone oder Vordachkonstruktionen sind.
Nicht vergessen: Im wahrsten Sinne des Wortes ins Rollen kam das faserverstärkte Werkstoffwunder als Beplankung des Massen-Pkw Trabant auf Phenolharzbasis mit Baumwollfasern (Linter genannt) nach dem Zweiten Weltkrieg in der ehemaligen DDR. Beim Erfolgsmodell Trabant zeigte sich, was in Compositekonzepten für Potenzial in puncto Autobau schlummert. Heute bauen längst nicht mehr nur die Hersteller von Flitzern wie Ferrari und Lamborghini mit Leichtbauelementen aus GFK und CFK. BMW hat mit seinen i-Modellen gezeigt, dass so etwas nicht nur in Handarbeit gelingt, sondern auch als Serienkonzept klappt. Immerhin sparen die Bayern im Vergleich zur reinen Stahlvariante 50 % Gewicht ein und gegenüber dem Aluminiumpendant 30 %.
Geht es um Windkraftanlagen, dann wären die Leistungsdaten neuester Offshoregiganten ohne leichte, aber hochstabile Compositeteile kaum erreichbar, denn mit der Größe steigt die Performance – zumindest bei dieser Quelle, aus der heute nachhaltige Energie geschöpft wird.
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