Unternehmen der Zukunft
Wie Unternehmen in der Zukunft aussehen müssen, um im weltweiten Konkurrenzkampf zu bestehen, soll uns das Konzept Industrie 4.0 zeigen. 2011 wurde es das erste Mal auf der Hannover-Messe präsentiert. In diesem Jahr steht die Messe unter dem Motto „Integrated Industry – Discover Solutions“. Eine durchgehende Digitalisierung und Internetfähigkeit werden dabei vorausgesetzt. Wo die Reise in die Zukunft hingeht und welche Produkte in Hannover zu sehen sein werden, zeigt unser Artikel.
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Jedes Unternehmen, das auch in Zukunft auf dem Markt eine Rolle spielen will, muss sich mit den Begrifflichkeiten Smart Factory, Virtual Reality und Internet of Things auseinandersetzen: Es geht um nichts weniger als die vierte industrielle Revolution und die digitale Vernetzung aller industriellen Prozesse – von der Konstruktion über die Produktion bis hin zur Lieferung an den Kunden. Auf der Hannover-Messe bietet die Factory Automation in den Hallen 8 bis 12 und 14 bis 17 für all diejenigen, die sich näher mit dem Thema Industrie 4.0 befassen wollen, eine gute Gelegenheit, sich zu informieren. Besonders von den großen Unternehmen wie Siemens oder ABB kann man dort einiges lernen, weil diese sich schon länger mit der Thematik befassen. Aber auch zahlreiche kleinere Firmen zeigen auf der Messe geeignete Produkte. Wir haben bei einigen Ausstellern nachgefragt, was der Besucher in Hannover erwarten kann.
„Siemens hat die Digitalisierung als stärksten Wachstumshebel für die Industrie frühzeitig erkannt und sein Angebot für Industrie 4.0 mit dem Digital Enterprise konsequent zu einem durchgängigen und integrierten Portfolio entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette ausgebaut“, bestätigt Klaus Helmrich, Mitglied des Vorstands der Siemens AG und unter anderem zuständig für die Divisionen Digital Factory sowie Process Industries and Drives. „Mit unserem Angebot adressieren wir dabei sowohl große als auch kleine und mittelständische Unternehmen. Damit können unsere Kunden in der diskreten Industrie und der Prozessindustrie schon heute in Industrie 4.0 investieren – und sich so wichtige Wettbewerbsvorteile im internationalen Markt sichern.“
Digitalangebot wird weiterentwickelt
Siemens bezeichnet den Lösungsansatz für Industrie 4.0 laut Helmrich mit Digital Enterprise. Der Weg dorthin umfasse vier Kernelemente: ein spezifisches Software- und Automatisierungsportfolio, das auf Teamcenter als Kollaborationsplattform basiert, industrielle Kommunikation, industrielle Sicherheit sowie industrielle Services. „Mit diesem umfassenden Portfolio können unsere Kunden bereits heute in zukunftsfähige Lösungen für die Realisierung von Industrie 4.0 investieren“, fährt Helmrich fort. „Auf der Hannover-Messe werden wir den Besuchern unser umfassendes Digital-Enterprise-Portfolio am Siemens-Stand präsentieren.“
Siemens werde sein Angebot zum Digital Enterprise kontinuierlich in allen Teilbereichen weiterentwickeln. „Wir bauen unser spezifisches Software- und Automatisierungsportfolio aus, etwa im Bereich der Simulationslösungen für Design und Engineering, einer stärkeren Integration der Automatisierungswelt sowie der Integration und Simulation additiver Fertigungsverfahren wie des 3D-Drucks. Bei der industriellen Netzwerktechnik zeigen wir, wie sich durchgehende Architekturen von der Ebene der Zellnetzwerke bis hinauf zu den Office Networks realisieren lassen“, so Helmrich. Siemens biete damit den Unternehmen eine sichere und durchgängige Kommunikation von der Feldebene bis in die Cloud. „Und mit Mindsphere, einer eigenen Siemens-Cloud for Industry, bieten wir unseren Kunden die Grundlage für neue datenbasierte Services und Geschäftsmodelle“, fährt Helmrich fort. Parallel dazu werde man fortlaufend das industrielle Sicherheitskonzept weiterentwickeln. „Auf diesem Wege verbinden wir die virtuelle und die reale Fertigungswelt zu einem hochflexiblen, hochverfügbaren und vernetzten Ökosystem“, ergänzt Helmrich.
Natürlich kann kein Unternehmen seine gesamte Software und IT-Infrastruktur oder seine installierte Fertigungsbasis von heute auf morgen erneuern. Sondern es wird darauf ankommen, Schritt für Schritt an den richtigen Stellen anzusetzen. „Der erste Schritt ist dabei die Einführung eines gemeinsamen Daten-Backbones wie Teamcenter. Wichtig ist dabei, die notwendige digitale Transformation durch ein vorausschauendes Migrationsprogramm auch wirtschaftlich tragbar zu gestalten. Dazu bedarf es zuallererst einer klaren Entscheidung der Unternehmensleitung – das ist die Grundlage, damit Unternehmen den Weg hin zu Industrie 4.0 gehen können“, gibt Helmrich zu bedenken.
„Dumme“ Motoren werden schlauer
Genauso sieht es Pekka Tiitinen, Leiter der Division Industrieautomation und Antriebe sowie Mitglied des Führungsboards von ABB (siehe Interview auf Seite 52). Er gibt ein Beispiel für eine wichtige Innovation, die man auf der Hannover-Messe zeigen werde: „Bislang ist es aufwendig und teuer, Niederspannungsmotoren zu überwachen und vorausschauend zu warten. Neue, innovative Sensoren von ABB machen jetzt aus ,dummen’ Motoren intelligente Geräte, die ihren Wartungsbedarf selbst melden. Millionen von Motoren erhalten damit Zugang zum Internet der Dinge. Dienstleistungen und Menschen werden Teil von Industrie-4.0-Projekten.“ Auch für die Unternehmerin Renate Pilz hat die Digitalisierung des Unternehmens höchste Priorität: „Verteilung der Intelligenz, modularer Aufbau von Maschinen, intelligente Sensorik – mit all diesen Themen, die heute unter dem Schlagwort Industrie 4.0 diskutiert werden, beschäftigen wir uns seit langer Zeit und können bereits entsprechende Lösungen anbieten.“
Demonstrator zu Sicherheit und Automation
Auf der Hannover-Messe werde das am Pilz-Stand zu sehen sein: „Wir zeigen mit dem Live-Demonstrator Sicherheit und Automation den Weg vom Engineering bis hin zur Visualisierung. Der aus drei Modulen bestehende Demonstrator veranschaulicht die Kommunikation verteilter Automatisierungssysteme im Zusammenspiel mit intelligenter Aktorik und Sensorik.“ Damit man auch weiterhin am Ball bleibe, arbeite Pilz in Gremien wie der Allianz Industrie 4.0 des Landes Baden-Württemberg, der Forschungsplattformen Smartfactory KL und des Forschungscampus Arena 2036 an der Schaffung gemeinsamer, praktikabler Standards für die Industrie der Zukunft.
Renate Pilz sieht aber auch noch Nachholbedarf: „Es gilt, noch stärker die Anforderungen der beiden Welten Automatisierung und Informationstechnik zu passenden und praktikablen Lösungen zu standardisieren. Industrie 4.0 ist kein Selbstzweck. Das Ziel ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland zu sichern.“
Ebenso will der Schaltschrankhersteller Rittal auf der diesjährigen Hannover-Messe Industrie-4.0-fähige Lösungen zeigen. Hans Sondermann, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing von Rittal, erläutert: „Zum Spektrum gehören intelligente Kühlgeräte, Software- und Produktdatenmanagement für professionelles Engineering im Steuerungs- und Schaltanlagenbau, Konfigurations- und Online-Tools für vereinfachte technische und kaufmännische Prozesse, effiziente Automatisierungslösungen sowie sichere IT-Lösungen ,on demand’“. Ebenso wie für Pilz ist für Sondermann die Vernetzung in der Produktion kein Selbstzweck: „Neben Ressourcenplanung, Konfiguration und Logistik ist es ein wesentliches Ziel, die Sicherheit und Verfügbarkeit von Anlagen zu erhöhen.“ Ein Beispiel seien die Kühlgeräte Blue e+ von Rittal, die mit völlig neuen Kommunikationsschnittstellen ausgestattet seien. „Werden sie in Anlagennetzwerke eingebunden, lassen sich Wartungsinformationen ohne Zeitverzögerung übertragen. Bei Defekten wird zielgerichtet der Service informiert, bestenfalls kann er aufgrund von Daten des Blue e+ sogar eingreifen, bevor eine Störung auftritt“, weist Sondermann auf die Vorteile hin.
Konstruktionsprozess beschleunigen
Ein weiteres Ziel sei es, Konstruktions- und Engineeringprozesse zu beschleunigen. Dazu werde Rittal von seinem kompletten Produktspektrum – von der Schaltschranktechnik bis zur Stromverteilungs- und Klimatechnik – hochwertige CAE- und CAD-Daten zur Verfügung stellen.
„Das Internet der Dinge erzeugt eine große Menge hochsensibler Daten (Big Data), die in die Wertschöpfungsprozesse einfließen und geschützt werden müssen. Rittal bietet dazu IT-Lösungen mit effektiven Sicherheitskonzepten für alle Anwendungsbereiche – vom Rack über das Micro Data Center bis hin zum Rechenzentrumscontainer. Megaprojekte, wie das Lefdal Mine Datacenter, sowie sofort einsetzbare und schlüsselfertige Cloud-Rechenzentren im Container mit Server und Software zeigen, dass es noch nie so leicht war wie heute, leistungsstarke und hochsichere IT-Leistungen schnell zu realisieren“, führt Sondermann weiter aus.
Datenaustausch wird zunehmend wichtiger
Um die technischen Voraussetzungen für Industrie 4.0 weiter zu realisieren, sind laut Sondermann unternehmensübergreifende Kooperationen notwendig. Nur mit starken Partnerschaften ließen sich zukünftig weitere Fortschritte erzielen. Ein Leuchtturmprojekt sei das Technologienetzwerk „Smart Engineering and Production 4.0“. Dazu zeigen Eplan, Rittal und Phoenix Contact, drei führende Lösungsanbieter im Engineering, in der Schaltschranksystem- und Automatisierungstechnik, auch dieses Jahr wieder auf der Hannover-Messe die komplette vertikale Integration von Daten im Engineering- und Produktionsprozess. „Fachbesucher können erleben, wie Produktdaten entstehen, wie sie sich für die Erstellung von virtuellen Prototypen nutzen und über standardisierte Schnittstellen bis in die Fertigung weiterreichen lassen“, erklärt Sondermann.
Mit zunehmender Automatisierung werde auch der automatisierte, systematisierte Datenaustausch immer wichtiger. „Nachholbedarf sehe ich in der Schaffung standardisierter und offener Datenarchitekturen, die Industrie-4.0-Wertschöpfungsketten im Detail beschreiben und steuern können, zum Beispiel analog dem ZVEI-Referenzarchitektur-Modell RAMI 4.0“, sagt der Rittal-Manager.
Ohne hochwertige Produktdaten geht heute im Maschinen-, Steuerungs- und Schaltanlagenbau fast nichts mehr. Das weiß auch Sondermann: „Denn Daten sind der neue Rohstoff der produzierenden Industrie. Wie effizient sich mit Daten durchgängige Prozesse – von der virtuellen Produktentwicklung über die Kalkulation und den Einkauf bis zur Produktion – gestalten lassen, hängt allerdings wesentlich von deren Qualität ab.“ Die Friedhelm Loh Group habe dies frühzeitig erkannt und mit Rittal Software Systems – den Unternehmen Eplan und Cideon – hohe Investitionen in diesem Segment getätigt.
Vernetzung technischer Anlagen
Das Steckverbinder-Unternehmen Weidmüller beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Industrie 4.0 und ist mit verschiedenen Projekten in der Clusterinitiative „it’s OWL“ aktiv. Dr. Markus Köster, Technologieverantwortlicher bei Weidmüller, erläutert: „Aus dieser Initiative entstand unter anderem ein selbstkorrigierendes Stanz-Biege-Werkzeug für unsere Produktion. Ein weiteres Projekt ist die Realisierung einer Infrastrukturbox zur Verteilung von Energie, Signalen und Daten in zukünftigen modularen Industrie-4.0-Anlagen.“ Dieses Projekt setze Weidmüller im Konsortium der Smart Factory KL e.V. um, einer herstellerunabhängigen Technologieinitiative am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). „Darüber hinaus offerieren wir innovative Ethernet-Produkte und Web-basierte Lösungen für die Anwendungsbereiche Industrial Data Analytics, Cloud-basierte Services und Energiemanagement. Beim Energiemanagement können wir auf Erfahrungen aus der eigenen Fertigung zurückgreifen“, erklärt Köster.
„Wir werden auf der diesjährigen Hannover-Messe ein Industrie-4.0-Cockpit zeigen – in ihm laden wir die Besucher zum Entdecken einer intelligenten Produktion ein. Über eine visuell ansprechende interaktive Plattform können mehrere Besucher gleichzeitig über Displays auf eine Reihe vernetzter Applikationen und Demonstratoren auf dem Messestand zugreifen, Daten erfassen, analysieren und Parameter konfigurieren.“ Das Industrie-4.0-Cockpit zeige zum einen die Vernetzung technischer Anlagen und zum anderen ganzheitliche Lösungsansätze für Kunden auf. Köster weiter: „Im Vordergrund stehen dabei Lösungen zur Anomalieerkennung von Maschinen mithilfe von Big Data Analytics, Cloud-basiertes Remote Maintenance, Energy Analytics von industriellen Anlagen sowie die Zustandsüberwachung von Prozessindustrieanwendungen.“
Einen Nachholbedarf sieht Köster vor allem, wenn es darum geht, Industrie-4.0-Technologie in konkrete Geschäftsmodelle umzusetzen. Um international konkurrenzfähig zu bleiben, müsse aus der bislang stark „deutsch“ dominierten Initiative Industrie 4.0 eine europäische Bewegung erwachsen – dazu sei es erforderlich, „dass wir andere wichtige EU-Industrieländer in das neue Zeitalter mitnehmen“.
Der nächste Schritt bei Industrie 4.0 sei außerdem die Etablierung von Standards im Hinblick auf Software, verantwortungsvollen Umgang mit Daten, Industriepolitik und Ziele. „Denn mit Industrie 4.0 haben wir sehr gute Chancen, eine führende offene Plattform zu schaffen. Sie ist im Gegensatz zum amerikanischen IIC (Industrial Internet Consortium) eine Plattform, bei der jedes Unternehmen mitmachen kann. Das ist gerade für den deutschen und europäischen Mittelstand wichtig“, so Köster. MM
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