Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung Umdenken und abwägen

Von Alexander Grahle, Ludger Heide, Abhishek Gupta, Francesco Cigarini, Prof. Dr.-Ing Dietmar Göhlich

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Für die Entwicklung nachhaltiger Produkte gibt es keine Universallösung, vielmehr geht es um Abwägen. Zudem müssen Unternehmen und Entwickler neue Wege gehen.

Nachhaltige Produkte zu entwickeln bedeutet, dass die richtige Balance gefunden werden muss, denn es gibt kein Patentrezept dafür.
Nachhaltige Produkte zu entwickeln bedeutet, dass die richtige Balance gefunden werden muss, denn es gibt kein Patentrezept dafür.
(Bild: ©malp - stock.adobe.com)

Nachhaltigkeit – ein Attribut, das Politik und Gesellschaft immer stärker von technischen Produkten und Prozessen fordern. Wie können IngenieurInnen diese neue Anforderung umsetzen? Keine leichte Aufgabe, da es keine allgemeingültigen Prozesse à la VDI 2221 gibt. Vielmehr ist die Entwicklung eines nachhaltigen Produktes ein komplexes Problem, welches immer ein Abwägen zwischen im Konflikt stehenden Anforderungen der drei Nachhaltigkeitsdimensionen ökologisch, ökonomisch und sozial beinhaltet. Außerdem müssen mehr Stakeholder als bisher betrachtet werden: die Gesellschaft und die Umwelt.

Zu jeder Phase des Konstruktionsprozesses und des Produktlebenszyklus‘ müssen die verwendeten Stoffe, Hilfsstoffe, Energieflüsse und die Arbeitsbedingungen betrachtet werden. Sonst entstehen Produkte wie der Bambusbecher, der nur zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird und giftig sowie nicht recycelbar ist; eine Lösung, die den Erdölverbrauch senkt, aber neue Probleme schafft.

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Die Arbeitswelt verändert sich fortlaufend und mit ihr auch die fachspezifischen Aufgabenstellungen, denen Sie sich Tag für Tag stellen. Hierbei wollen wir Sie mit unserem Fachmedien-Angebot auch zukünftig zielführend unterstützen und Ihnen Inhalte mit echtem Mehrwert liefern.

Nachhaltigkeit ist individuell

Es zeigt sich, dass eine Bewertung der Nachhaltigkeit ganzheitlich und individuell für jedes Produkt erfolgen muss. Nachhaltig konstruieren ist eine Aufgabe, die von den IngenieurInnen, aber auch den Unternehmen ein Umdenken erfordert. Ein neues Mindset und eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmenskultur sind nötig.

Um angehende IngenieurInnen schon während ihrer Ausbildung an das Thema Nachhaltigkeit und die komplexe Problemstellung heranzuführen, gibt es seit 2011 an der TU Berlin das Seminar „Blue Engineering“, das die Studierenden für die Nachhaltigkeitsdiskussion sensibilisiert. Die neue Lehrveranstaltung „Entwicklungsmethoden für Nachhaltige Produkte“ baut jetzt darauf aus. Ein neues Lehrkonzept, das auf selbstständigem Aufarbeiten von Inhalten und diskursivem Auseinandersetzen mit Lösungen basiert, thematisiert die speziellen Probleme in der Produktentwicklung und existierende Lösungsansätze. Denn inzwischen gibt es Methoden, um Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit zu entwickeln. Diese können zwar den Prozess des Abwägens nicht ersetzen, jedoch bieten sie ein Gerüst, das dabei helfen kann, Nachhaltigkeit zu definieren, messbar zu machen und Produkte dahingehend zu verbessern.

Nachhaltigkeit an der TU Berlin

Die neue Lehrveranstaltung "Entwicklungsmethoden für nachhaltige Produkte" an der TU Berlin zeigt Methoden auf, mit denen die ökologischen und sozialen Probleme technischer Produkte besser verstanden und gelöst werden können. Dabei gibt es nict die "perfekten" Methoden. Im Fokus steht die kritische Diskussion über verschiedene Ansätze mit ihren Stärken und Schwächen.

Inhaltlich geht es um folgende Themen:

  • Grundlegende Begriffe in der Nachhaltigkeit
  • Technikbewertung (VDI 3780)
  • Anforderungen an Technik (mit Fokus auf "nichtfunktionale" Anforderungen)
  • Konkrete Konstruktionsmethoden, um Produkte nachhaltiger zu gestalten
  • Stoffstromanalyse
  • Ökobilanzierung

Die TU Berlin freut sich für diese Lehrveranstaltung auch über Feedback aus der Praxis.

Gerüst für Produktentwickler

  • Zunächst stehen die Anforderungen im Fokus und der Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte ist noch abstrakt: Was sind die Konsequenzen eines bestimmten Materials? Wer ist von „langer Lebensdauer“ des Produktes wie betroffen? Hier ergibt sich aus dem erweiterten Stakeholder-Begriff eine neue Klasse nicht-funktionaler Anforderungen, welche Aspekte der Sozial-, Gesellschafts-, Ethik- und Umweltverträglichkeit abbilden.
  • Um anschließend die involvierten Ressourcen besser zu verstehen, kann eine Materialflussanalyse (MFA) durchgeführt werden. Sie ermöglicht eine systematische Bewertung der räumlich und zeitlich definierten Materialströme innerhalb eines Systems. Für ein bestimmtes Produkt analysiert die MFA den Fluss der eingesetzten Ressourcen, beschreibt deren Umwandlung, identifiziert die Abfall-Emissionen und bewertet die Ressourcennutzung.
  • Um die Umweltauswirkungen und Kosten verschiedener Produktvarianten oder Herstellungsverfahren vergleichen zu können, bieten sich die Lebenszyklusanalyse (LCA) nach ISO 14040 und die Lebenszykluskostenrechnung (LCC) an. Die LCA weist die ökologischen Auswirkungen mehrerer Produktvarianten über ihren gesamten Lebenszyklus in verschiedenen Wirkkategorien aus. LCC ist ein Verfahren, welche die Gesamtkosten wie Produktions-, Eigentums-, Betriebs-, Wartungs- und Entsorgungskosten eines Produkts über einen bestimmten Zeitraum bewertet. Dadurch kann z. B. der Konflikt zwischen niedrigen Produktions- oder Entsorgungskosten sichtbar gemacht werden.

Strategien für nachhaltiges Entwickeln

Um die Umsetzung von Nachhaltigkeitsanforderungen in der Konstruktion zu unterstützen, stehen einige Strategien und Vorgehensweisen zur Verfügung. Hier zwei Beispiele:

  • Beim „Design for Dismantling“ wird schon während des Produktdesigns auf einen einfachen Demontageprozess geachtet. Diese Strategie führt zu modularen Produktkonzepten und vereinfacht sowohl den Austausch defekter Teile als auch das Recycling von Komponenten.
  • Bei der Strategie „Design for Recycling“ liegt der Fokus auf der Wiederverwendung der Rohmaterialien oder ganzer Produkte. Zur Bewertung der Recyclebarkeit eignet sich die VDI2243-2002.

VDI 2243: Nachhaltig konstruieren

Die VDI-Richtlinie 2243 „Recyclingorientierte Produktentwicklung“ soll neben allen Produktverantwortlichen insbesondere dem Entwickler und Konstrukteur Informationen, Anleitungen und Endscheidungshilfen für die einzelnen Phasen der Produktentwicklung geben, um technische und wirtschaftliche Möglichkeiten sowie Alternativen zur Verbesserung der Recyclingfähigkeit von technischen Produkten erarbeiten und auswählen zu können.

Wandel in Lehre und Praxis

Es gibt noch keine Lösung, die für alle Produkte und für alle Phasen der Herstellung und des Produktlebenszyklus geeignet ist. Vielmehr erfordert nachhaltiges Konstruieren selbstständige, reflektierte, immer wieder über die Grenzen hinaus denkende KonstrukteurInnen. Das erfordert einen Wandel – sowohl in der Lehre als auch in der Praxis.

* Alexander Grahle, Ludger Heide, Abhishek Gupta, Francesco Cigarini, Prof. Dr.-Ing Dietmar Göhlich, Technische Universität Berlin Fakultät V - Verkehrs- und Maschinensysteme Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik

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