Schutzzaun Schutzumzäunung für Roboter richtig auswählen
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Schutzzäune sind grundsätzlich nicht dazu gedacht, einen außer Kontrolle geratenen Roboter zurückzuhalten. ISO 10218-2 zeigt, dass andere Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Roboterbewegung sicher zu begrenzen.

„Sind Ihre Zäune robotersicher?“ Diese Frage müssen Schutzzaunhersteller seit ca. fünf Jahren täglich beantworten. Ein bisschen provokativ könnte man auf die Frage mit einer Gegenfrage antworten: „Müssen Zäune denn robotersicher sein?“, oder „Was ist denn mit robotersicher gemeint, von welcher Art Roboter sprechen wir?“
Muss ein Schutzzaun Roboter zurückhalten können?
Fast alle scheinen aktuell überzeugt zu sein, dass ein Schutzzaun einen wildgewordenen Roboter tatsächlich zurückhalten können muss, aber wie so oft, ist die Antwort etwas komplexer und hängt von den Umständen ab.
Drei Aspekte sollten berücksichtigt werden:
- 1. Werden Schutzzaun, Gehäuseteile und andere Gegenstände in Reichweite des Roboters positioniert sein?
- 2. Wie groß und schnell ist der Roboter?
- 3. Hat der Roboter eine sog. „sichere“ Robotersteuerung oder andere Einrichtungen, die die Reichweite des Roboters begrenzen?
Und eine vierte wichtige Frage sollte gestellt werden, obwohl sie ein bisschen provokativ ist:
- 4. Was sagt die Geschichte der Roboterunfälle bezüglich dieser Frage?
Personen aus dem Gefahrenbereich fernhalten
Wenden wir uns der letzten Frage zuerst zu. In der relativ kurzen Geschichte der Industrierobotik wurden Schutzzäune die meiste Zeit hauptsächlich – wenn nicht sogar ausschließlich – als ein Mittel verstanden, Personen aus dem Gefahrenbereich fernzuhalten. Zu Recht. Denn die Unfallhistorie der Robotik zeigt, dass Menschen von Robotern gestoßen oder auf andere Weise fast ausschließlich dann verletzt wurden, wenn sie in den Gefahrenbereich eindrangen. Dies geschah entwedgfg er versehentlich, weil es keine geeigneten/ausreichenden Schutzmaßnahmen gab, oder absichtlich, weil eine Person die Schutzeinrichtung umging oder manipulierte.
Aber natürlich kann sich auch ein Roboter mal „irren“: Er bewegt sich zu schnell oder zu weit oder lässt ein Werkstück oder Werkzeug bei hoher Geschwindigkeit los. Bei einigen Roboterunfällen kollidierte der Roboter mit einem Werkstück oder einem Maschinenteil, wodurch Teile oder Bruchstücke herausgeschleudert wurden und Menschen trafen. In solchen Fällen hätte ein Schutzzaun theoretisch als „Fangzaun“ oder sogar als „Roboterbändiger“ dienen können.
Was sagt die Normung?
Schon in der ersten europäischen Roboter-Sicherheitsnorm, EN 775 aus dem Jahre 1992, wurde gefordert, den Bewegungsbereich von Robotern zu begrenzen. Allerdings enthielt die Norm keine klaren Hinweise dazu, wie das zu bewerkstelligen sei. Das gleiche gilt für die erste amerikanische Sicherheitsnorm ANSI RIA 15.06. Dann wurde im Jahr 2006 die internationale Roboter-Sicherheitsnorm ISO 10218-1 veröffentlicht (in Europa textgleich als EN ISO 10218-1). Die aktuelle Fassung stammt aus dem Jahr 2011; im gleichen Jahr wurde ein Teil 2 zur Integration von Robotern in Fertigungssysteme hinzugefügt (ISO 10218-2, in Europa textgleich als EN ISO 10218-2).
Kapitel 5.4 in ISO 10218-2 unterscheidet den sogenannten maximalen Raum, das heißt den Bewegungsbereich des Roboters von seinem „Betriebsraum“, dem Bereich, den der Roboter bei der Ausführung seiner Aufgaben tatsächlich nutzt. Meist ist der maximale Raum viel größer als für die Anwendung erforderlich. Ein Anlagenplaner möchte jedoch so wenig (teure) Aufstellfläche für seine Anwendung verwenden wie möglich. Daher wird die Schutzumzäunung und auch andere Ausrüstung fast immer innerhalb des maximalen Raums platziert, so dass der Roboter sie erreichen und damit kollidieren kann. Der Schutzzaun umschließt das, was die Norm als den „geschützten Bereich“ bezeichnet: einen Raum, in den Personen nicht eindringen dürfen, weil das für sie gefährlich wäre.
Betriebsraum muss kleiner sein als der geschützte Bereich
Logischerweise muss der Betriebsraum kleiner sein als der geschützte Bereich, damit sich Menschen und Maschine nicht gefahrbringend begegnen. Wenn das nicht der Fall wäre, könnte der Roboter schon während des normalen Betriebs mit dem Zaun kollidieren oder eine Person verletzen, die direkt auf der Außenseite vor einem Lichtvorhang stünde.
Daher definiert die Norm einen vierten Begriff, dessen Verständnis für die Auslegung eines sicheren Robotersystems entscheidend ist: den sog. eingeschränkten Raum. Der eingeschränkte Raum ist größer als der Betriebsraum, aber kleiner als der geschützte Bereich. Wie der Name sagt, dient er dazu, die Roboterbewegung einzuschränken und stellt sicher, dass zwischen den Schutzeinrichtungen und dem Betriebsraum stets ein Sicherheitsabstand verbleibt.
Stets ein Sicherheitsabstand erforderlich
Warum ist das nötig? Aus zwei Gründen:
- 1. Der Roboter benötigt Zeit, um abzubremsen und zum Stillstand zu kommen, wenn eine Person beim Betreten des geschützten Bereichs detektiert wird (durch eine Lichtschranke, einen Laserscanner, eine Kamera oder auch indirekt durch einen Türsicherheitsschalter).
- 2. Wenn der „geschützte Bereich“ durch den Schutzzaun gebildet wird – meistens ist das noch immer die Schutzeinrichtung der Wahl – kann eine Person die Finger durch die Maschen des Zauns in den Innenraum bringen und könnte verletzt werden, wenn der Roboter sehr nahe am Zaun arbeitete. Abhängig von der Maschenweite muss der Sicherheitsabstand auf der Innenseite 120 bis 200 mm betragen, so dass Finger- und Handverletzungen vermieden werden können (vergleiche ISO 13857, Tabelle 4, in Europa textgleich als EN ISO 13857). Die Definition all der verschiedene „Räume“ und „Bereiche“ ist durchaus geeignet, etwas Verwirrung zu stiften. Die Tabelle unten erläutert die Begriffe noch einmal im Zusammenhang.
Den Bewegungsbereich begrenzen
ISO 10218-2 verlangt, den Bewegungsbereich des Roboters aus Sicherheitsgründen zu begrenzen. Wie kann man das erreichen? Mit einer (oder einer Kombination aus mehreren) der folgenden Maßnahmen:
- Bewegungsbegrenzer und Festanschläge (Anschlagblöcke und -bolzen)
- externe Begrenzungseinrichtungen (mechanische oder berührungslos wirkende Endschalter)
- eine sicherheitsbezogene Softwaresteuerung der Bewegungen (die mindestens PL = d nach ISO 13849-1 erreicht, in Europa textgleich als EN ISO 13849-1)
Interessanterweise schließt ISO 10218-2 aus, einen Schutzzaun als Begrenzungseinrichtung für den „eingeschränkten Raum“ zu verwenden: „Die Verwendung einer äußeren Schutzeinrichtung als Begrenzungseinrichtung ist normalerweise nur praktikabel, wenn die Roboter keine gefährdenden Verformungen der trennenden Schutzeinrichtungen verursachen können“, (zitiert aus Anmerkung 4 zu Abschnitt 5.4.4).
Da hält der stabilste Zaun nicht stand
Allerdings wird ein Roboter, der bei hoher Geschwindigkeit und/oder Kraft mit einem Schutzzaun kollidiert, praktisch immer zumindest eine gewisse Verformung verursachen, und zwar selbst wenn der Zaun sehr stabil gebaut ist. Das kann gefährlich sein. Zum Beispiel wenn eine Person gerade die Finger am Zaun hat oder in unmittelbarer Nähe steht.
Und noch ein weiterer Hinweis in der Norm ist auf diese Situation anwendbar: „Der eingeschränkte Raum wird durch den Punkt definiert, an dem die Roboterbewegung tatsächlich anhält und nicht dadurch, wo der Stopp ausgelöst wird”, (zitiert aus Anmerkung 2 zu Abschnitt 5.4.4, Kursivschrift unsere).
Eine Roboteranwendung, bei der der Roboter theoretisch in den Zaun fahren kann, ist also unzulässig. Ein Haltbefehl müsste so früh an den Roboter ausgegeben werden, dass er noch so rechtzeitig anhalten kann, dass er nicht mit dem Zaun kollidiert. „Robotersichere“ Schutzzäune sind somit sowohl eine Illusion als auch ein Missverständnis.
Ausnahmen von der Regel
Wie fast immer gibt es auch hier einige Aber:
- Was, wenn nur sehr wenig Platz zur Verfügung steht und der Roboter sehr schnell fahren muss, um enge Anforderungen an die Zykluszeit einzuhalten? Dann mag es tatsächlich nicht möglich sein, seine Bewegung so zu begrenzen, dass er immer anhält bevor er mit dem Schutzzaun kollidiert. Zumindest wird er nicht immer 120 bis 200 mm vor dem Schutzzaun anhalten können. Was ist dann zu tun?
- Was, wenn der Roboter einfach ein Werkstück oder Werkzeug bei hoher Geschwindigkeit losließe? Müsste der Schutzzaun solche herausgeschleuderten Teile dann nicht zurückhalten?
- Was, wenn der Roboter und das Steuerungssystem recht alt sind und eine sichere Bewegungsbegrenzung durch die Steuerung nicht gewährleistet ist?
Schutzzaun alleine wird nicht ausreichen
In solchen Fällen ist es anscheinend tatsächlich der richtige Weg, einen Schutzzaun einsetzen, der in der Lage ist, den Roboter oder ein havarierendes Teil zurückzuhalten. In vielen Fällen werden jedoch zusätzliche oder andere Schutzmaßnahmen erforderlich sein, z.B.:
- eine Verstärkung des Schutzzauns mit zusätzlichen Bauteilen
- Schutzabdeckungen aus Metall oder Polycarbonatscheiben, die Objekte zurückhalten können, die durch ein Gitter nicht aufgehalten werden können
- Lichtvorhänge, Laserscanner oder andere sensitive Schutzeinrichtungen innerhalb des „geschützten Bereichs“, die erkennen, dass der Roboter dem Schutzzaun zu nahekommt (solche Maßnahmen sind meist nur beim Retrofit älterer Roboteranlagen erforderlich, wo keine sichere Robotersteuerung vorhanden ist oder nachgerüstet werden kann).
Auf jeden Fall sollten die Situation und die spezifischen Gefährdungen in einer Risikobeurteilung untersucht werden. Dazu würde es gehören die höchste erwartete Stoßenergie bei einem Einschlag des Roboters oder Objektes zu berechnen, und zwar aus der bewegten Masse, multipliziert mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, geteilt durch zwei [1/2 (m x v2)]. Basierend auf den Ergebnissen der Risikobeurteilung und der Berechnung der Einschlagsenergie sollten dann die erforderlichen Maßnahmen festgelegt werden.
Heute ist es in den meisten Anwendungen möglich die Roboterbewegung sicher zu begrenzen. Dazu werden zweikanalige (redundante) Systeme zu Bewegungssteuerung/-überwachung eingesetzt. Der Verlust von Werkstücken und Werkzeugen kann durch formschlüssige Greifer und zuverlässige Werkzeugspanneinrichtungen verhindert werden. Man sollte sich gerade bei hochdynamischen Anwendungen nicht auf reibschlüssige Greif- und Spannsysteme verlassen. Es ist im Zweifel immer besser – und meist auch kostengünstiger – das Problem an der Wurzel zu packen als es durch eine Art „Fangzaun“ heilen zu wollen. In einigen Fällen mag man sogar keine andere Wahl haben, als die Bewegungsgeschwindigkeit des Roboters zu reduzieren und mit längeren Zykluszeiten zu leben. Nicht vergessen: Sicherheit ist wichtiger als Effizienz!
Was Schutzzäune nicht können
Einige Hersteller von Schutzzäunen behaupten pauschal, ihre Schutzzäune seien „robotersicher“. Das ist verständlich, denn die Kunden fragen ständig danach. Aber kann man solchen Behauptungen bedenkenlos vertrauen? Da keine zwei Roboteranwendungen exakt gleich sind, ist es recht wahrscheinlich, dass ein und dasselbe Zaunsystem die Anforderungen nicht in jedem Fall erfüllen kann. Bei einem sehr großen und gleichzeitig dynamischen Roboter kann die Stoßenergie über 5000 Joule betragen. Das entspricht etwa dem Einschlag eines Kompakt-PKW mit 20 km/h. Standard-Schutzzäune sind nach so einer Kollision üblicherweise „Geschichte“.
Ein vernünftiger Hersteller wird daher nicht behaupten, dass sein Produkt jeder Art Kollision widersteht. Die Produkte sollten nachweislich für kleinere und mittlere, relativ „normale“ Roboteranwendungen geeignet sein, bei denen die Einschlagsenergie 1200 bis 1500 Joule nicht überschreitet. Wo das nicht genügt, können spezielle Zaunsysteme eingesetzt werden, die häufig auf verstärkten Befestigungsmitteln und größeren Materialstärken basieren. Dann können auch Werte von 2000 Joule und mehr erreicht werden.
Basis ist eine sorgfältige Risikobeurteilung
Die Auswahl jeder Schutzumzäunung sollte auf einer sorgfältigen Risikobeurteilung basieren. Mit welchen Gefährdungen muss realistischerweise gerechnet werden? Können Werkstücke verlorengehen? Wenn ja, werden diese innerhalb des Gefahrenbereichs einfach zu Boden fallen oder können sie „herausgeschleudert“ werden? Wie groß und wie schwer werden diese Objekte voraussichtlich sein? Wo werden sie voraussichtlich herausgeschleudert und wo könnten sie in Teile der Anlage oder des Schutzzauns einschlagen?
Die Antwort auf diese Fragen hilft, zuerst nach Maßnahmen Ausschau zu halten, die das Herausschleudern selbst verhindern. Wo solche Maßnahmen nicht möglich sind, kann man die Anwendung so gestalten, dass „Flugobjekte“ zurückgehalten werden können. Aber auch das mag nicht in jedem Teil des Gefahrenbereichs oder in der gesamten Anlage erforderlich sein, sondern nur an bestimmten Stellen oder Stationen. Genauer hinzusehen und die obigen Fragen sorgfältig zu beantworten, kann helfen, die optimale Lösung zu finden und gleichzeitig viel Geld zu sparen.
Andere Maßnahmen erforderlich
Allerdings sollte man eines unbedingt im Sinn behalten: Schutzzäune sind grundsätzlich nicht dazu gedacht, einen außer Kontrolle geratenen Roboter zurückzuhalten. ISO 10218-2 zeigt, dass andere Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Roboterbewegung sicher zu begrenzen. Eine Maschinen- und Anlagenkonstruktion, die sich auf den Schutzzaun als „allfällige Fangeinrichtung“ verlässt ist eine fehlerhafte Konstruktion.
* Matthias Schulz ist Geschäftsführer der HiQ text GmbH und unabhängiger Berater für Maschinensicherheit.
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