Additive Fertigung Produktpiraterie von generativ gefertigten Produkten erschweren

Redakteur: Dipl.-Ing. Dorothee Quitter

konstruktionspraxis fragte Ulrich Jahnke, wissenschaftlicher Mitarbeiter des DMRC der Universität Paderborn, welches Potenzial additive Fertigungsverfahren zur Prävention gegen Produktpiraterie haben.

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Hochkomplexes Förderrad einer Dispergatorpumpe, das nur noch additiv fertigbar ist. Ein Plagiat lässt sich nur mit sehr hohem Aufwand erstellen.
Hochkomplexes Förderrad einer Dispergatorpumpe, das nur noch additiv fertigbar ist. Ein Plagiat lässt sich nur mit sehr hohem Aufwand erstellen.
(Bild: DMRC und ATI Aquaristik)

Wie engagiert sich das DMRC beim Thema Schutz gegen Produktpiraterie?

Das Direct Manufacturing Research Center (DMRC) an der Universität Paderborn arbeitet gemeinsam mit international aktiven Industrieunternehmen an der Weiterentwicklung von Rapid-Prototyping-Technologien zu einer verlässlichen und produktionsstabilen Direct-Manufacturing-Technologie als spezielle Ausprägung der Additiven Fertigungsverfahren. Die so angestrebte Fertigung von direkt einsetzbaren Bauteilen, basierend auf digitalen Produktdaten, wird häufig auch als Chance für Produktpiraten diskutiert, denen so das Kopieren erleichtert werden könne. Um dieser Gefahr zu begegnen, werden am DMRC in der Nachhaltigkeitsmaßnahme „Prävention gegen Produktpiraterie“ im Rahmen des vom BMBF geförderten Technologie-Netzwerkes „it’s OWL“ technische Schutzmaßnahmen entwickelt, die auf die Potentiale Additiver Fertigungsverfahren abgestimmt sind. Das DMRC zielt darauf ab, den Schutz von Innovationen und Produkten schon in der Produktentstehung zu berücksichtigen und berät interessierte Unternehmen zur Funktionsweise und Anwendung der Schutzmaßnahmen, aber auch zu den Fertigungsverfahren selbst.

Wie verläuft der Prozess des „Reverse Engineering“?

Die Prozessschritte des Reverse Engineering sind stark abhängig von dem Produkt, auf das es angewandt wird. Handelt es sich um ein Produkt bestehend aus mehreren Bauteilen, beginnt der Prozess mit der Demontage des Produkts, während andernfalls direkt mit der darauf folgenden Phase, der Funktionsbestimmung, gestartet werden kann. Diese ist je nach Komplexität des Produktes mehr oder weniger aufwendig. Nach einer Priorisierung der einzelnen Bauteile, gilt es dann, die Zusammenhänge der nächsten Schritte richtig zu deuten und so den Aufwand zu minimieren. Zu nennen sind insbesondere die Schritte zur Bestimmung des Produktionsverfahrens und des Materials, aber auch zur Extraktion der Geometrie, die in enger Beziehung stehen. Von einem Material oder einer bestimmten Geometrie lässt sich unter Umständen schnell auf den Herstellprozess schließen. So liefert das Reverse Engineering in den teils sequentiell und teils eng zusammenhängenden Prozessschritten alle Informationen, die zur Rekonstruktion und zur Fertigung eines bereits existierenden Produkt benötigt werden.

Welches Potential bieten additive Verfahren generell?

Die Potentiale der Additiven Fertigungsverfahren resultieren insbesondere aus der schichtweisen Generierung von 3D-Objekten. Hochkomplexe Strukturen, die mittels konventioneller Verfahren unwirtschaftlich oder zum Teil gar nicht fertigbar waren, werden möglich, da die Komplexität in viele wenig komplexe 2D-Schichten zerlegt wird. Diese konstruktive Freiheit erlaubt eine weniger fertigungsgerechte als viel mehr funktionsorientierte Gestaltung von Bauteilen, obgleich auch in der Additiven Fertigung Konstruktionsrichtlinien zu berücksichtigen sind.

Der Fertigungsprozess selbst und die hier entstehenden Kosten sind in Additiven Fertigungsprozessen nicht mehr abhängig von der Komplexität der Bauteile. Sofern der Bauraum der Fertigungsanlage dies ermöglicht, können in einem Prozess sogar verschiedene, auch individualisierte Bauteile gefertigt werden. In konventionellen Verfahren sind Produktindividualisierungen meist mit deutlich höherem Aufwand und höheren Kosten verbunden. Derart flexibel verschiedenste Bauteile auf Basis digitaler Daten werkzeuglos fertigen zu können, erlaubt kurzfristige konstruktive Änderungen in der Produktentwicklung und kann diese so beschleunigen. Zu beachten gilt es allerdings, dass sich die einzelnen Additiven Fertigungsverfahren beispielsweise durch die fertigbaren Materialien und die damit einhergehenden Restriktionen stark unterscheiden können.

Schützt die mögliche Komplexität der Bauteile vor Plagiaten?

Unter Berücksichtigung eines ganzheitlichen Schutzmaßnahmenbündels, das den rechtlichen und technischen Schutz genauso umfasst wie den Schutz der digitalen Daten, sind Produktpiraten auf das Reverse-Engineering angewiesen. In einer solcher Kombination erhöht die Komplexität von Bauteilen den Aufwand eines Reverse-Engineerings und damit den Schutz vor Plagiaten.

Bei Bauteilen mit sehr komplexen oder sogar inneren Strukturen, die möglicherweise zur eigentlichen Funktion beitragen, stehen Produktpiraten in der Phase der Extraktion der Geometrie vor einer schwierigen Aufgabe. 3D-Scanner, die häufig als Datenquelle für das Kopieren von 3D-Objekten beworben werden, können zwar die Oberflächen von Bauteilen erfassen, nicht jedoch ihr Inneres. Es bleibt nur der Weg durch einen CT-Scanner oder ähnliches zur zerstörungsfreien Rückführung der Geometrie ins CAD oder aber die manuelle Rekonstruktion, die je nach Bauteilstruktur seine Zerstörung bedingt. In jedem Fall wird der Aufwand erhöht, was zu einem geringen Profit führt und somit weniger Anreiz für Produktpiraten bietet.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eine Dispergatorpumpe beispielweise wurde häufig plagiiert. Die gesamte Pumpe in Additiven Fertigungsverfahren herzustellen, war weder sinnvoll noch möglich. Ein Element jedoch wurde als entscheidend zur Funktionserfüllung und Effizienz der Pumpe identifiziert und unter Berücksichtigung der Potentiale Additiver Fertigungsverfahren neu gestaltet: Das Förderrad, verantwortlich für die Erzeugung des Luft-Wasser-Gemisches. Das Ergebnis ist ein hochkomplexes Gitterrad, das durch das neue Design und die so vergrößerte Oberfläche des Rades die Effizienz der Pumpe steigert und damit auch die Mehrkosten für den Produktschutz rechtfertigt. In mehreren Versuchen mussten Universitätsabsolventen im Bereich Maschinenbau auf eine manuelle Rekonstruktion zurückgreifen, um die Geometrie ins CAD zurückzuführen. Je nach praktischer Erfahrung benötigten sie dazu ca. 20 - 40 mal mehr Zeit als für die Extraktion des ursprünglichen Designs des Förderrades. Zur Plagiierung reichten diese geometrischen Daten allein noch nicht aus, da eine Vielzahl an Fertigungsparametern (Orientierung im Bauraum, Laserleistung, Laserfokus etc.) die Bauteilqualität beeinflusst. Zur erfolgreichen Imitation müssten diese Parameter ermittelt werden.

Welche Produktschutzmaßnahmen wurden bisher identifiziert?

Vor allem sind hier die Maßnahmen zu nennen, die die genannte konstruktive Freiheit ausnutzen, sei es um die Funktion eines Bauteils im Sinne einer Funktionsintegration zu verbessern, so dass weniger oder keine Montageschritte nach der Fertigung notwendig werden oder sei es um Funktionen im Innern des Bauteil oder durch eine Black Box zu verstecken. Lokale Modifikationen der Dichte können beispielsweise funktional wirken, um einem Bauteil dämpfende Eigenschaften zu verleihen oder den Schwerpunkt bewusst zu beeinflussen. Sie können aber auch zur Markierung eingesetzt werden, um eine untrennbare Kennzeichnung von Bauteilen zu erreichen. Die Vermeidung von Standardmaßen beeinflusst weder Kosten noch die Fertigbarkeit mit Additiven Verfahren, führt aber zu erhöhtem Aufwand der Produktpiraten, wenn sie auf manuelles Rekonstruieren angewiesen sind. Destandardisierungen bzw. Individualisierungen führen als Maßnahme zwar nicht ausschließlich zu einer Erschwerung des Reverse-Engineerings, aber dazu, dass dieser Prozess für jedes einzelne individualisierte Produkt durchgeführt werden muss. Die Plagiierung wird so wirtschaftlich wenig attraktiv. Wie zu anfangs erwähnt, berät das DMRC gerne bei der Auswahl und Anwendung geeigneter Schutzmaßnahmen für und durch die Additiven Fertigungsverfahren.

Vielen Dank für das Gespräch.

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