Berechnen, Simulieren, Visualisieren Paradigmenwechsel in der konstruktionsnahen Berechnung

Autor / Redakteur: Isabel Braun, Evelyn Gebhardt / Karl-Ullrich Höltkemeier

Das Ziel des Paradigmenwechsels in der Konstruktion ist es, Konstruktion und Berechnung besser aufeinander abzustimmen und die Simulation bzw. Optimierung früher im Prozess einzusetzen. Unterstützung gibt es dazu von Altairs HyperWorks Suite.

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Darstellung des Bauteils nach den einzelnen Fertigungsschritten.
Darstellung des Bauteils nach den einzelnen Fertigungsschritten.
(Bilder: belCAT/Altair)

Das Ziel eines konstruktiven Entwicklungsprozesses ist der Entwurf kostengünstiger Bauteile, die bereits bestimmte Anforderungen an Funktionalität und Gestaltung erfüllen. Die zu entwickelnden Bauteile bzw. Konstruktionsentwürfe sind üblicherweise das Ergebnis eines iterativen Prozesses zwischen Konstrukteur und Berechnungsingenieur.

Die Berechnungsingenieure führen mit dem ersten Konstruktionsentwurf detaillierte numerische Simulationen des Strukturverhaltens durch, aus deren Ergebnissen Entwurfsänderungen abgeleitet werden.

Die Konstrukteure setzen die Änderungen in einem neuen Designentwurf um und übergeben die neue Konstruktionsvariante zurück an die Berechnungsabteilung. Die Berechnungsingenieure sichern so die Arbeit der Konstrukteure rechnerisch ab und initiieren, aufgrund der erzielten Berechnungsergebnisse, gegebenenfalls weitere Designänderungen und zusätzliche Iterationen mit der Konstruktionsabteilung. Die Berechnungsverfahren werden in der Konstruktionsoptimierung sowie zur virtuellen Freigabe von Designentwürfen eingesetzt. Im heutigen wettbewerbsgeprägten Entwicklungsumfeld erweist sich dieser Ansatz jedoch nicht mehr für jede Bauteilentwicklung als zweckmäßig.

Das Ziel des Paradigmenwechsels in der Konstruktion ist es, Konstruktion und Berechnung besser aufeinander abzustimmen und die Simulation bzw. Optimierung früher im Prozess einzusetzen, so dass sich ein verkürzter Ablauf der Entwicklungsschleifen ergibt: Optimierung in der Konzeptphase > Konstruktion > Detaillierte Berechnung und Freigabe> Prototypenbau. Mit dem frühen Einsatz der Optimierungsmethoden können unnötige Iterationen zwischen Konstruktion und Berechnung eingespart werden. Im Idealfall muss die Berechnungsabteilung „nur“ die Ergebnisse der Konstruktion bestätigen.

Die Lücke schließen – Konstruktion und Berechnung nähern sich an

Seitens der Softwarehersteller wird viel Engagement darauf verwendet, Berechnungswerkzeuge bereits in der Konstruktion, während der Designphase, zu etablieren. Dabei liegt die Idee zugrunde, Konstrukteure die nötigen Berechnungen bereits während der Konstruktionsphase ganz oder teilweise übernehmen zu lassen, um so schneller zu einem funktionalen Entwurf zu kommen und die Kosten in den Berechnungsabteilungen zu senken. Technologisch wurden diese Schritte durch die Integration von Standardberechnungstechniken, wie z.B. statische und dynamische Analysen, in CAD-Systeme begleitet.

Es wurde angenommen, dass die Berechnungssoftware nur hinreichend einfach gestaltet und in die CAD Tools integriert werden müsse, um es Konstrukteuren zu ermöglichen, diese Aufgaben abzudecken. Es gibt jedoch zwei wesentliche Gründe, warum diese Vorgehensweise bisher zu wenig durchschlagendem Erfolg geführt hat.

Zum einen sind Konstrukteure gut mit ihrer eigentlichen Aufgabe, der Konstruktion des Bauteils ausgelastet, zum anderen fehlen in der Konstruktion oft die Voraussetzungen (Daten, Technologie, Prozesse, u.a.) dafür, geeignete Modelle zu erstellen und dann die richtigen Schlussfolgerungen aus den Berechnungsergebnissen zu ziehen. (Simulationsgetriebener Designansatz erforderlich)

Simulationsgetriebener Designansatz erforderlich

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob CAD-integrierte Berechnungsmethoden überhaupt die für einen Konstrukteur interessanten Fragen beantworten können. Für den Konstrukteur ist von Interesse, wo die relevanten Lastpfade liegen, an welchen Stellen Material eingespart werden kann, ohne die Integrität der Konstruktion zu beeinträchtigen, wo Material hinzugefügt werden muss, damit die Konstruktion trägt oder an welcher Position eine Sicke eingefügt werden sollte, um die Eigenfrequenz zu erhöhen.

Um diese für den Konstrukteur relevanten Fragen zu adressieren, ist ein simulationsgetriebener Designansatz erforderlich. Inverse Entwicklungsmethoden wie die Materialauslegung durch Topologieoptimierung oder die Dimensionierung durch freie Formoptimierung sind geeignete Methoden, um ein simulationsgetriebenes Design zu erstellen. Werden diese bereits in der Konzeptphase eingesetzt, können Iterationen zwischen Konstruktion und Berechnung eingespart werden.

Wesentliche, die Konstruktion betreffende Fragen, können so vom Konstrukteur auf direktem Wege selbst beantwortet werden und er muss für die nächste Konstruktionsphase oder Optimierung nicht mehr auf die Ergebnisse der Berechnungsabteilung warten.

Die konstruktionsnahe Entwicklung in der Praxis

Ein Beispiel für eine konstruktionsnahe Berechnung und Optimierung liefert ein vor kurzem durchgeführtes Projekt aus dem Automobilumfeld von des Ingenieurbüros belCAT Ingenieurbüro Stuttgart aus Stuttgart für die Firma Bosch.

In diesem Projekt sollte der Ventilhebel (Werkstoff: 42CrMo4) einer schelllaufenden Kolbenexpansionsmaschine lastgerecht und gewichtsoptimiert entworfen werden. Um den Ventilhebel, von dem insgesamt 30 Stück als Prototypen erstellt werden sollten, möglichst schnell und kosteneffizient fertigen zu können sollte auf die dem Musterbau zur Verfügung stehenden Fertigungsverfahren (Fräsen, Schmieden, Wasserstrahlschneiden, Blechumformung und Erodieren) zurückgegriffen werden. Wegen der geringen Stückzahl und aus Kostengründen wurden die Fertigungsverfahren Schmieden und Erodieren von vornherein ausgeschlossen. (Optimierung des Bauteils mit der Altair HyperWorks Suite)

Optimierung des Bauteils mit der Altair HyperWorks Suite

Die Optimierung des Bauteils wurde mit den Werkzeugen der Altair HyperWorks Suite durchgeführt. Die erste Optimierung des Ventilhebels wurde mit sehr wenigen Einschränkungen durchgeführt, d. h. es wurden lediglich der zur Verfügung stehende Bauraum (Design Space), geschützte Bereiche (Non-Design Space), Randbedingungen und Lasten definiert. Um mögliche Fertigungsverfahren ableiten zu können wird die erste Optimierung generell mit möglichst wenigen Einschränkungen durchgeführt.

Anhand dieses Ergebnisses ist es dann möglich, ein Fertigungsverfahren auszuwählen, das in einer weiteren Optimierung durch Definition einer entsprechenden Fertigungsrestriktion gezielt berücksichtigt wird. In diesem Beispiel lieferte das erste Ergebnis zwar eine hinterschnittfreie aber relativ komplexe, nur durch „teure“ und „langsame“ Herstellverfahren (5-Achs CNC-Fräsen, Schmieden, Erodieren) herstellbare Geometrie.

Da das Ergebnis der ersten Optimierung bereits entformbar (Auf-Zu) war, konnte auf eine Optimierung mit der Fertigungsrestriktion „Ausformrichtung“ verzichtet werden. Stattdessen wurde in einer zweiten Optimierung die Fertigungsrestriktion Extrusion verwendet, um ein Ergebnis zu erzwingen das durch Wasserstrahlschneiden abgebildet werden kann.

Detaillierter Festigkeitsnachweis anhand der finalen Geometrie

Beide Optimierungsergebnisse konnten für sich alleine nicht direkt durch ein einzelnes Fertigungsverfahren umgesetzt werden. Es zeigte sich jedoch, dass beide Ergebnisse durch eine Kombination der Fertigungsverfahren 3-Achs Fräsen (ohne CNC) und Wasserstrahlschneiden umgesetzt werden konnten.

Beide Verfahren erfüllen die gewünschten Forderungen „schnell“ und „kostengünstig“. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde das Eingangsmodell für die dritte Optimierung angepasst. In dieses Modell wurde die aus Optimierungsergebnis 1 ableitbare einfache Fräsbearbeitung bereits eingearbeitet. Die Ummantelung der Ölkanäle wurde auf die Ebene der Fräsbearbeitung hochmodelliert, um deren Extrudierbarkeit (Wasserstrahlschneiden) zu gewährleisten. In der dritten Optimierung wurde nun lediglich die Fertigungsrestriktion Extrusion bei der Optimierung des überarbeiteten CAD-Modells angewendet.

Eine vierte Optimierung, bei der im Vergleich zur dritten lediglich die minimal erlaubte Wandstärke von 3 mm auf 4 mm erhöht wurde, zeigte erwartungsgemäß weniger dafür aber dickere Rippen. Aus beiden daraus resultierenden Ergebnissen wurden jeweils die Bereiche des Ventilhebels ausgewählt, die sich als geeigneter für die Fertigung erwiesen. An dieser Stelle floss die Erfahrung des Konstrukteurs darüber, welche weiteren Modifikationen an der Geometrie aus Fertigungssicht vorteilhaft wären, in die Arbeit mit ein.

In dieser Phase war die Optimierungs- und Fertigungserfahrung des Konstrukteurs bei der Interpretation der Optimierungsergebnisse und der finalen Umsetzung in eine CAD-Geometrie entscheidend. Schließlich wurde von der Berechnungsabteilung ein detaillierter Festigkeitsnachweis anhand der finalen Geometrie durchgeführt.

Vorauswahl für ein mögliches Fertigungsverfahren treffen

Das Projekt von belCAT Ingenieurbüro Stuttgart für die Firma Bosch hat gezeigt, wie sich die Arbeitsabläufe zwischen Konstruktion und Berechnung durch den Einsatz von Konzeptionierungsmethoden wie der Topologieoptimierung und -werkzeugen, wie sie in Altairs HyperWorks Suite enthalten sind, verändern und den gesamten Entwicklungsprozess vereinfachen und verkürzen können.

Der Konstrukteur wurde bei der Beantwortung seiner Fragestellungen unterstützt und konnte seine Konstruktionserfahrung, im Einklang mit den Optimierungsergebnissen, schon in seinen ersten Entwurf einfließen lassen. Das Ergebnis einer Topologieoptimierung ist häufig eine komplexe und schwer fertigbare Geometrie.

Auf Basis des ersten Optimierungsergebnisses lässt sich jedoch oft eine Vorauswahl für ein mögliches Fertigungsverfahren treffen. Dieses gewählte Fertigungsverfahren kann dann im weiteren Optimierungsprozess durch sogenannte Fertigungsrestriktionen gezielt berücksichtigt werden. Ein zunächst komplex erscheinendes und schwierig zu fertigendes Optimierungsergebnis kann so auf ein weniger komplexes, schnell und kostengünstig zu fertigendes Optimierungsergebnis reduziert werden. Letztendlich hat die Kombination aus Konstruktions- und Berechnungswissen zu den guten Ergebnissen geführt. (Zusammenfassung)

Zusammenfassung

Mittlerweile werden konstruktionsnahe Berechnungen bei den Unternehmen immer häufiger eingesetzt, da die Werkzeuge den speziellen Anforderungen der Konstrukteure angepasst wurden. So unterstützen Optimierungsmethoden den Designprozess bereits in der frühen Phase der Produktentwicklung.

Das Ergebnis ist ein voroptimierter Entwurf, der in der Regel zwischen Berechnung und Konstruktion bis zur Freigabe deutlich weniger Iterationsschleifen durchlaufen muss. Im Idealfall wird der Entwurf in der Berechnung lediglich bestätigt und kann dann bereits fertigungsoptimiert in die Prototypenproduktion gehen. Dies ermöglicht neben einer deutlich kürzeren Entwicklungszeit eine erhebliche Reduzierung der Kosten.

In Zukunft werden immer mehr Berechnungswerkzeuge in der traditionellen Konstruktion Einzug halten, diese werden jedoch nicht, wie man noch vor Jahren dachte, die Berechnungsingenieure in den Firmen ersetzen, sondern zu einem verkürzten Entwicklungsprozess führen, bei dem Konstruktion und Berechnung von Anfang an die gleiche „Sprache“ sprechen und Designziele gemeinsam besser verfolgt werden können. (hö)

* Isabel Braun, belCAT Ingenieurbüro Stuttgart; Evelyn Gebhardt, Blue Gecko Marketing GmbH

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