Druckguss Mega-Casting: Eine gigantische, konstruktive Herausforderung?

Von Juliana Pfeiffer |

In der Automobilindustrie gewinnen Strukturbauteile deutlich an Bedeutung. Tesla macht es mit seinem Model Y vor: Statt wie bisher aus mehreren Einzelteilen, wurde der Heckrahmen im Aluminiumdruckguss nun als nur ein einzelnes, massives Teil gegossen. Der Trend hat einen Namen: Mega Casting.

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Von 70 Einzelteilen zu einem Komplett-Teil: Tesla hat den Heckrahmen des Model Y in einem Stück gefertigt.
Von 70 Einzelteilen zu einem Komplett-Teil: Tesla hat den Heckrahmen des Model Y in einem Stück gefertigt.
(Bild: Tesla)

Eine Fahrzeugkarosserie besteht üblicherweise aus vielen einzelnen Teilen, die verklebt, verschweißt oder verschraubt sind. Um die einzelnen Fahrwerks-, Motoren- oder Karosserieteile zu fertigen, hat sich seit langem in der Automobilindustrie das Druckgussverfahren etabliert. Bei diesem Verfahren wird flüssiges Metall unter hohem Druck in geteilte Metallformen gedrückt. Während das gegossene Metall erstarrt, bleibt der Druck aufrechterhalten. Mit dem Druckgussverfahren lassen sich dünnwandige Werkstücke mit komplizierten Formen mit hoher Qualitätsgüte und engen Toleranzen herstellen.

Mega-Casting: Große Strukturteile in einem Guss

In der Automobilfertigung gewinnen jedoch Strukturbauteile immer mehr an Bedeutung. Der E-Auto-Pionier Tesla lässt mit einem Patent, welches das Unternehmen angemeldet hat, erahnen, wohin die Zukunft der Autobauer hingeht. Demnach soll die Fahrzeugkarosserie auf so wenig große Strukturgussteile wie möglich vereinfacht werden. Die Aluminium-Karosseriefertigung in einem Guss ermöglicht das Mega-Casting. Es funktioniert im Prinzip gleichermaßen wie das Druckgussverfahren. Nur ist der Maßstab größer. Beim Mega-Casting wird eine große Anzahl an Teilen durch ein einziges, großes Gussstück ersetzt. „Die Stärken eines Mega-Casting-Bauteils aus Aluminiumguss lassen sich besonders dort ausspielen, wo es ein Konstrukt aus vielen Einzelteilen zu substituieren gilt“, fasst Stefan Kneer, Produktmanager Business Development bei Handtmann, die Vorteile zusammen. Am Ende erfülle das Gigateil die Summe der Anforderungen der ersetzten Einzelteile. Das Verfahren ermöglicht so eine größere Flexibilität bei Design und Produktion. „Die Integration von Funktionen in ein komplexes Gussteil ist ein wesentlicher Vorteil bei großen Gusslösungen, denn dadurch lassen sich unter anderem Montageschritte und Zeit sparen“, ergänzt Frank Gensty, Chief Technology Officer (CTO) bei GF Casting Solutions.

Die Stärken eines Mega-Casting-Bauteils aus Aluminiumguss lassen sich besonders dort ausspielen, wo es ein Konstrukt aus vielen Einzelteilen zu substituieren gilt.

Stefan Kneer, Produktmanager Business Development bei Handtmann

Bei der Auslegung machen die Dimensionen den Unterschied

Aus konstruktiver Sicht besteht die Herausforderung bei der Entwicklung, wie Kneer erklärt: „Es sind mehreren Iterationsschleifen nötig, in welcher eine enge Abstimmung zwischen Simulation und Konstruktion unumgänglich ist. Analog dazu erhöhen sich die Anforderung an die verantwortliche Entwicklungsabteilung, weshalb uns die Kunden immer häufiger schon mit der Vorentwicklung beauftragen.“ Hier zeige sich ein eindeutiger Trend weg vom reinen Fertiger hin zum Full-Service-Supplier. Bei der gussgerechten Auslegung machen schlicht die Dimensionen den größten Unterschied, so der Experte von Handtmann. So müssen Fließwege von weit über einem Meter überwunden werden, wodurch stets das Risiko bestehe, dass sich Kaltlauf und Poren bilden. „Das führt zu hohen Geschwindigkeiten der Schmelze während der Formfüllung und damit zu hohen Anforderungen an das Werkzeug“, betont Kneer.

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Mega-Casting-Maschinen so groß wie ein Haus

Die größte Schwierigkeit bei der Umsetzung von Gigateilen liege aber in Infrastruktur und Peripherie. Denn nicht nur die Bauteile sind riesig, sondern auch die zur Herstellung und Bearbeitung benötigten Maschinen und Werkzeuge. „Beispielsweise wiegt eine Druckgussmaschine mit 8.000 Tonnen Schließkraft 600 Tonnen. Formen für diese Maschine 160 Tonnen“, führt Kneer auf. In seiner Gigafactory im brandenburgischen Grünheide setzt der E-Auto-Pionier bei den Heckrahmen seines Tesla Model Y auf Aluminiumdruckguss. Die Pressen stammen vom italienischen Maschinenbauer Idra. Dabei wiegt jede Maschine über 400 Tonnen und ist mit rund 20 Metern Länge und mehrere Metern Höhe so groß wie ein Haus. Es braucht bis zu 24 Tieflader, um die einzelnen Maschinenkomponenten zu transportieren. Mit einer Einspritzgeschwindigkeit von 10 Metern pro Sekunde schafft Tesla 40 bis 45 Gussteile pro Stunde. Das sind 1000 Heckrahmen pro Tag.

Je größer das Bauteil, desto höher die Anforderungen

Tendenziell gelte, so Frank Gensty: Mit zunehmender Bauteilgröße steigen auch die Anforderungen an die Entwicklungskompetenz, um alle technischen Anforderungen, wie unter anderem Bauteilqualität und Toleranzen, prozesssicher in Großserie zu erfüllen. Deshalb sollten laut dem Experten bei der Auslegung von großen Strukturteilen folgende Fragen beantwortet werden:

  • Mit welchen Parametern kann die Form ideal und mit möglichst wenig Poren und Fehlstellen gefüllt werden?
  • Wie wird das Bauteil aus dem Werkzeug entnommen und wie erfolgt die Abkühlung bzw. eine folgende Stabilisierung?

„Der Bauteilverzug entsteht beim Abkühlen des Materials und kann durch mehrstufige Wärmebehandlung verschlimmert werden“, erklärt Kneer. Einen entscheidenden Einfluss darauf habe zudem die Temperierung der Form sowie der Sprühprozess. „Ein Richten von Großbauteilen ist schwierig und sehr teuer. Zudem sorgen die oft engen Toleranzen dafür, dass mit einem erhöhten Ausschuss zu rechnen ist“, sagt der Experte. Um den Verzug vorzubeugen, seien deshalb entwicklungsbegleitende Simulationen unabdingbar. Bei Handtmann setzten die Konstrukteure beispielsweise auf Verzugssimulation mit Magma und Füllsimulation mit Flow3D.

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Wenn es um Anbindungspunkte für Anbauteile geht, bietet der Druckguss eine enorme Gestaltunsgfreiheit. Dadurch lassen sich Anbindungsgeometrien wie beispielsweise Schraubgewinde ohne Zusatzelemente im Bauteil darstellen. „Herausfordernd ist die gleichbleibende, hohe Passgenauigkeit der Bauteile“, sagt Kneer. Wie bei Druckgussbauteilen üblich, werden Bearbeitungszugaben vorgesehen und die Anbindungspunkte im Nachgang durch CNC Bearbeitung fertiggestellt. Konventionelle Strukturteile bestehen in der Regel aus Stahlblech. Diese werden vorwiegend im Punkt- oder Schutzgasschweißverfahren gefügt. Das sei auch für Aluminiumgussteile möglich, besser sind aber Fügeverfahren wie Kleben, Nieten, Reibschweißen, Clinchen und Schrauben, so der Experte.

Wenn wir explizit über Low bzw. High-Speed Crashanforderungen sprechen, geht es um die Energieaufnahme durch den Crash-Impact in Form von Bauteilumformung.

Frank Gensty, Chief Technology Officer (CTO) bei GF Casting Solutions

Wie verhält sich Strukturbauteil bei einem Unfall?

Tesla gibt an, dass die neue Unibody-Konstruktion nicht nur das Gewicht deutlich reduziere, es soll auch sicherer sein: Demnach absorbiere ein einziges Strukturgussteil die Aufprallkraft bei Unfällen deutlich besser. Wenn das Strukturbauteil aus einem Guss gefertigt wird, kann es dann so auch die Kräfte bei einem Unfall besser ableiten? Schließlich hat Aluminium eine geringere Festigkeit als Stahl. „Nein, nicht automatisch. Wenn wir explizit über Low bzw. High-Speed Crashanforderungen sprechen, geht es um die Energieaufnahme durch den Crash-Impact in Form von Bauteilumformung. Hier spielt die Werkstoffduktilität neben dem Bauteildesign eine große Rolle“, verdeutlicht Gensty. Somit sei eine ausschließlich auf hohe Festigkeit ausgelegte Struktur kein Garant für eine „best in class“ Crash Performance. Bei GF berät das Innovationsmanagement und R&D Team die Kunden, um für jede spezifische Fahrzeuganwendung die optimale Lösung zu entwickeln. „Das richtige Bauteil-Design in Kombination mit dem richtigen Werkstoff ist der Schlüssel zur besseren Crash-Performance“, betont der Experte. Auch beim Thema Sicherheit gelten weiterhin dieselben Bauteilanforderungen. „Auch wenn das Material sowie die Geometrie sich ändern, müssen dennoch die strengen Sicherheitsanforderungen vollumfänglich erfüllt werden“, verrät Kneer. Deshalb erfolgt die Auslegung der Bauteile auf Basis einer Topologieoptimierung, um von Beginn an den Fokus auf das strukturelle Bauteilverhalten zu konzentrieren. Zudem lasse sich die geringere Festigkeit von Aluminium durch Verrippungen, Konturknoten und höhere Wandstärken kompensieren, so der Fachmann.

Volvo setzt bei Aluminium-Karosserieteilen auf Mega-Casting

Neben Tesla setzt auch Volvo auf Mega-Casting. Ab 2025 wollen die Schweden in ihrem Stammwerk Torslanda diese Fertigung zur Produktion von Aluminium-Karosserieteilen für Volvo-Elektroautos nutzen. Demnach sollen große Teile der Bodenstruktur als ein zusammenhängendes Aluminiumteil gegossen werden. Dies soll das Gewicht reduzieren und so die Energieeffizienz und in der Folge auch die elektrische Reichweite der E-Fahrzeuge verbessern.

Doch lohnt es sich überhaupt wirtschaftlich, eine Karosse aus dem teuren Werkstoff Aluminium herzustellen? „Wer an Aluminium denkt, hat zurecht sofort eine Assoziation zum Bereich Leichtbau. Das ist in den meisten Anwendungsfällen auch korrekt. Aber bei Hinterwagen aus einem Guss trifft das nicht unbedingt zu“, gibt Kneer zu Bedenken. Mindestziel sei es demnach nicht schwerer zu werden und idealerweise etwas Gewicht zu reduzieren. Der Haupttreiber des Themas ist aber das große wirtschaftliche Potenzial, so der Experte weiter: „Schließlich reduziert man eine Vielzahl von Einzelbauteilen (bei Tesla von 70 auf 1), welche in einer komplexen Prozesskette gefügt werden müssten. Zudem benötigt jedes dieser Einzelteile eigene Werkzeuge, Produktionsmaschinen mit Wartung, Entwicklungsaufwände, Logistikketten und organisatorische Aufwendungen (z.B. Einkauf).“ Stahlkonstruktionen benötigen zudem grundsätzlich zusätzliche Korrosionsschutzmaßnahmen. Speziell im Überlappbereich von Blechen entsteht sehr leicht Spaltkorrosion.

Schließlich reduziert man eine Vielzahl von Einzelbauteilen (bei Tesla von 70 auf 1), welche in einer komplexen Prozesskette gefügt werden müssten.

Stefan Kneer, Produktmanager Business Development bei Handtmann

„Aluminium als Rohmaterial weist einen, im Vergleich zu Stahl, höheren CO2-Fußabdruck auf, ist allerdings auch 3-mal leichter als Stahl und reduziert so das Bauteilgewicht und damit die Emissionen während der Nutzungsphase des Fahrzeugs signifikant“, räumt Gensty mit einem weiteren Bedenken auf. Werden demnach erneuerbarer Energiequellen in der Herstellung der Aluminiumlegierungen stärker genutzt und sich auf erhöhte Rezyklatanteile in den Legierungen fokussiert, reduziere sich damit auch der Emissionsfaktor je kg Aluminium stetig.

Audi prüft Einsatz von Großgussbauteilen in der Serienfertigung

Die Art, wie Tesla konstruiert, hat definitiv auch Einfluss auf die deutschen Autohersteller. So setzt Audi schon seit Jahren auf sehr große Gussbauteile im Serieneinsatz. So wird der 1,5 Meter lange Längsträger hinten links und rechts im Audi Q7 und Q8 am Standort Münchsmünster, in der Nähe des Stammwerks Ingolstadt, gefertigt. Darüber hinaus werde bei Audi nach eigenen Angaben und im gesamten Volkswagen Konzern derzeit der Einsatz von Großgussbauteilen in der Serienfertigung geprüft. „Großgussbauteile versprechen grundsätzlich Potential hinsichtlich Effizienz, bringen aber auch Herausforderungen im Fertigungsprozess mit sich“, heißt es bei Audi.

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