DIN 2304-1 Kleben fängt vor dem Kleben an (Teil II)

Autor / Redakteur: Prof. Dr. Christian Dietrich; Dr. Hartwig Lohse* / Dipl.-Ing. Dorothee Quitter |

Beim Kleben muss die gesamte Prozesskette betrachtet werden: von der Planung über die zu verwendenden Materialien bis hin zu einer fachgerechten Umsetzung. Teil 2: die DIN 2304-1 und der Entwicklungsprozess.

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Beispiele für die klebgerechte Gestaltung
Beispiele für die klebgerechte Gestaltung
(Bild: Industrieverband Klebstoffe)

Von besonderer Bedeutung für den Klebprozess ist der Abschnitt 5.4 der DIN 2304-1. Hier geht es um den Entwicklungsprozess sowie die Konstruktion von Klebverbindungen.

Auf Basis der sicherheitstechnischen Bewertung der Verbindung, die unter Mitwirkung des Klebaufsichtspersonals durch den verantwortlichen Konstrukteur durchgeführt wird, kann die genaue Festlegung des Anforderungsprofiles für die Klebverbindung erfolgen. Die Praxis zeigt, dass die Aussage „Der Klebstoff muss viel mehr können, als man zunächst annimmt“ häufig sehr zutreffend ist.

Konstruktion von Klebverbindungen

Selbstverständlich müssen die mechanischen Belastungen, denen das Teil in nachfolgenden Prozessschritten oder während des bestimmungsgemäßen Betriebs ausgesetzt ist, nach ihrer Art und Höhe berücksichtigt werden. Kommen Temperaturänderungen, sei es während der Fertigung oder im Betrieb in Betracht, so kann im ungünstigen Fall ein unterschiedliches Wärmeausdehnungsverhalten der Fügeteile, auch ohne eine zusätzliche mechanische Belastung zu einer erheblichen Beanspruchung der Klebung führen. Da Klebungen auch einer Alterung unterworfen sein können, müssen zwingend die Einsatzbedingungen nach Art und Dauer festgelegt werden.

Grundlegende Voraussetzung für eine Klebung ist natürlich, dass der verwendete Klebstoff eine ausreichende und dauerhafte Adhäsion zu dem jeweiligen Werkstoff zeigt. Ob dies der Fall ist, hängt nicht nur von dem ausgewählten Klebstoff und dem Fügeteilwerkstoff, sondern insbesondere auch von der Oberflächenbeschaffenheit der Fügeteile ab. Gerade diese wird durch eine Vielzahl von Parametern beeinflusst. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier beispielhaft genannt:

  • die Werkstoffzusammensetzung, viele Werkstoffe zeigen eine vom Bulkmaterial abweichende Oberflächenzusammensetzung, die wiederum von verschiedenen Parametern beeinflusst werden kann,
  • die Oberflächenspannung,
  • die Oberflächenrauigkeit,
  • der Verschmutzung nach Art und Umfang,
  • eventuell aus dem Formgebungsprozess anhaftende Trenn- oder Gleitmittel,
  • die Anwesenheit von Korrosionsschutzmitteln.

Bei beschichteten Werkstoffen ist nicht nur die Adhäsion der Beschichtung zum Fügeteilwerkstoff (die Beschichtung muss ausreichend fest haften), sondern auch die Adhäsion des Klebstoffs zur Beschichtung zu beachten. Die Adhäsionseigenschaften können von der jeweiligen Farbe der Beschichtung abhängen, eine Änderung des farbgebenden Pigments kann durchaus eine aus klebtechnischer Sicht signifikante Änderung der Zusammensetzungen und somit der Haftungseigenschaften darstellen.

In diesem Zusammenhang sei auf den wichtigen Schritt einer Oberflächenbehandlung vor dem Kleben hingewiesen. Ziel der Vorbehandlung ist es, die Fügeteiloberfläche auf den Klebstoff einzustellen und durch die erfolgte Konditionierung gleichzeitig zur Prozesssicherheit der Klebung beizutragen. Man unterscheidet zwischen reinigenden Verfahren und solchen, die die Oberflächen modifizieren. Aus ökonomischen Gründen gilt hier „so umfangreich wie nötig, nicht so umfangreich wie möglich“!

Da die, die Adhäsion ausmachenden Kräfte nur äußerst geringe Reichweiten aufweisen – in der Regel weniger als 1 nm – ist es verständlich, dass Verunreinigungen vor dem Verkleben von der Oberfläche entfernt werden müssen. In vielen Fällen, z.B. bei vielen Kunststoffen ist darüber hinaus eine gewisse Modifikation, oft auch als Aktivierung bezeichnete Vorbehandlung, erforderlich.

Jede der vielfältigen Methoden hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Die Auswahl des geeigneten Verfahrens erfolgt u.a. aufgrund

  • des Fügeteilwerkstoffs,
  • des Klebstoffs,
  • der Fügeteil- und Klebnahtgeometrie,
  • der Stückzahl der vorzubehandelnden Teile,
  • der Art und Menge einer eventuell zu entfernenden Verunreinigung,
  • der eventuell gegebenen Notwendigkeit einer Oberflächenmodifikation,
  • der Arbeitssicherheits- und Umweltschutzanforderungen,
  • der Investitions- und Betriebskosten.

Auch der konstruktiven Gestaltung der Klebung kommt eine hohe Bedeutung zu. Sie muss unter Berücksichtigung der durch das Fügeverfahren gegebenen Randbedingungen erfolgen. Es ist darauf zu achten, dass die bei Belastung auftretenden Kräfte als Scher, Schub-, Zug-, Druck- oder Torsionskräfte wirken und Schälbelastungen weitestgehend vermeiden werden. Darüber hinaus ist eine möglichst große Klebfläche vorzusehen. Abbildung 1 zeigt einige prinzipielle Ansätze für eine klebgerechte Gestaltung.

Bei den im linken Bereich der Abbildung 1 gezeigten Konstruktionen ist einmal die für die Klebung zur Verfügung stehende Fläche relativ gering und es besteht die Gefahr von nicht unerheblichen Schälbelastungen. Der rechte Bereich zeigt entsprechende Vorschläge für eine klebgerechte Konstruktion. In [1] findet man weitere Beispiele klebgerechter Konstruktionen.

Natürlich muss bereits bei der Konstruktion auch die Zugänglichkeit für eine ggf. erforderliche Oberflächenbehandlung sowie die Applikation des Klebstoffes berücksichtigt werden. Auch der Fügevorgang selbst muss berücksichtigt werden, so muss z.B. das Fügen ohne ein Abscheren des Klebstoffs möglich sein.

Prozessplanung sichert Qualität

Der Klebprozess hat – genauso wie die bisher genannten Punkte – eine hohe Bedeutung für die Qualität des resultierenden geklebten Produkts. Entsprechend stellt die DIN 2304-1 Anforderungen nicht nur an den direkten Vorgang des Klebens (Oberflächenvorbehandlung, Klebstoffauftrag, Fügen, Härtung) sondern bezieht auch die Infrastruktur (Beschaffung, Transport, Lagerung, Personal Fertigungsbereich) und die gesamten vor- und nachgelagerten Fertigungsschritte mit ein. Ziel ist es, durch das Qualitätsmanagementsystem mit einer Festlegung der Vorgehensweise in Arbeitsanweisungen und von qualitätssichernden Maßnahmen den Prozess so abzusichern, dass am Ende i.O.-Teile gefertigt werden.

Nachweis der Beanspruchbarkeit

Neben der sicherheitsbasierten Einstufung der Klebung und der spezifischen, an das klebtechnische Personal gestellten Anforderungen ist die Nachweisführung ein wesentlicher Bestandteil der DIN 2304-1: Die Klebverbindung ist so zu bemessen, dass ihre Beanspruchung stets kleiner ist als die Beanspruchbarkeit. Hierzu werden vier Möglichkeiten an- geboten:

  • Nachweis, dass die Beanspruchbarkeit größer ist als die Beanspruchung: Hierzu werden zunächst anhand des Anforderungsprofils die Beanspruchungen ermittelt. Dies kann aufgrund von Versuchen, Berechnungen, Standards, Real- daten oder einer Kombination daraus erfolgen. Die Beanspruchbarkeit wird in Versuchen an Probekörpern, in Bauteilversuchen oder am Realteil unter Berücksichtigung der einwirkenden mechanischen, thermischen, medialen und sonstigen Beanspruchungen, deren zeitlich Verlauf und ggf. auftretender Wirkkombinationen ermittelt. Diese Versuche sind mit einer angemessenen Statistik durchzuführen und es ist sicherzustellen, dass Laborergebnisse den unter realen Fertigungsbedingungen erreichbaren Ergebnissen entsprechen.
  • Bauteilprüfung: Die Bauteilprüfung, d.h. Prüfungen am Gesamt- oder einem Teilsystem erfolgt unter Realbedingungen oder unter Bedingungen, die der Realität nachempfunden sind. Die Prüfbedingungen müssen hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Klebverbindung nachweislich eine vergleichbare Wirkung wie auf das Gesamtsystem haben. Bei Prüfungen an Teilsystemen ist eine eventuelle gegenseitige Beeinflussung zwischen Teil- und Gesamtsystem zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass diese das Ergebnis nicht signifikant beeinflussen. Für die Versuchsauswertung ist ein Versagenskriterium inklusive eines Sicherheitsfaktors festzulegen.
  • Dokumentierte Erfahrungen: Grundsätzlich ist auch der Nachweis auf Grund von Erfahrungswerten möglich. Hat sich also eine Klebung nachweislich bewährt und ist eine Übertragung auf die vorliegende Situation in jeglicher Hinsicht gerechtfertigt, so kann die Lösung übernommen werden.
  • Kombinationen der Punkte 1-3: Vielfach wird der Nachweis durch eine Kombination der oben beschriebenen Wege erfolgen. Hierbei ist zu beachten, dass alle Anforderungen in geeigneter Weise bewertet werden und die einzelnen Bestandteile des Nachweises zueinander kompatibel sind.

Prozessvalidierung als letzte Aufgabe

Am Ende steht die Prozessvalidierung, d.h. der Nachweis, dass der konzipierte Prozess in seiner Gesamtheit geeignet ist, das Produkt in der erforderlichen Qualität und Stückzahl gleichbleibend gut herzustellen. Bei Klebungen der Sicherheitsklassen S1 und S2 sind u.a. die einzelnen Schritte der Fertigung vorab zu überprüfen und auch die Schnittstellen zwischen den einzelnen Teilprozessen (Lagerung, Transport, Einfluss von Stillstandszeiten, etc.) zu berücksichtigen. Für S1-Klebungen ist ein Nachweis hinsichtlich der Einhaltung der konstruktiv vorgegebenen Kennwerte, wie Festigkeit oder Verformungsverhalten, z.B. anhand von regelmäßig durchgeführten Prüfungen an Bauteilen oder an Arbeitsproben erforderlich.

Darüber hinaus erfordern Klebungen der Sicherheitsklassen S1 oder S2 eine regelmäßige Wiederholung der Prozessvalidierung.

Ganzheitlicher Standard für Klebungen

Die modernen, am Markt verfügbaren Industrie-Klebstoffe sind hochwertige Qualitätsprodukte, deren Herstellungsverfahren im normgerechten Sinne beherrschte Prozesse sind. Ein – von der Planung bis zum fertigen geklebten Produkt – fachgerechter Einsatz müsste zu einer Null-Fehler-Fertigung führen. Dass dennoch Ausfälle auftreten, die meist auf Anwendungsfehler zurückzuführen sind, unterstreicht die Bedeutung der Qualitätssicherung. Mit der DIN 2304-1 wurde von Experten aus Industrie und Wissenschaft ein ganzheitlicher Standard geschaffen, der die Anforderungen an eine qualitätsgerechte Ausführung von lastübertragenden Klebverbindungen festlegt. Die Norm zeigt, dass dies Prozessschritte, die zeitlich weit vor dem eigentlichen Klebprozess liegen, genauso betrifft wie solche, die zeitlich nachgelagert sind.

Die DIN 6701, die dieser neuen Norm inhaltlich sehr ähnlich ist, regelt seit gut zehn Jahren Klebungen an Schienenfahrzeugen. Erfahrungen mit ihr zeigen, dass sich die Anforderungen mit einem leistbaren finanziellen Aufwand realisieren lassen und sich bereits mittelfristig sowohl technologisch als auch ökonomisch auszahlen.

Kleben fängt also in der Tat vor dem Kleben an und hört danach auch noch nicht auf! (qui)

[1] Delo, Bond It, Nachschlagewerk zur Klebtechnik, DELO Industrie-Klebstoffe, 5. Auflage 2015

* Prof. Dr. Christian Dietrich ist Klebfachingenieur (EAE) Fachgebiet Fertigungstechnik, Kunststofftechnik und Klebtechnik Fakultät Produktionstechnik und Produktionswirtschaft an der Hochschule Ulm und Dr. Hartwig Lohse ist Inhaber der Klebtechnik Dr. Hartwig Lohse e.K. in Breitenberg

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