KI im Engineering Intelligentes Gleichteilemanagement reduziert Konstruktionsaufwand
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Die Suche nach Gleich- und Ähnlichteilen wird bei steigender Produktkomplexität und -variantenzahl immer herausfordernder. Claas arbeitet daher gemeinsam mit dem KI-Marktplatz an einer Wissensdatenbank mit CAD-Modellen für intelligentes Gleichteilemanagement.

Der Landmaschinenhersteller Claas GmbH & Co. KGaA erprobt im KI-Marktplatz einen speziellen Use Case für die Integration von KI in Computer Aided Design. Vor dem Hintergrund der stetig steigenden Produktkomplexität und -variantenzahl bietet die Wiederverwendung von Bauteilen eine wichtige Möglichkeit, um Herstell-, Entwicklungs- und Lagerkosten einzusparen.
Die Suche nach Gleich- und Ähnlichteilen ist jedoch eine große Herausforderung, da diese oft im projektspezifischen Kontext entwickelt worden sind und somit nicht für die Wiederverwendung als Standardteil bedacht wurden. Zudem können Gleichteile oft nicht gefunden werden, da die Stammdaten nicht korrekt gepflegt sind. Hat man „zu viele“ Ähnlichteile gefunden, braucht es heute die menschliche Intelligenz, das heißt auch viel Zeit, um die Suchergebnisse auf das nutzbare Maß zu reduzieren.
Gleichteile identifizieren
Ziel des Pilotprojekts mit dem KI-Marktplatz ist es daher, ein intelligentes Gleichteilemanagement zu entwickeln und es prototypisch umzusetzen. Dafür werden CAD-Modelle zunächst auf ihre Geometrie, später auch auf ihre Funktion hin untersucht und danach klassifiziert. Fehlende Stammdaten beziehungsweise weitere Meta-Daten werden ebenfalls ergänzt, sodass eine Wissensdatenbank zu den Modellen entsteht. Dank dieser Daten ist es möglich, KI-Verfahren wie das Case Based Reasoning (CBR) zu verwenden, um Gleichteile basierend auf Geometrie und im Hinblick auf ihrer Funktionalität zu identifizieren.
Das CBR-Verfahren besteht aus vier Schritten:
- Im ersten Schritt „Abrufen“ wird nach ähnlichen Geometriedaten gesucht, um potenzielle Kandidaten für eine Lösung zu identifizieren. Anhand der Geometrie werden ähnliche Bauteile identifiziert.
- Im zweiten Schritt „Wiederverwenden“ werden vorhandene Datensätze verwendet, um Duplikate zu vermeiden und die Identifizierung zu vereinfachen.
- Im dritten Schritt „Überarbeiten“ wird die neue Lösung an den spezifischen Anwendungsfall angepasst oder, falls gewünscht, eine Variante oder Erweiterung auf Basis bestehender Lösungen erstellt.
- Im letzten Schritt „Beibehalten“ wird die neue Lösung für zukünftige Projekte gespeichert.
„Interessant ist, wie die Ähnlichkeit der Bauteile anhand ihrer Geometrie bewertet wird“, sagt Fabian Hanke, Fraunhofer IEM. „Dazu wird für jedes Modell ein Histogramm abgeleitet, das als geometrischer Fingerabdruck des Produktes dient. Um dieses Histogramm zu erzeugen, werden zufällig Punktepaare auf der Modelloberfläche ausgewählt und deren Abstand berechnet. Dieser Vorgang wird für 1024² Paare durchgeführt. Die resultierende Längenverteilung kann in Form von Histogrammen dargestellt werden. Mit verschiedenen Vergleichsalgorithmen wird dann die Ähnlichkeit zwischen den bauteilspezifischen Histogrammen bestimmt und damit eine Aussage über die Ähnlichkeit der Produkte getroffen.“
Mithilfe des CBR-Verfahrens kann Claas außerdem Feedback zu den Bauteilen einfließen lassen und dadurch Wissen über deren Wiederverwendung, Anpassung oder Ablehnung im Produktionsprozess sammeln. Dieses Wissen kann wiederum dabei helfen, die Leistungsfähigkeit von Werkzeugen zu verbessern.
Herausforderungen: große Datenmengen beherrschen
Das Pilotprojekt adressiert Herausforderungen in der Produktentwicklung wie die zunehmende Komplexität mechatronischer Systeme, den Einsatz digitaler Werkzeuge für das Datenmanagement, die Verarbeitung von Geometriedaten und die Notwendigkeit kürzerer Entwicklungszyklen. Die Digitalisierung der Entwicklung und des Unternehmens ist eine zentrale Herausforderung, bietet aber auch neue Möglichkeiten durch datengetriebene Entwicklung und intelligente Assistenten. Gleichteile sind Teile mit gleicher Funktionalität, die in verschiedenen Produkten wiederverwendet werden können. Ähnliche Teile haben eine ähnliche, aber nicht identische Geometrie.
„Die zentrale Herausforderung ist die große Datenmenge, die von Menschen allein nicht bewältigt werden kann. Es werden digitale Werkzeuge benötigt, um solche Informationsmengen effektiv zu handhaben“, erklärt Hanke. Dabei gehe es nicht in erster Linie darum, den Verlust von Know-how zu verhindern, sondern darum, Einblicke in die Daten zu ermöglichen, um Wissen zugänglich zu machen. Gleichzeitig entstehe Potenzial für Automatisierung, mit dem dem Fachkräftemangel begegnet werden kann, wenngleich dieser nur ein indirekter Beweggrund für das Projekt sei.
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Ziel des Ansatzes ist die Bewertung der Produkte. Auf Basis dieser Bewertung soll es möglich sein, das Komponentenportfolio des Unternehmens zu reduzieren und den Einsatz besonders vielseitiger Komponenten zu fördern. Obwohl dieser Ansatz vielversprechend erscheint, wird er derzeit nicht weiter verfolgt. Auf diese Weise will Claas die Ähnlichteilsuche verbessern, um mittelfristig die Teileanzahl in der Bestandsdatenbank zu reduzieren bzw. beherrschbar zu halten. „Dazu können dem Entwickler beispielsweise schon während der Konstruktion potenzielle Gleichteile oder Evolutionsstufen vorgeschlagen werden, was den Konstruktionsaufwand verringert“, so Hanke.
Die Entwicklung dieser Anwendung stellt für Hanke einen großen Fortschritt in der Möglichkeit der Bewertung von Bauteilen bei Claas dar. Bis zu diesem Projekt war es nur möglich, potenziell ähnliche Bauteile anhand ihrer Metadaten zu identifizieren, woraufhin der Anwender die Dateien öffnen und eine subjektive Bewertung anhand ihrer Ähnlichkeit vornehmen musste. „Mit der neuen Anwendung ist es nun erstmals möglich, CAD-Modelle anhand ihrer Geometrie zu ergänzen und zu bewerten“, sagt Hanke.
Wie ist der aktuelle Stand?
Das Projekt befindet sich im letzten Halbjahr seiner dreieinhalbjährigen Laufzeit und liegt im Zeitplan. Die meisten der zu Beginn definierten Ziele und Inhalte wurden bereits erreicht. Die Entwicklung folgt dem CRISP-DM-Prozess, in dem zu Beginn die relevanten Geschäftsfelder und die verfügbaren Daten analysiert wurden, um ein Grundverständnis zu schaffen. Geeignete Lösungsansätze wurden erarbeitet, die Daten aufbereitet und für die weitere Verarbeitung vorbereitet. Die Lösungsansätze wurden in eine übergeordnete Anwendung integriert, evaluiert und implementiert. Es handelt sich um einen iterativen Prozess, bei dem derzeit die letzten Schritte der Implementierung, Evaluierung und des Deployments wiederholt werden, um den gewünschten Reifegrad der Anwendung zu erreichen. Die KI-Lösung aus dem Projekt wird schließlich in generischer Form auch anderen Anwendern auf dem KI-Marktplatz zur Verfügung gestellt.
Info
Über den KI-Marktplatz
Das Claas-Pilotprojekt ist eines von insgesamt sechs Pilotprojekten, die im Rahmen des Gesamtprojekts KI-Marktplatz durchgeführt werden. Im Projekt KI-Marktplatz geht es darum, KI-Anwender und KI-Anbieter aus dem verarbeiteten Gewerbe zusammenzubringen. Dazu wurde eine digitale Plattform geschaffen, die es ermöglicht, Anwenderprobleme seitens der Industrie zu formulieren und mittels eines intelligenten Matchmakings geeignete KI-Anbieter zu identifizieren. Der KI-Marktplatz schafft ein Ökosystem, um beide Seiten zusammenzubringen. Davon sollen alle Beteiligten profitieren: KI-Anwender werden dabei unterstützt, ihre Potenziale für den Einsatz von KI-Lösungen zu identifizieren und ihre Anforderungen an diese Lösungen zu spezifizieren. Gleichzeitig wird für KI-Anbieter die Möglichkeit geschaffen, ihre Produkte zu bewerben und auf einen Pool potenzieller Käufer zuzugreifen. Das Projekt wird derzeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Gleichzeitig befindet sich der KI-Marktplatz in der Ausgründungsphase, um über die Projektlaufzeit hinaus das Ziel zu verfolgen, die Anlaufstelle für KI in der Produktentstehung zu sein. Neben den bereits genannten Partnern verfügt der KI-Marktplatz über verschiedene Konsortial- und assoziierte Partner. Dabei wird sowohl
- auf die Expertise der KI-Anbieter Exzellenzcluster Cognitive Interaction Technology Citec, Institut für industrielle Informationstechnik und Ubermetrics als auch
- auf die Exzellenz der KI-Anwender Claas, Diebold Nixdorf, Düspohl Maschinenbau, Hella Gutmann und Westaflex gesetzt
- Den Kern der Plattform bilden Contact Software, die Fraunhofer-Institute IEM, IOSB-INA und IPK, die Fiware Foundation, das Heinz Nixdorf Institut, die International Data Spaces Association, Prostep Ivip e.V. und die Unity AG.
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