Schraubenverbindung Die Bedeutung der Reibung in Schraubenverbindungen

Autor / Redakteur: Prof. Dr.-Ing. Willfried Lori* / Juliana Schulze

Der Ingenieur hat ständig mit Reibung zu tun – bewusst und unbewusst. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass die Bedeutung der Reibung falsch eingeschätzt wird. Beim drehmomentgesteuerten Anziehen kann dies fatale Folgen haben. Der Zusammenhang zwischen Anziehmoment und der Zielgröße Montagevorspannkraft ist wesentlich von der Reibung abhängig.

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In der Schraubenverbindung ist eine Reibung unvermeidbar und kann zum Fluch oder Segen werden. Schließlich entstehen durch Reibung und Verschleiß jährlich Verluste in Höhe von etwa 5 Prozent des Bruttosozialproduktes. Doch was ist Reibung und wie wirkt sie sich aus?

Vorgespannte Schraubenverbindung braucht Reibung

Reibung ist der Widerstand gegen eine gewollte oder ungewollte Relativbewegung zweier in Kontakt befindlicher Körper. Die Reibungszahl (µ) ist ein Maß für die Größe der Reibung. Gemäß dem Coulomb’schen Gesetz ergibt sich die Reibungszahl aus dem Verhältnis der zur Erzeugung oder Aufrechterhaltung einer Relativbewegung erforderlichen Reibkraft zur senkrecht auf die Kontaktflächen wirkenden Normalkraft.

Das Grundprinzip der Befestigungsschraube beruht neben dem Formschluss auf der Selbsthemmung des Gewindes. Diese Selbsthemmung ist vergleichbar mit dem Verhalten eines Körpers auf einer schiefen Ebene. Dazu wird Reibung benötigt. Um die Montagevorspannkraft in der Verbindung aufrechterhalten zu können muss der Steigungswinkel des Gewindes kleiner sein als der Reibungswinkel. Der Reibungswinkel ist um den Flankenwinkel des Gewindes (metrisch: 60°) zu korrigieren, so dass mit der Reibungszahl im Gewindekontakt gilt:

(Archiv: Vogel Business Media)

Ohne Reibung wäre also keine vorgespannte Schraubenverbindung möglich. Die Gewindereibung und die Reibung unter dem Schraubenkopf müssen während des Anziehens einer Verbindung überwunden werden. Vom Anziehdrehmoment wird nur ein kleiner Teil in die Montagevorspannkraft umgesetzt, denn der größte Anteil wird für das Überwinden der Reibung gebraucht. So sind es bei einer Reibungszahl von 0,08 unter dem Schraubenkopf und im Gewindekontakt bereits 80 Prozent, die für die Reibung benötigt werden. Daher sollte die unter dem Aspekt des Montageaufwands störende Reibung möglichst klein sein.

Teil 2: Warum die Größe der Montagevorspannkraft entscheidend ist

Größe der Montagevorspannkraft ist entscheidend

Die Gewindereibung bewirkt, neben der Gewindesteigung, eine Torsionsspannung und damit dass nicht die gesamte Festigkeit der Schraube für die Montagevorspannkraft genutzt werden kann. Die Reibung hat also einen bedeutenden Einfluss auf die Montagvorspannkraft. Wird beispielsweise bei konstanter Ausnutzung der Schraubenfestigkeit die Gewindereibungszahl von 0,10 auf 0,16 erhöht, so verringert sich die Montagevorspannkraft um etwa 8 Prozent. Wird jedoch das Anziehdrehmoment beibehalten, so ändert sich die Montagevorspannkraft erheblich. Wenn beispielsweise die Unterkopfreibungszahl 0,16 statt 0,10 beträgt und die Gewindereibung unverändert bei 0,10 liegt, verringert sich die Montagevorspannkraft um 22 Prozent.

Unvermeidliche Streuung der Reibungszahlen ist zu beachten

Zu beachten ist weiterhin, dass jede einzelne Schraubenverbindung eine spezifische Montagevorspannkraft aufweist, auch wenn ein Fertigungslos gleicher Schraubenverbindungen exakt gleich angezogen wird. Hauptursache hierfür ist die unvermeidliche Streuung der Reibungszahlen im Gewinde und unter dem Schraubenkopf , hinzu kommen Verfahrens- und Werkzeugstreuungen oder Maß- und Geometrieabweichungen. Im Anziehfaktor werden die Streuungen zusammengefasst. Der Anziehfaktor berechnet sich aus den Grenzwert-Verhältnissen der Montagevorspannkräfte:

(Archiv: Vogel Business Media)

Beim drehmomentgesteuertem Anziehen liegt dieser Anziehfaktor in der Regel im Bereich von 1,6 bis 2. Wenn es allerdings gelingt, die störende Reibungsstreuung klein zu halten, kann die maximale Montagevorspannkraft der Verbindung reduziert werden. Damit ist eine kleinere Nenngröße oder eine verringerte Schraubenanzahl möglich. Für das Berechnen des notwendigen Anziehdrehmoments werden immer die minimalen Reibungszahlen eingesetzt.

(Archiv: Vogel Business Media)

Wird der mittlere Wert der Reibungszahlen verwendet, ist dies grundsätzlich falsch und kann fatale Folgen für die Verbindung haben.

Gerade Größe und Streuung der Reibungszahlen stellen häufig ein großes Problem bei der rechnerischen Auslegung dar. Entweder werden Erfahrungswerte oder sehr niedrige Sicherheitswerte verwendet, gegebenenfalls ist eine experimentelle Ermittlung nach ISO 16047 erforderlich. Laut VDI 2230 wird ein Reibungszahlbereich von 0,08...0,16 empfohlen. Grundsätzlich sind Schraubenverbindungen zu schmieren um Größe und Streuung der Reibungszahlen zu minimieren.

Eine große Fugenreibung reduziert die Vorspannkräfte

Anders sieht es bei quer belasteten Verbindungen aus. Hier müssen die Querkräfte kraftschlüssig über die Reibung in der Kontaktfuge abgefangen werden. Eine große Reibung reduziert die erforderlichen Vorspannkräfte und ist in diesem Fall von Vorteil. In der Regel kann mit der größeren Haftreibung gerechnet werden, bei dynamischen Lasten empfiehlt sich die Gleitreibungszahl zu verwenden. Oft ist die genaue Größe der Reibungszahl nicht bekannt. Deshalb ist es in kritischen Fällen unerlässlich, die minimale Reibungszahl experimentell an Originalbauteilen und –kontaktflächen zu ermitteln.

Die Reibung zeigt bei Schraubenverbindungen einen Doppelcharakter: Sie ist einerseits notwendig, um die Funktion zu erfüllen, andererseits erschwert sie das Ausnutzen der Tragfähigkeit, das Auslegen und die Montage. Deshalb sollten möglichst niedrige und reproduzierbare Reibungszahlen bei geringer Streuung realisiert werden.

*Prof. Dr.-Ing. Willfried Lori ist in der Fakultät Automobil- und Maschinenbau an der Westsächsischen Hochschule Zwickau tätig

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