Stahl Der steinige Weg zum CO2-freien Stahl

Von Juliana Pfeiffer |

Die Stahlbranche steht für 30 Prozent der Industrieemissionen in Deutschland. Um die Klimaziele zu erreichen, wollen viele Stahlhersteller ihre Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen ersetzen. Bis zum Ziel einer CO2- freien Stahlerzeugung sind noch weitere Hürden zu nehmen.

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Die konventionelle Stahlherstellung steht vor einer historischen Transformation. Das Ziel CO2-freie Stahlerzeugung –Salzgitter AG will das Ziel bis 2033 erreicht haben.
Die konventionelle Stahlherstellung steht vor einer historischen Transformation. Das Ziel CO2-freie Stahlerzeugung –Salzgitter AG will das Ziel bis 2033 erreicht haben.
(Bild: Salzgitter AG)

Auf dem Weg zur klimaneutralen Stahlerzeugung wollen deutsche Stahlhersteller bis 2045 den Stahl klimaneutral zu produzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der konventionelle Hochofenprozess durch neue Verfahren abgelöst werden.

Bisher wird im Hochofen aus Eisenerz Roheisen hergestellt. Dafür wird Kohle als Energieträger genutzt. Mit der Kohle wird den Eisenerzen unter hohen Temperaturen der Sauerstoff entzogen. Dabei entsteht CO2. Die Kohle liefert zudem die Wärmeenergie, um das Roheisen zu verflüssigen. Das flüssige Roheisen wird anschließend im Stahlwerk zu Stahl verarbeitet. Im Hochofen entstehen so aktuell 85 Prozent der CO2-Emissionen des gesamten Stahlerzeugungsprozesses. Als Alternative gilt Wasserstoff, mit dessen Hilfe die Stahlindustrie dekarbonisiert werden kann, um die Klimaziele zu erreichen.

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Transformation zur Dekarbonisierung hat bereits begonnen

Nach und nach sollen die Hochöfen in den Stahlwerken ersetzt werden: durch Direktreduktionsanlagen (DR-Anlagen) und mit Einschmelzaggregaten. Statt der Kohle soll dann Wasserstoff und übergangsweise Erdgas eingesetzt. Hier entsteht kein flüssiges Roheisen mehr, sondern ein fester Eisenschwamm. Dieser wird in einem sogenannten Elektrolichtbogenofen zu Rohstahl erschmolzen. Während der Reduktion der Eisenerze entsteht dann Wasserdampf statt CO2. Diese Transformation soll bis 2045 abgeschlossen sein. Die Stahlhersteller wollen aber nicht so lange warten, bis alle ihre Anlagen auf diese Technologie umgestellt sind. Sie handelt bereits jetzt.

So wollen wir bereits Ende 2025 mehr als eine Million Tonnen CO2-armen Stahl pro Jahr auf der Basis der Direktreduktionstechnologie produzieren.

Olaf Reinecke, stellvertretender Pressesprecher der Salzgitter AG

So hat die Salzgitter AG mit der neuen Konzern-Strategie „Salzgitter AG 2030“ das Dekarbonisierungsprogramm Salcos-Salzgitter-Low-CO2-Steelmaking deutlich beschleunigt. „So wollen wir bereits Ende 2025 mehr als eine Million Tonnen CO2-armen Stahl pro Jahr auf der Basis der Direktreduktionstechnologie produzieren“, beschreibt Olaf Reinecke, stellvertretender Pressesprecher der Salzgitter AG, den Weg. Die Produktion des CO2-armen Stahls solle zunächst überwiegend erdgasbasiert und dann mit steigendem Anteil mit 100 Prozent grünem Wasserstoff geschehen.

Mit der Umstellung auf die Direktreduktions-Technologie wird Tata Steel seine CO2-Emissionen in IJmuiden um mehr als 30 Prozent senken.

Auch Tata Steel ist sich der Herausforderung bewusst, die die Ziele der Europäischen Union in Bezug auf das Ausmaß und das Tempo der erforderlichen Dekarbonisierung darstellen. An seinem Standort IJmuiden werde Tata Steel deshalb spätestens 2030 grünen Stahl in einer sauberen Umgebung herstellen – 10 Jahre früher, als ursprünglich erwartet. „Mit der Umstellung auf die Direktreduktions-Technologie wird Tata Steel seine CO2-Emissionen in IJmuiden um mehr als 30 Prozent senken“, betont das Unternehmen auf Nachfrage.

Voestalpine will CO2-Emission um 30 % senken

Der österreichischer Stahl- und Technologiekonzern Voestalpine hat mit Voestalpine greentec steel einen ambitionierten Plan zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion entwickelt. Mit der Hybridtechnologie plane der Konzern ab 2027 den schrittweisen Umstieg von der kohlebasierten Hochofen- auf eine grünstrombasierte Elektrostahlroute. Dabei zählen neben Schrott auch flüssiges Roheisen und Eisenschwamm zu den wichtigsten Vormaterialien für die zukünftige CO2-neutrale Herstellung hochqualitativen Stahls. Die CO2-Emission könne durch diese Hybridtechnologie um rund 30 Prozent gesenkt werden.

720.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr macht politische Rahmenbedingungen nötig

Um die UN-Klimaziele zu erreichen, ist der Umstieg auf grünen Wasserstoff in der Stahlproduktion langfristig essenziell. Das Besondere an grünem Wasserstoff ist, dass er in einem Prozess entsteht, der Quellen aus 100-prozentig erneuerbarer Energien nutzt. Das Problem: Aktuell reichen die verfügbaren Mengen erneuerbarer Energie noch nicht aus, um den konstant steigenden Wasserstoffbedarf aller Industrien zu decken. Allein das Thyssenkrupp Steel Stahlwerk in Duisburg wird nach eigenen Angaben langfristig rund 720.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr benötigen. Das sind ganze 247 Millionen mit Wasserstoff gefüllte Lkw im Jahr.

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Somit müssen erst die politischen Rahmenbedingungen für milliardenschwere Investitionen geschaffen werden. „2022 wird entscheiden, wie groß oder wie klein die europäische Stahlindustrie in Zukunft sein wird“, warnte bereits Geert van Poelvoorde, CEO von Acelor Mittal Europe. Das es ein politisches Gesamtkonzept brauche, das Klima, Energie und Wirtschaft zusammenbringt und damit ein klares politisches Bekenntnis zu einer wettbewerbsfähigen Stahlindustrie, um die Klimaneutralität zu erreichen, darin sind sich die großen Stahlriesen einig. „Grundvoraussetzung für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion ist, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen in ausreichender Menge und zu wirtschaftlichen darstellbaren Preisen und leistungsfähige Netze zur Verfügung stehen“, heißt es von Seiten der Voestalpine AG.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die EU einen Rechtsrahmen schafft, der es der Stahlindustrie ermöglicht, auf einem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Auch die Salzgitter AG wirbt für eine Integration der echten CO2-Kosten in die Produktpreise bei gleichzeitig wirksamem Carbon-Leakage-Schutz. „Das hat die EU-Kommission mit Fit for 55 bereits aufgegriffen, aber es besteht dort noch Nachbesserungsbedarf“, erklärt Reinecke. Demnach müsse das neue Instrument CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) seine Wirksamkeit erst unter Beweis stellen. Bis dahin sei es entscheidend, für neue Technologien eine Zuteilung von Zertifikaten im europäischen Emissionshandelssystem EU-ETS in Höhe der Hochofenroute zu bekommen, ohne dass diese insgesamt drastisch abgeschmolzen werde.

Konkrete Forderungen an die Politik stellt auch Tata Steel: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die EU einen Rechtsrahmen schafft, der es der Stahlindustrie ermöglicht, auf einem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Laut Tata Steel brauche es:

  • 1. Eine schnellere und vorhersehbarere Finanzierung von Dekarbonisierungsprojekten – etwa durch den Innovationsfonds und die Leitlinien für Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfen: Verträge über Kohlenstoffdifferenzen sollten schnell eingerichtet werden.
  • 2. Zugang zu kohlenstoffarmer Energieinfrastruktur und erschwinglichen Energiepreisen: Wasserstoff sollte schwerpunktmäßig in Prozessindustrien wie der Stahlindustrie zum Einsatz kommen, wo er bereits die Ziele für 2030 erreichen kann und wo er effizient genutzt wird.
  • 3. Zugang zu Stahlschrott: Die EU exportiert jedes Jahr Millionen von Tonnen Stahlschrott in Drittländer, die keine vergleichbaren Umweltstandards oder Klimaziele einhalten.
  • 4. Ein vorsichtigerer Ausstieg aus der kostenlosen Zuteilung und ein Ausgleich der indirekten Kosten, um die Verlagerung von CO2-Emissionen und die Verlagerung der Produktion in Länder außerhalb der EU zu vermeiden.

Grüner Stahl noch immer teurer als konventionell hergestellter Stahl

Ein weiteres Problem bei der Umstellung auf grünen Wasserstoff ist, dass grüner Stahl teurer ist als konventionell hergestellter Stahl. Damit die deutsche Stahlindustrie wettbewerbsfähig bleibt, darf laut einer Studie des Landes Baden-Württembergs eine Tonne des Gases maximal 2.000 Euro kosten. Bislang kostet grüner Wasserstoff, der mit Offshore-Windenergie betriebener Elektrolyse gewonnen wird, pro Tonne noch bis zu 6.000 Euro. Demnach würden sich für die Stahlhersteller auch die Produktionskosten und damit die Kosten für Stahl an sich stark steigen. Für Tata Steel steht fest: „Stahl ist bereits das Material der Wahl für ein Produkt mit geringem CO2-Fußabdruck für den Automobilsektor, und Stahl bietet das Potenzial für eine schnellere und insgesamt kostengünstigere Reduzierung des CO2-Fußabdrucks als konkurrierende Materialien.“ Letztendlich sei die Dekarbonisierung für den kollektiven Nutzen dringend notwendig. „Wir glauben, dass die Verbraucher bereit sind, zu einer besseren und sicheren Welt beizutragen“, sagt das Unternehmen. Ähnlich sieht es auch Voestalpine: „Stahl ist ein nachhaltiges Produkt, er ist ohne Qualitätsverlust wiederverwertbar und langlebig.“ Dass eine Umstellung der Produktionsverfahren auf nachhaltige Prozesse erfolgen müsse, stehe mittlerweile außer Diskussion.

Geld für Transformation mit den Bestandsanlagen verdienen

Bei der Salzgitter AG hingegen werde aufgrund der Ende 2025 noch nicht verfügbaren grünen Wasserstoffmengen in der Direktreduktionsanlage mit einem recht hohen Erdgasanteil begonnen und dann sukzessive der Wasserstoffanteil erhöht. „Um die Mehrkosten in diesem Szenario stemmen zu können, gehen wir zweigleisig vor“, beschreibt Reinecke die Strategie. Einerseits setze das Unternehmen auf die Etablierung grüner Leitmärkte, die bereit sind, diese Belastung mitzutragen. „Andererseits werben wir für eine Integration der echten CO2-Kosten in die Produktpreise bei gleichzeitig wirksamen Carbon-Leakage-Schutz“, sagt Reinecke. Es müsse demnach die Möglichkeit bestehen, das Geld für die anstehende Transformation mit den Bestandsanlagen zu verdienen, so der Experte weiter. „Wenn diese beiden Dinge gelingen, sehen wir der Wettbewerbsfähigkeit gelassen entgegen“, erklärt Reinecke.

Blauer Wasserstoff als Alternative?

Bevor die Energiewende geschafft ist und ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist, ist mittelfristig der blaue Wasserstoff eine Alternative, um die CO2-Emissionen zu vermeiden. Der blaue Wasserstoff wird wie der graue Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen hergestellt – genauer: Erdgas. Allerdings wird beim blauen Wasserstoff das erzeugte CO2 abgefangen, gespeichert oder genutzt. Daher kann blauer Wasserstoff mittelfristig ein erster Hebel sein, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Aufgrund der negativen Umweltbilanz von fossilen Brennstoffen ist der blaue Wasserstoff keine langfristige Lösung für eine grünere Industrie.

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