Mikrofluidik Bremssysteme: Feinarbeit für robuste Verzögerung

Autor / Redakteur: Hartmut Hammer / Sven Prawitz

Hydraulische Bremssysteme und Mikrofluidik scheinen wenige Berührungspunkte zu haben. Es erfordert jedoch eine präzise Regelung und viel Know-how über das Fluid.

Anbieter zum Thema

Die MK C1 für hochautomatisiertes Fahren verfügt, durch die Kombination mit der MK 100-basierten Hydraulic Brake Extension, über eine redundante Rückfallebene.
Die MK C1 für hochautomatisiertes Fahren verfügt, durch die Kombination mit der MK 100-basierten Hydraulic Brake Extension, über eine redundante Rückfallebene.
(Bild: Continental)

Das Bremssystem MK-C1 von Continental ging im Jahr 2016 bei der Alfa Romeo Giulia erstmals in Serie. Es ist ein sogenanntes Brake-by-Wire-System ohne permanent durchgängige hydraulische Verbindung zwischen Bremspedal und eigentlicher Radbremse. Vielmehr wird der Bremswunsch des Fahrers in ein elektronisches Signal umgewandelt. Mit dem wirkt ein elektrisch kommutierter Elektromotor auf einen Druckzylinder und baut so den erforderlichen hydraulischen Druck im System auf.

Eine für hochautomatisiertes Fahren erforderliche Redundanz stellt die „MK 100 Hydraulic Brake Extension“ (HBE) bereit. Dieses Add-On-System sorgt dafür, dass bei einem Teil- oder Komplettausfall der MK-C1 an den Vorderrädern oder allen vier Rädern zumindest noch die Basis-Brems- und die ABS-Funktion zur Verfügung stehen. Eine weitere Sicherung kann mithilfe der elektromechanischen Feststellbremse erzielt werden. Sollte die hydraulische Bremswirkung an der Hinterachse ausfallen, kann die Systemsteuerung durch Aktivierung der Feststellbremse an den Hinterrädern Verzögerung aufbauen.

Wissen ist Wettbewerbsvorteil! Bleiben Sie auf dem Laufenden: Mit unserem Newsletter informiert Sie die Redaktion der konstruktionspraxis immer Dienstag und Freitag zu Themen, News und Trends aus der Branche.
Jetzt abonnieren!

Kleinstmengen feinfühlig eingesetzt

Wird über die Zweikolbenpumpe der MK 100 HBE hydraulischer Druck aufgebaut, muss dieser in das primäre Bremssystem MK-C1 und durch Kanäle und Regelventile direkt an die Bremssättel eingespeist werden. Continental steuert die Regelventile dabei so variabel an, dass selbst kleinste Durchflussmengen bei allen Temperaturen, in den vorgegebenen Zeitspannen und für die geforderte Funktion (etwa Vollbremsung oder ABS-Regelung) gewährleistet sind. Bei einer Vollbremsung beträgt pro Rad die Durchflussmenge am Ventil etwa 2,5 ml, für alle vier Bremsen in Summe 8 ml – 10 ml.

Für ABS-Funktionen müssen die Regelventile hingegen Durchflussmengen von lediglich 0,3 ml innerhalb von wenigen Millisekunden präzise und zuverlässig bereitstellen. Continental setzt dafür auf eine analoge Regeltechnik mit stufenloser Anpassung des Ventilhubs an die gewünschte Durchflussmenge. Eine digitale Regelstrategie (zu/voll geöffnet) würde Komfort- und Performanceeinbußen bedeuten.

Verzögerung bei teil- oder vollelektrifizierten Fahrzeugen

Ebenso diffizil gestaltet sich die Verzögerung bei teil- oder vollelektrifizierten Fahrzeugen. Bei diesen wandeln die elektrischen Antriebsmotoren im Generatorbetrieb einen möglichst großen Anteil der Bewegungsenergie in elektrische Energie um, die dann in die Traktionsbatterie eingespeist wird. Da die Elektromotoren bei starkem Verzögerungswunsch nicht die gesamte Bewegungsenergie umwandeln können, muss das Bremssystem „on top“ die restliche Verzögerungsarbeit übernehmen. Für diese hochdynamische Aufgabe hat Continental die Ventile und Verbindungsleitungen des Bremssystem MK-C1 so ausgelegt, dass sehr kleine Volumenverschiebungen und eine quasi analoge Regelung der Bremsdrücke möglich sind. Beispielsweise sind die internen Verbindungen und Verschaltungen zwischen dem Bremsdruckerzeuger (einem bürstenlosen Gleichstrommotor mit Getriebe und Druckkolben) und den Ventilen bis zu den hydraulischen Anschlussleitungen über viele Bohrungen in einem Aluminiumblock realisiert.

Dieses System mag zwar nicht ganz der Definition von „Mikrofluidik“ entsprechen. In Verbindung mit den technischen Eigenschaften unterschiedlicher Bremsflüssigkeiten und der großen Temperaturabhängigkeit der Viskosität, spielen aber hier die Kapillarwirkung und der Einfluss der variablen Strömungswiderstände eine große Rolle. Gleichzeitig müssen die Leistung der Pumpe und die Leitungs- und Ventilquerschnitte so großzügig gewählt werden, dass ausreichend Verzögerungsleistung entwickelt wird.

Continental hat mit einer analogen Ansteuerung der Ventile die Modulation der Drücke so optimiert, dass die zusätzliche Bremswirkung „weich“ einsetzt und der Fahrer die addierte Bremswirkung von elektrischen Generator und hydraulischem Bremssystem praktisch nicht mehr fühlt.

(ID:45773165)