Forschung Arbeit im Großraumbüro führt zu körperlichem Stress

Redakteur: Katharina Juschkat

Erstmals haben Forscher der ETH Zürich nachgewiesen: Ständige Unterbrechung auf der Arbeit führt zu mehr Stress – das wird aber nicht immer so empfunden.

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Arbeit im Großraumbüro kann nachweislich zu mehr körperlichem Stress am Arbeitsplatz führen.
Arbeit im Großraumbüro kann nachweislich zu mehr körperlichem Stress am Arbeitsplatz führen.
(Bild: ©Krakenimages.com - stock.adobe.com)

Großraumbüros sind wieder in Mode. Sie mögen schick aussehen – aber wie gut arbeitet es sich dort? Die Kollegen reden zu laut, die Telefone klingeln, die Kaffeemaschine röchelt und Handys piepsen. Forscher der ETH Zürich haben jetzt nachgewiesen, was oft schon vermutet wurde: Großraumbüros verursachen Stress.

Hinter dem Projekt steht die Psychologin Jasmine Kerr, die Mathematikerin Mara Nägelin und der Computerwissenschaftler Raphael Weibel. Ihre Ergebnisse haben sie kürzlich in der Fachzeitschrift Psychoneuroendocrinology veröffentlicht.

Das Experiment Großraumbüro

Um Stress in Großraumbüros nachzuweisen, haben die drei Wissenschaftler ihr Labor in drei Großraumbüros verwandelt. An jedem Arbeitsplatz stand ein Stuhl, ein Computer mit Bildschirm und Zubehör für die Entnahme von Speichelproben.

Die Teilnehmer mussten während des zweistündigen Experiments als Angestellten einer imaginären Versicherung typische Büroarbeiten verrichten, beispielsweise handschriftliche Formulare abtippen und Termine mit Kunden vereinbaren.

Die Forscher interessierten sich für ihre psychobiologischen Reaktionen während des Experiments. An insgesamt sechs Zeitpunkten gaben die Studienteilnehmenden auf Fragebögen an, wie gut oder schlecht gelaunt sie gerade waren. Ein mobiles EKG-​Gerät maß durchgehend ihren Herzschlag. Und im Speichel bestimmten die Forschenden die Konzentration des Stresshormons Kortisol.

Häufige Arbeitsunterbrechungen und sozialer Druck

Für ihr Experiment teilten die Forschenden die Teilnehmenden in drei Gruppen ein, die unterschiedlichem Stress ausgesetzt waren. Alle Gruppen hatten die gleiche Arbeit zu verrichten und wurden in der Mitte des Versuchs von zwei Schauspielern besucht, die Mitarbeiter der Personalabteilung darstellten. Die Kontrollgruppe bekam einen Verkaufsdialog vorgelesen. Die beiden Stressgruppen aber bekamen den Hinweis, dass unter den Teilnehmern der geeignetste Kandidat für eine Beförderung gesucht wird.

Die zwei Stressgruppen unterschieden sich auch: Die erste musste ihre Arbeit nur jeweils für die Speichelentnahmen auf die Seite legen. Die Teilnehmenden der zweiten Stressgruppe mussten zusätzliche Arbeitsunterbrechungen in Kauf nehmen, wenn sie Chatnachrichten ihrer Vorgesetzten erhielten, in denen diese dringenden Auskünfte verlangten.

Unterbrechungen führen zu körperlichem Stress

Die Auswertung der Daten zeigte, dass auch eine Konkurrenzsituation um eine frei erfundene Beförderung ausreicht, um den Herzschlag in die Höhe zu treiben und das Stresshormon Kortisol freizusetzen.

Was interessant ist: Die Teilnehmer der zweiten Stressgruppe schütteten fast doppelt so viel Kortisol aus wie diejenigen der ersten Stressgruppe. Die ständigen Unterbrechungen führten also zu messbar größerem Stress.

Psychologischer Stress bleibt gleich

Überrascht waren die Forschenden von dem subjektiv wahrgenommenen, also dem psychologischen Stress. Sie stellten fest,  dass sich die Teilnehmenden der zweiten Stressgruppe mit Chat-​Unterbrechungen als ruhiger und besser gelaunt einschätzten als die Teilnehmenden der ersten Stressgruppe ohne Chat-​Unterbrechungen. Interessanterweise bewerteten sie die Situation zwar als gleich herausfordernd, aber weniger bedrohlich als die erste Stressgruppe.

Die Forschenden vermuten, dass die zusätzlichen Arbeitsunterbrechungen über die Kortisolfreisetzung mehr körperliche Ressourcen mobilisierten und dass dadurch die emotionale und kognitive Stressbewältigung unterstützt wurde. Zudem ist es möglich, dass die Arbeitsunterbrechungen die Teilnehmenden von der bevorstehenden sozialen Stresssituation ablenkten, wodurch sie weniger Bedrohung und folglich weniger Stress empfanden

Hintergrund: Frühwarnsystem für den Büroalltag

Arbeitsunterbrechungen wurden bisher fast nur hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Leistung und Produktivität untersucht. Die Studie der Schweizer Forscher zeigt erstmals, dass sich Unterbrechungen auch auf die Menge des freigesetzten Kortisols und damit auf die biologische Stressreaktion auswirken.

Die Ergebnisse sind die ersten Schritte zu einem digitalen Frühwarnsystem, das im Büroalltag mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens in Echtzeit Stress erkennen soll. Im ersten Schritt wollten die Forscher jetzt herausfinden, wie sich die Auswirkungen von sozialem Druck und Arbeitsunterbrechungen – zwei der häufigsten Stressoren am Arbeitsplatz – messen lassen.

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